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Giambattista Vico

Giambattista Vico ist in Italien berühmt, in Frankreich hie und da genannt, in Deutschland so gut wie unbekannt, trotzdem Goethe in seiner Italienischen Reise (Neapel, den 5. März 1786) auf ihn aufmerksam gemacht hat. Goethe hat das von italienischen Freunden empfohlene Buch "Principj di una scienza nuova d'intorno alla commune natura delle nazioni" nach seiner Gewohnheit sich angeeignet. "Bei einem flüchtigen Überblick des Buches, das sie mir als ein Heiligtum mitteilten, wollte mir scheinen, hier seien sibyllinische Vorahnungen des Guten und Rechten, das einst kommen soll oder sollte, gegründet auf ernste Betrachtungen des Überlieferten und des Lebens. Es ist gar schön, wenn ein Volk solch einen Altervater besitzt; den Deutschen wird einst Hamann ein ähnlicher Codex werden." Unmittelbar vorher nennt er Vico, der noch nicht fünfzig Jahre vorher gestorben war, einen "alten Schriftsteller, an dessen unergründlicher Tiefe sich diese neuen italienischen Gesetzfreunde höchlich erquicken und erbauen". Die Vergleichung mit Hamann ist schlagend; von Vico wie von Hamann muß sich Goethe zugleich angezogen und abgestoßen gefühlt haben. Aber Goethe beachtete an dem Buche, weil es ihm von philanthropischen Juristen in die Hand gegeben worden war, offenbar nur diese ethische Seite. Die eigentliche Bedeutung Vicos entging ihm, trotzdem er in nächster Nähe Zeuge gewesen war, wie in Deutschland die Saat aufging, die Vico in Neapel gesät hatte. Es kann kein Zweifel sein, dass Herder zu seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" direkt oder indirekt durch den "Ältervater" Vico angeregt worden ist. Sodann, außer von den Engländern, von Leibniz und von Lessing, besonders von Hamann. Wie weit Hamann, der den Vico gelesen hatte, diesen Vico in der verschütteten Gewürzbüchse seiner Ideen erkannt hatte, möchte ich hier nicht untersuchen.1 Jedenfalls ist es begreiflich, dass Goethe beim Durchblättern von Vicos "Grundzügen einer neuen Wissenschaft" an Hamann erinnert wurde; denn selbst Hamanns "verfluchter Wurststil, der von Verstopfung herkam" (wieder ein andermal bezeichnet Hamann selbst die Ergebnisse seiner konfusen Belesenheit als seinen Heuschreckenstil), findet sich schon bei Vico gleich wie Herders und Hamanns Grundgedanken über den Ursprung von Kultur und Sprache.

Vico ist ein genialer Wirrkopf. Genial von Natur, ein Wirrkopf vielleicht nur darum, weil er in Italien lebte, wo die Macht der Päpste jedes philosophische Denken unterdrückt hatte. Er ist ein Bewunderer und Kenner von Platon (den er gegen die "Ammenmärchen" des Aristoteles und gegen die mathematischen Formeln des Descartes ausspielt), des Tacitus, des Bacon, des Grotius; es scheint ihm die Aufgabe seines eigenen Lebens, die Ansichten dieser vier Männer zu vereinigen in einer Philosophie der Geschichte der Menschheit.

Es wäre nicht schwer, die Lehre des Vico als die Spitze einer Pyramide erscheinen zu lassen, deren vier Basisecken diese vier Namen wären; aber es wäre doch eitel Wortmacherei. Ich glaube, in Wahrheit ist Tacitus einfach sein liebster Geschichtschreiber, Grotius sein liebster Jurist gewesen, und als Geschichte der staatlichen Einrichtungen erschien dem Vico seine "neue Wissenschaft", die freilich im Grunde nur die erste Ahnung einer Anwendung von Sprachwissenschaft auf die Urgeschichte der Menschheit war. Platon als der traditionelle Gegner des Aristoteles, Bacon als der neueste Empiriker, als der Anreger einer neuen Induktion mußten ihm lieb sein in seinem Kampfe gegen Descartes, den Neuaristoteliker, den Begründer der jüngsten deduktiven Philosophie. Doch ist zu bemerken, dass nur die erste Ausgabe seines Hauptwerkes, der "Principj di una scienza nuova d'intorno alla commune natura delle nazioni" (1725) seinem Meister Bacon Ehre macht. Die späteren Auflagen sind deduktiv und kaum mehr lesbar. Leider sind es diese späteren Bearbeitungen, wie es scheint, die ihre Wirkung auf Deutschland und Frankreich ausgeübt haben.

Die Bedeutung Vicos wird am besten beleuchtet, wenn ich hervorhebe, dass er in zwei wichtigen Punkten der neuern Philologie die Ziele gewiesen hat; er zuerst hat die Frage nach Homer und die nach der römischen Königszeit aufgerollt; Homeros und die römischen Könige erscheinen ihm bereits als mythische Persönlichkeiten, als Symbole.

Seine Gedanken sind schwer in einer allgemein verständlichen Sprache wiederzugeben, weil Vico in einer geradezu haarsträubenden Weise generalisiert. Jeder Einfall, vom Zufall der Lektüre eingegeben, wird ihm zu einem Prinzip. Unzusammenhängende Dinge, wie das Vorhandensein von Religion bei allen Völkern, die Ehe und die Tatsache, dass man die Toten begräbt, verbindet er zu einem vermeintlichen Beweise für die Existenz Gottes, einer Vorsehung und der Unsterblichkeit der Seele. Sodann hat er eine Dreiteilung der Geschichte gefunden: die göttliche, die heroische und die menschliche Zeit; und diese Dreiteilung überträgt er auf alle sozialen Erscheinungen bei den Völkern. Auch die Geschichte der Sprache, um deren willen Vico uns hier interessiert, zerfällt ihm in drei Abschnitte: in die Götterzeit, wo die Sprache hieroglyphisch war oder eine Zeichensprache, in die Heroenzeit, wo die Sprache poetisch oder metaphorisch war, und in die Menschenzeit, in der sich unsere Sprachen ausbildeten.

Aus seiner Geistesentwicklung, die Vico selbst beschrieben hat, ist in meinen Augen dies der wichtigste Punkt, dass Vico zuerst die Philosophie bei einem Nominalisten kennen lernte, bevor er in die orthodoxe Schule des mittelalterlichen Wortrealismus geriet. Man sieht: in Italien standen sich, am Ende des 17. Jahrhunderts, die Lehrmeinungen des Mittelalters gegenüber, als ob sie noch lebendig gewesen wären. Mir ist es nicht zweifelhaft, dass die ganze Sprachphilosophie Vicos eine Nachwirkung der nominalistischen Ketzerei seiner Jugend war. Die entscheidende Stelle finde ich in seiner Selbstbiographie da, wo er es eben als seine Lebensaufgabe ausspricht, die vier genannten Lieblingsschriftsteller durch eine christliche Philosophie zu überwinden, die zugleich Philologie wäre und wissenschaftliche Notwendigkeit brächte in die beiden Teile, welche sind die zwei Historien, eine der Sprachen, die andere der Sachen; "e della storia delle cose si accertasse quella delle lingue." Diese prachtvolle nominalistische Kühnheit, diese Wahrheit, die erst aus unserer Sprachkritik zum klaren Bewußtsein wird, ist einer von Vicos Genieblitzen und in dem Wirrwarr der neuen Wissenschaft so verblüffend, dass noch der deutsche Übersetzer Weber (1822) sich für berechtigt hielt, den Sinn umzukehren und zu sagen, "es würde dabei die Geschichte der Sachen ins reine gebracht werden durch die der Sprachen".

Da die Geschichte der Sprache nun in drei Epochen zerfällt, in die göttliche, die heroische und die menschliche, da es in der Götterzeit nur eine hieroglyphische oder Zeichensprache gab, da das dritte Zeitalter bereits unsere abgegriffene Sprache redete, so ist es sicher, dass die Untersuchung des Sprachursprungs sich allein mit der heroischen Zeit und ihrer poetischen Sprache zu beschäftigen habe. Vico ist sich der Neuheit dieses Gedankens vollkommen bewußt und spricht ihn am schönsten in dem seltsamen Vorwort aus, das in der Form einer Erklärung des rebusartigen Titelbildes die Idee des ganzen Werkes gibt: "Als Prinzip dieser Ursprünge sowohl der Sprachen als der Buchstaben erfindet es sich, dass die Urvölker des Heidentums durch eine erwiesene Naturnotwendigkeit Dichter gewesen sind, welche in poetischen Kennzeichen" (so möchte ich das vage "caratteri" übersetzen) "sich ausdrückten. Diese Entdeckung ist der Hauptschlüssel dieser Wissenschaft und hat mich die hartnäckige Forschung fast meines ganzen wissenschaftlichen Lebens gekostet. Denn eine solche poetische Natur solcher Urmenschen ist in unserer unheidnischen Zeit wirklich unmöglich vorzustellen und sehr schwer zu verstehen. Solche Kennzeichen (caratteri) waren gewisse phantastische Gattungsbegriffe oder Bilder, gewöhnlich von beseelten Dingen oder von Göttern oder von Helden in ihrer Phantasie geformt; auf diese Bilder wurden die Unterarten und Individuen zurückgeführt; gerade so, wie jetzt manche Figuren der Komödie umgekehrt Verstandesbegriffe der Moralphilosophie sind, von Lustspieldichtern umgeschaffen zu phantastischen Personen." (Allegorien der "Mysterien" wie Stolz, Sünde usw. meint er wohl.)

Wäre Vico imstande gewesen, seine beiden genialen Einfälle, dass die Sprachen erst durch die Sachen erhellen und dass der Ursprung der Sprache in poetischen Personifikationen zu suchen sei, zu Ende zu denken, so hätte er mit den Kenntnissen seiner Zeit eine Sprachkritik geliefert. Er hatte jedoch keine erkenntnistheoretischen Ziele, sondern nur ethische und theologische; so konnte er den wichtigsten Teil seines Lehrgebäudes nicht ausbauen. Aber eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Sprachkritik, dass nämlich alle Entwicklung der Sprache auf metaphorischem Wege vor sich gehe, hat er in erstaunlich kühner Weise vorweggenommen. Ich war tief ergriffen und beschämt, als ich fast am Ende meiner Studien und Untersuchungen auf Vicos Lehre von der poetischen Metapher geriet.

Ich will zum Verständnis seines tiefsten Gedankens vorausschicken, was Vico in den wüsten Axiomen des ersten Buches über die Prinzipien der göttlichen Poesie oder der poetischen Theologie in den Sätzen 32, 33 und 37 Merkwürdiges sagt.

32, "Als die Menschen die natürlichen Ursachen nicht kannten, welche die Dinge hervorbringen, und sie nicht einmal durch Analogie (cose simili) erklären konnten, gaben sie den Dingen ihre eigene Natur; wie das Volk z. B. sagt, es sei der Magnet in das Eisen verliebt. Denn der Mensch macht in seiner Unwissenheit sich selbst zur Richtschnur des Universums in betreff alles dessen, was er nicht weiß."

  1. "Die Physik der Nichtwissenden ist eine populäre Metaphysik; dergestalt, dass sie die unbekannten Ursachen der Dinge in den Willen Gottes verlegen, ohne die Mittelglieder zu beachten, deren der göttliche Wille sich bedient."

  2. "Es ist die erhabenste Tätigkeit der Poesie, den seelenlosen Dingen Seele und Leidenschaft zu geben; wie es den Kindern eigen ist, unbelebte Dinge in die Hand zu nehmen und spielend mit ihnen zu plaudern, als wären es lebende Wesen. Dies beweist philologisch-philosophisch, dass die Menschen der kindlichen Welt von Natur erhabene Dichter waren."

Und nun spricht Vico im siebenten Kapitel des zweiten Buches von der poetischen Logik, von Metaphern und dichterischen Transformationen. Da sagt er, dass jede Metapher ein kleiner Mythus ist. Er gibt allerlei richtige und unmögliche Beispiele, Metaphern, die von Gliedern des menschlichen Körpers hergenommen sind, und schließt: "Welches alles notwendig hervorgeht aus jenem Grundsatze, dass der nichtwissende Mensch sich zur Richtschnur des Universums macht, so wie in den aufgeführten Beispielen er aus sich selbst eine ganze Welt gemacht. Denn wie die rationale Metaphysik lehrt: homo intelligendo fit omnia, so zeigt diese phantastische Metaphysik: homo non intelligendo fit omnia. Vielleicht liegt mehr Wahrheit in diesen Worten als in jenen; denn mit der Einsicht in die Dinge klärt der Mensch seinen Geist auf und begreift sich selbst; aber durch die Nichteinsicht macht er aus sich die Dinge selbst, und indem er sich in sie verwandelt, wird er sie."

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  1. In seiner gründlichen Abhandlung "Hamanns Sprachtheorie" (1905) wendet sich R. Unger gegen meine Vermutung einer starken Einwirkung von Vico auf Hamann. Vielleicht mit Recht. Obgleich der Brief an Herder (22. Dez. 1777) offenbar gleich nach Lesen der Einleitung von Vicos Buche geschrieben ist und doch schon sprachphilosophisches Interesse verrät. Übrigens bestreitet auch Unger nicht die geistige Verwandtschaft beider Männer.