Ausflug zu den reichen Leuten
Wer weniger Geld hat als wir, dem fehlen die materiellen Voraussetzungen, das Leben voll zu genießen. Sicherlich schlummern auch im Arbeiter unerlöste kulturelle Bestrebungen, aber Sie müssen nicht vergessen, Herr Ministerialrat, die Tiefergestellten wollen vielleicht, aber sie können nicht. Ich bitte Sie, was haben denn diese Leute für Interessen!
Wer mehr Geld hat als wir, ist ein Trottel. Er hat wohl materiell alles, was er braucht, aber ihm fehlt doch unsre Kultur, Die neuen Reichen, Herr Ministerialrat, können alle, aber sie wollen ja gar nicht. Ich bitte Sie, was haben denn diese Leute für Interessen!
Die armen Reichen. Sie haben wirklich keine gute Presse.
» … jene feierliche Ironie, die ich bei allen Leuten mit bescheidnem Einkommen bemerkt habe, mit denen ich in Beziehung stehe«, heißt es in dem reizvollen Tagebuch des Milliardärs A. O. Barnabooth, von Valéry Larbaud. »Ich rede sie ohne Hintergedanken an, von Mensch zu Mensch, ganz familiär, wie das zum Beispiel die Amerikaner lieben. Aber sie verbeugen sich, und wenn der Kopf ganz unten ist, stecken sie mir die Zunge heraus. Sie drücken mir die Hand wie auf einem Begräbnis, und ich fühle die ganze Verachtung, die sie für mich haben. Sie verstecken ihre Gefühle nicht einmal; denn wenn sie ihr hochachtungsvoll ergebenes Gesicht aufziehen, halten sie einen Milliardär für viel zu dämlich, als dass er etwa merken könnte, wie man ihm schmeichelt. Es sind sehr subtile Herrschaften. Ich habe erst geglaubt«, sagt der Reiche, »dass diese stillschweigende Ironie das Grinsen des Neides ist … Aber nein, das ist kein Neid: es ist die Unfähigkeit, die Augen aufzumachen und über gewisse Vorstellungen hinauszusehen. Es ist einfach Beschränktheit.«
Denn weil sich jeder eine Welt macht, in deren Mittelpunkt er selber steht, so verneint er die der andern, deren Weltbild ihn etwa an die Wand klemmen könnte. So heben denn silbergepunzte Demokratenfrauen die armen Arbeiter, die es nicht besser wissen, und verachten die reichen Milliardäre, die es nicht besser wissen. Reiche Leute haben eine gefügige Presse. Reiche Leute haben keine gute Presse.
In Biarritz kommen sie wild vor. Der nach Fischen riechende Winkel, als den Taine den Ort noch in den fünfziger Jahren angetroffen hat, ist durch den spanischen Adel und vorzüglich durch die Queen, der die englische Aristokratie todesmutig nachfolgte, erst zu dem geworden, was es heute ist. Es liegt entzückend: die silbrig-blaue Küste mit Felsen, die kunstvoll durchbrochen sind, so dass man darin spazierengehen kann, Blumenanlagen: es wächst da ein niedriger Baum mit hellgrünem, zartgefiedertem Laub, der wie ein Mohrrübenbaum aussieht, und an bestimmten Stellen zu bestimmten Stunden geht es auch recht elegant her, nur das allgemeine Straßenbild ist nicht elegant. Allerdings spielt sich ›Biarritz‹ auf den Besitzungen der reichen Leute ab, in den Klubs, den Parks, den kleinen und großen Villen am Meer und in den Schlössern, die von der Küste entfernt liegen. Will man französische Eleganz beschreiben, so muß man nie vergessen, dass die Begriffe ›Kempinski‹ und ›Esplanade‹ deutsche Begriffe sind und dass Frankreich nicht das besitzt, was einmal ein sehr witziger Mann mit dem Wort »Berlin hat eine Mittel-Volée« bezeichnet hat. Die französische Mitte liegt in der äußern Lebensführung und in den Ansprüchen wesentlich unter der deutschen, aber dafür gehts dann auch oben ganz hoch hinauf. Der große Reichtum … Davon kann ich nun wenig berichten. Nicht etwa aus Verachtung, sondern weil ich diesen Kreis des Lebens nicht abgeschritten habe, weil er mir fremd ist, weil meine finanziellen Mittel nicht ausreichen, ich mir also meine Nase an der Glasscheibe platt drücken müßte. Mir ist es nicht selbstverständlich, im Hôtel du Palace abzusteigen, der Apparat würde auf mir lasten, und ich käme über jene gequälte Ironie nicht hinweg, die der Reporter anwendet, um zu zeigen, dass ihm das alles in keiner Weise imponiert und dass er doch der bessere Mensch ist.
Nach Biarritz bin ich aus Pflichtbewußtsein gegangen. Die Fotografien in den Zeitschriften hätten mich nicht gelockt: auf allen waren die weißbehosten Tennisspieler mit ihren Damen zu sehen, das Meer und das Auto im Hintergrund, sie saßen – wie ländlich! – am Wegesrand oder an kleinen Tischen mit Teekännchen und roten Sonnendächern.
Die Kurliste sagt, wer alles in Biarritz ist. Sie finden das in Ihrer eleganten Zeitschrift, wenn die es nicht vorzieht, Heringsdorf zu fotografieren. Die Mistinguett soll auch da sein. Aber Missia habe ich selbst gesehen, Missia, das dicke Stück aus dem Theaterchen Perchoir zu Paris, eine himmlische, nicht mehr junge Person mit einem Gesicht wie ein, sagen wir, Mond, einer Himmelfahrtsneese und frech! Frech wie Anton. Sie geht mit einem jungen Mann über die Straße, tut recht vertraut mit ihm, und ich bin maßlos eifersüchtig. Ich auch … !
In dem kleinen Restaurant, wo ich das Frühstück nehme und beileibe nicht esse, da sitzt mit Papa und Mama und Brüderchen eine ganz junge Engländerin, ein Kind, sie ist vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre. Sie hat ein bißchen Sommersprossen, einen langen Kopf, lange Finger – sie ist gar nicht hübsch. Aber sie ist unanständig, sie hat das, was ältere Herren zu erheblichen Unvorsichtigkeiten verleitet, etwas Verdorben-Frauliches, sie lockt … einmal rasch hinter der Hoteltür, wenn Mama nicht hinsieht … Vielleicht machts ihr gar keinen Spaß, aber sie hat in ihren verbotenen Büchern gelesen, dass es Spaß macht. Nun, man wird sie gut verheiraten, und dann wird es wohl vorbei sein.
Übrigens, das ist nun in so einem fernen Badeort ganz besonders hübsch, dass nicht alle zehn Schritt jemand auf der Straße wie angewurzelt stehenbleibt, einen mit idiotisch erfreutem Gesichtsausdruck ansieht und brüllt: »Nein –!« Dergleichen ist Stenographie und heißt: »Traue ich meinen Augen? Sie sind es natürlich nicht, denn Sie können ja gar nicht in demselben Ort sein wie ich!« Und dann gehts los, und der ganze Vormittag ist flöten.
Ciboure. Ich muß in die Reserve de Ciboure, das habe ich in Paris aufbekommen. Nicht in die Hotels, nicht zum Père Tolstoi, der mit schütterm Bart und schöner Tochter ein Nachtlokal leitet – ich soll in die Réserve de Ciboure. Wenn ich muß …
Der große Wagen flitzt durch den Abend, läßt Biarritz hinter sich und biegt dann weit ins Land hinein. Auffällig ist die vorzügliche Straßendisziplin der Fahrer. Nein, es ist viel mehr als Disziplin und Verkehrsordnung und Angst vor dem ›procès-verbal‹, dem Protokoll, der Strafanzeige: es ist echte, gegenseitige Rücksichtnahme. Nicht ein Mal auf allen Fahrten in den Pyrenäen habe ich gesehen, dass die Chauffeure sich Hindernisse in den Weg fahren, sich anärgern, es dem andern ›aber ordentlich besorgen wollen‹. Sie veranstalten keine Wettrennen, die dem Herrn schmeicheln sollen – »Na, Klumpke, nun zeigen Sie mal, was Sie können!« – »Jawoll, Herr Generaldirektor!« – sie streiten sich nicht an den Wegkreuzungen, wer das Vorfahrtrecht habe; es geht wie geölt. Daß die Wagen abends die Scheinwerfer ausschalten und sich zwinkernd, um den andern nicht zu blenden, grüßen wie Schiffe, die nachts sich begegnen – das geschieht jawohl in Deutschland auch. Aber diese fast ritterliche Art: Bitte nach Ihnen! die ruhige Freundlichkeit, mit der auch die schnellen Touren ausgefahren werden – das ist angenehm zu sehen. Man fühlt sich sicherer.
Bidart, Guéthary, über den kleinen Marktplatz von Saint-Jean-de-Luz mit den lustigen verkrüppelten Bäumen … dann biegt der Wagen an einem Hafen rechts ab und fährt vor.
Die Réserve de Ciboure ist eine kleine Terrasse, die an einer Bucht liegt: die Lichter von Biarritz flimmern herüber, es ist schon ein bißchen kühl, und die Kapelle wird sich erst warm arbeiten müssen. Kleine Tische mit Lämpchen, in der Mitte eine Tanzfläche. Man muß vorher reservieren lassen, es gehört zum guten Ton, hier einmal zu soupieren, was man sagen darf, ohne prätentiös zu erscheinen, denn es wird erst um zehn Uhr abends gegessen.
Leider nicht sehr gut. Wenn ich zu den Indianern fahre, will ich es indianisch haben. Auch über den Sekt gibt es nichts zu lachen. Und da sitzen sie also.
Sehr viel Fremde: Südamerika, die Staaten, England, Amerika, England. Dessen Männer sehen wie immer gut aus, die Amerikanerinnen fürchterlich. Wenn man sie so dasitzen sieht, denkt man an Klavierlehrerinnen, die sich einen feinen Sonntag gemacht haben; sie tragen Schmuck, den man ihnen gekauft hat, aber er blitzt verräterisch zu andern hinüber: er fühlt sich nicht wohl bei ihnen. Sie sind völlig an ihn gewöhnt; aber er tut ihnen nicht den Gefallen, sie zu schmücken. Sie wissen, dass sie hier in einem Amüsierlokal sind, und so amüsieren sie sich denn. Und weil dies kein einheitlicher Kreis von guten Leuten ist, der zusammengehört, sich kennt, aufeinander abgestimmt und eingespielt ist: so fehlt jene Luft, die erst den Reiz und den Witz großer Empfänge und garden-parties ausmacht; es ist einfach eine bezahlte Sache. Ich empfinde zum dreihundertsten Male auf dieser Erde: ›große Welt‹ kann man nicht kaufen, indem man in einem Hotel ein Diner bezahlt; das ist Aberglaube. Man wird hineingelassen, aber man gehört nicht dazu. Und wäre nicht das geschwellte Bewußtsein so vieler Snobs, die hier keine Réserve de Ciboure, sondern nur ihre falsche Überlegenheit über die armen Luder zu Hause erleben – sie langweilten sich noch mehr. Übrigens glauben sie, Vornehmheit färbe ab, und sie sind so stolz auf das Geld der andern.
Eines allerdings muß man hier allen nachloben: die Haltung ist selbstverständlich. An keiner Stelle findet sich: »Na, was sagt ihr nun? Hier sitze ich und trinke so teuern Sekt!« Nirgends. Diese abendlichen Tische, diese Tanzkapellen, dies Essen und dieser Wein – das ist ihr Leben, sie sind nicht darüber erstaunt, und sie verlangen von keinem, dass er sie bewundere.
Der Nebentisch ißt. Andere Leute soll man nicht beobachten – und es wird hier auch nirgends getan. Man kann durch ganz Frankreich, einschließlich Paris, fahren, ohne dass einen alle Leute anstieren, einsortieren, die Bilanz ziehen, das Inventar aufnehmen. »Was mag der sein –? Akademiker? Industrie? Diplomat? Weniger als ich? Hurra! Mehr als ich? Dann wollen wir ihn wenigstens bewundern –!« Ich brauche auch gar nicht hinzusehen, ich weiß, wie sie essen.
So oft ist mir schon aufgefallen, was geschieht, wenn die reichen Leute zu essen bekommen: sie sehen dem Kellner auf das herbeigebrachte Futter, mit einem scheinbar gleichgültigen, aber doch gespannten Ausdruck, es rinnen ihnen sozusagen die geistigen Appetitfäden aus dem Gehirn, schwer sitzen sie da: ›Das steht mir zu, das ist meins‹, und ich bin überzeugt, sie fingen an zu knurren, wenns ihnen jetzt einer wegnehmen wollte. Es ist eine heilige Handlung, ihr Essen, nicht nur, weil es so gute Sachen sind, sondern weil der Herr nun bedient wird. Die Käfigwärter tun alles, um diesen Glauben zu stärken. Sie tragen die dünnste Gemüsesuppe wie eine Hostie heran, sie schöpfen behutsam ein, sie tranchieren wie ein Chirurg, subtil, mit äußerster Aufmerksamkeit, und sie halten den Pudding, wie man ein Kindchen wiegt. Stille! Der Herr ißt.
Worauf die Musiker ›Tea for two‹ spielen und die Leute tanzen. Sie tanzen geschäftlich: sehr ernst, ganz und gar egoistisch, durchaus mit sich beschäftigt, die andern Paare gibt es nicht. Mit Erotik hat das so wenig zu tun wie ein Telefongespräch: es kann damit zu tun haben, aber im Wesen der Sache liegt es nicht.
Jetzt, nachdem alle gegessen haben, breitet sich jene weltversöhnliche Stimmung aus, die einen so nach vollkommner Sättigung beschleicht. Sie ist der konservativen Weltanschauung durchaus förderlich: ein Verdauender empfindet es als störend, wenn jemand giftige Gespräche führt. Nicht, nicht … die Welt ist doch so schön … !
Übrigens wird es jetzt wirklich kühl, gleich werde ich aufstehen und so tun, als ob ich gar nicht auf den Gedanken käme, man könne nach Biarritz auch zu Fuß gehen. Der Wagen soll vorfahren.
In Biarritz hängt vor einer erleuchteten Scheibe das Bild van Dongens, das er von Yvonne George gemalt hat, der Diseuse. Soll ich noch … ? Aber der Manager, der herausgestürzt kommt, ist derartig beflissen und das Lokal derartig leer, dass es wohl ein Reinfall werden würde, und so wollen wir denn lieber nach Hause fahren.
Geld –?
Erfolgreiche Prokuristen pflegen mit einer Stimme zu sprechen, die nach gebratenen Gänsegrieben schmeckt, etwas Geld ist scheußlich. Viel Geld ist schön. Und bis in den Schlaf verfolgt mich der müde, völlig gleichmütige, ausgeglichene Blick des blauen Augapfels mit den schweren Augenlidern: das Gesicht der wahrhaft reichen Leute.