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Fremdwörter unbildlich

Wa dieser Annahme folgen würde, das geht weit über die Wirkung auf die Bildervermischungen hinaus. Sind die Sprachmischungen immer häufiger und reicher, je weiter wir uns in die Geschichte der Sprache zurückdenken, so ist die ganze historische Abteilung der Sprachwissenschaft eitles Stückwerk, so ist jeder etymologische Versuch über die Schriftsprache hinaus eine Reise ins Blaue. Auch für unsern gegenwärtigen Gegenstand, die Metaphernmischung, wollen wir darum jetzt alle Phantasien über die Vorzeit wieder fallen lassen und uns an den psychologischen Vorgang halten, durch welchen sich die Aufnahme eines Fremdwortes von der Erlernung oder Bildung eines Erbwortes unterscheidet. Man könnte das so ausdrücken, dass unsere ererbten Worte, die Worte unserer Muttersprache, gewöhnlich volksetymologisch mit andern Worten der gleichen Sprache zusammenhängen. Diese Volksetymologie kann dann durchaus falsch sein (wie wenn aus dem griechischen skiuros — was doch selbst wieder gewiß Volksetymologie war — über das französische écureuil hinweg Eichhörnchen wurde, oder vielleicht doch aus ischion unser "Eisbein", niederl. ischbeen), oder sie kann auch mit der wissenschaftlichen Etymologie zusammenfallen. Wobei freilich die Wissenschaft unendlich häufiger uralter Volksetymologie nachreden dürfte, als man glaubt. Dieser wirkliche oder angenommene Zusammenhang des einzelnen Wortes mit andern Worten erleichtert in der Muttersprache ganz außerordentlich die Bildung von Vorstellungen. Hört ein Kind zum erstenmal den emporspringenden Brunnen, den es vor sich sieht, einen Springbrunnen nennen, so glaubt es das Wort zu verstehen; das heißt es verbindet die beiden Worte springen und Brunnen zu einem recht gut zusammenstimmenden Bilde. Nur nebenher erwähne ich, dass es ohne die Anschauung zu einem solchen Gesamtbilde nicht gelangt, dass dann die Bilder "springen" und "Brunnen" leicht zu einem komischen Ganzen werden. Lernt das Kind aber oder auch der Erwachsene für den Springbrunnen nur den Namen Fontäne, so ist die Bildlichkeit des Ausdrucks sofort verloren gegangen. Der Franzose stellt sich bei fontaine zunächst einen Quell, einen Bronnen vor; als Fremdwort bezeichnet es im Deutschen zusammenhanglos nur die Wasserkunst, das Emporsteigen des Strahls. Man kann sich von diesem Unterschied im Bilde sofort überzeugen. Im Französischen, wo das Biid von der Quelle vorherrscht, wird fontaine nicht auf das entsprechende Kunststück der Feuerwerker angewandt. Im Deutschen, wo das Emporsteigen des Strahls allein das Bild ausmacht, kann man auch eine Art Kunstfeuerwerk damit bezeichnen.

Der psychologische Vorgang bei Übernahme eines Fremdworts wird also dadurch charakterisiert, dass die aufnehmende Sprache das fremde Wort ohne jede verpflichtende Verwandtschaft, ohne etymologische Beziehung neben seine andern Worte setzt, wie wenn eine Familie aus egoistischen Gründen eine fremde Waise aufnimmt. In der Vererbung der Bilder, welche das fremde Wort in seiner eigenen Sprache begleiteten, entsteht ein Bruch. Nur in einer Zufallsbedeutung geht das fremde Wort zu uns über, oft genug in einer Bedeutung, welche die fremde Sprache gar nicht festgehalten hat; woher es dann kommt, dass wir im Deutschen eine große Anzahl französischer Worte als Fremdworte haben, die das Französische selbst in diesem Sinne gar nicht kennt. Wollte ein Deutscher z. B. perron in Frankreich so anwenden wie im Deutschen, er würde nicht verstanden.

Nun läge es nahe, zwischen den begleitenden Bildern unserer Erbworte und denen der Fremdworte einen Gegensatz aufzustellen. Es ist verlockend zu sagen: Bei den Worten unserer eigenen Sprache wirken die alten Anschauungen aus der Zeit der Wortentstehung nach, und darum stimmen niemals die beiden Bilder zweier verbundener Worte zusammen, darum lauern überall gröbere oder feinere Wippchen; Fremdworte dagegen weisen nicht in ihre Vergangenheit zurück und sind darum für den Gebrauch zuverlässiger. Ein Wort, das sich mit ihnen verbindet, heirate nicht in eine so große, für die Zukunft unbestimmbare Verwandtschaft hinein.

Aber ein so scharfer Gegensatz besteht auch hier nicht; wie man denn gegen sich selbst mißtrauisch sein darf, wenn im Gedankengang alles gar zu logisch zu klappen scheint. Der Bruch mit den alten Vorstellungsbildern, der sich bei der Vererbung der Worte innerhalb einer Sprachgemeinschaft allmählich vollzieht, geschieht nur plötzlich bei der Übernahme eines Fremdwortes. In dem einen wie in dem andern Falle enthält die neue Bedeutung immer noch einen, wenn auch noch so kleinen Teil des alten Vorstellungsinhalts, es wäre denn, dass das Fremdwort geradezu irrtümlich herübergenommen würde ("Erlkönig"). So steht es denn um die durch Sprachmischung eingeführten Fremdworte nicht viel anders als um die eignen Worte, deren Etymologie vergessen worden ist. Und man kann sehen, dass die Verbindung von Worten immer an einer Unvorstellbarkeit leidet: entweder (wie bei Fremdworten oder bei vereinzelten Worten) durch die Armut von Vorstellungen oder bei wortreicher Verwandtschaft durch die Verwirrung der Bilder. Die Bildervermischungen sind im zweiten Falle leichter aufzuspüren, aber auch im ersten Falle sind sie jedesmal vorhanden, wenn man das Fremdwort mit geschärfter Aufmerksamkeit betrachtet.

Noch häufiger wird freilich das Fremdwort eben darum gewählt werden, weil es gar keine Vorstellung erzeugt und sich darum im Gebrauch besonders gut zur Bezeichnung von hohlen Abstraktionen eignet. Ist das Fremdwort dann gar — wie häufig im Deutschen — mit zwei ungleichen Nuancen einmal aus der lateinischen und einmal aus der jüngeren französischen Sprache herübergenommen worden, so sind Wortverbindungen möglich, deren Lächerlichkeit beinahe etwas Tiefsinniges hat. So haben wir die beiden heblichen Worte "Ideal" und "ideell"; es steht nichts im Wege zu sagen "das Ideal ist etwas Ideelles", was nach etwas klingt und doch nur ein höheres, ein philosophisches Wippchen ist.

Auch auf die syntaktischen Formen übt die Sprachmischung heute noch einen großen Einfluß; in alten Zeiten muß er unberechenbar groß gewesen sein. Wenn ein Deutsch-Böhme dem slawischen Nachbar z. B. nachredet "der Kutscher was mich gefahren hat", so empfinden andere Deutsch-Böhmen das noch als eine komische Bildervermischung. Alle aber sagen sie halb slawisch "es steht nicht dafür".

Um aber die ganze Bedeutung der Wippchen für die Entstehung der Sprache zu begreifen, müssen wir weiter gehen und sagen: fast alle Sprachbereicherung beruht auf der Anwendung der Metapher, also auf einem Spiel des Witzes. Mit Witzen, mit absichtlichen Wippchen beginnt fast jede Erweiterung eines Begriffs, mit dem viel gerühmten Sprachgebrauch, mit unabsichtlichen Wippchen endet sie.