Zum Hauptinhalt springen

Rechenexempel

»Wenn«, sagte mein guter Onkel Fritz, »2 Offiziere und 60 Reichswehrsoldaten nötig sind, um einen Pazifisten – wie zum Beispiel Hans Paasche – zu töten, wieviel Soldaten und Offiziere muß dann die neue Reichswehr haben?« – »Ich weiß es nicht!« sagte ich. »Paß gefälligst auf!« sagte der gute Onkel. »Es gibt annähernd zweitausend Leute in Deutschland, die für die Militärs sehr, aber sehr unbequem sind – denn sie haben den Rummel erkannt, können reden und schreiben, und die Arbeiter hören auf sie. Also –?« – Ich rechnete angestrengt. »Zweiundsechzigtausend Mann«, sagte ich schließlich. »Zweitausend Offiziere und sechzigtausend Mann. Das genügt.« – »Dummer Junge!« sagte Onkel Fritz. »Das ist zwar richtig multipliziert. Aber was machen wir mit den fünfzigtausend Offizieren, die noch untergebracht werden müssen?« – Ich sagte: »Lieber Onkel, da haben wir noch die Abwicklungsstellen und die persönlichen Stäbe und die Bolschewistenbekämpfungsnachrichtenstellen und die Einwohnerwehren und die Sicherheitswehren – die Wolfgang-Heineschen Sicherheitswehren, Onkel!« – »Wer ist Wolfgang Heine?« sagte der Onkel mürrisch. »Ein Sozialist?« – »Er war einmal einer«, sagte ich. »Aber als er einmal im Regen draußen stand, da ging die Farbe ab – und seitdem gründet er Sicherheitswehren. Das ist ein sehr feiner Mann.« – »Aber wir dürfen doch diese Unsumme von Offizieren gar nicht unterbringen – wir haben doch einen Friedensvertrag unterschrieben?« sagte der Onkel.

Da aber lachte ich sehr und klopfte dem guten alten Onkel Fritz auf die Schulter und sagte: »Du bist noch sehr jung, lieber Onkel Fritz. Denn sonst würdest du wissen, dass wir nicht unterschrieben haben, um zu halten, sondern um zu umgehen. Erst kommen die militärischen Dienststellen. Und dazu haben wir den Heine. Hast du nicht die Heineschen Verse in der Schule gelernt? ›Nennt man die besten Namen – wird auch der meine genannt.‹«

Und da spuckte der gute Onkel dreimal kräftig aus, und ich weiß gar nicht, warum er das getan hat.

Ignaz Wrobel
Berliner Volkszeitung, 05.08.1920.