Kontamination
Die Gelehrten der Sprachwissenschaft werden nicht erstaunt sein, zu erfahren, dass sie die Theorie dieser Wippchen aufstellten, als sie für gewisse, auf Fehlern beruhende Sprachbildungen den gelehrten Ausdruck Kontamination anwandten. Kontamination heißt eigentlich Ansteckung. In der Sprachwissenschaft, erklärt Hermann Paul, ist Kontamination der Vorgang, "dass zwei synonyme Ausdrucksformen sich gleichzeitig ins Bewußtsein drängen, so dass keine von beiden rein zur Geltung kommt, sondern eine neue Form entsteht, in der sich Elemente der einen mit Elementen der andern mischen". Wir werden gleich sehen, dass diese Definition selbst vom Standpunkt ihres Erfinders zu eng gefaßt ist. Nur auf die Verschmelzung zweier Worte in eines paßt es, dass synonyme Ausdrücke zusammenschmelzen. In weitaus zahlreicheren Fällen (wie ich eben sagte, sogar überall und in jedem Satze) hätte sich beobachten lassen, dass die Verunreinigung oder Ansteckung durch das Ineinanderfließen zweier Sprachbilder erfolgt. Da wir wissen, dass jeder einzelne Begriff selbst nur ein nebelhaftes, schwebendes Bild liefert, so wird uns die Möglichkeit des Ineinanderfließens nicht wundern. Indem ich den Begriff der Kontamination oder Ansteckung übernehme, hoffe ich zu zeigen, in wie ausgedehntem Maße dieser Fehler (der gröbste Fehler gegen die Anschaulichkeit der Sprache) beim Bedeutungswandel als Katachrese tätig war.
Für die Ansteckung in einem und demselben Worte gibt Paul hübsche Beispiele, von denen ich zwei neuhochdeutsche entlehnen will. In unserem "doppelt" ist das Adjektiv "doppel" und das heute noch anwendbare Partizip "gedoppelt" zusammengeflossen. In unserem "zuletzt" ist unser Adjektiv "der letzte" und die alte Form "zu guter letz" (letze mhd. = Abschied) zusammengeflossen.
Die Beispiele, welche seine Prinzipien der Sprachgeschichte von der syntaktischen Ansteckung geben, sind nicht sehr über zeugend, weil er für den eigentlichen Fehler, die Vermischung zweier Bilder, keine Aufmerksamkeit hat und sich mit der gegenseitigen Ansteckung zweier grammatischer Formen begnügt. Solche Sprachfehler — denn es sind immer empfindliche Sprachfehler — lassen sich auch bei den besten Schriftstellern, sogar bei ausgezeichneten Dichtern nachweisen. Es ist ein kaum erwähnenswerter Fall, wenn Goethe einmal sagt: "Freitags als dem ruhigsten Tage". Der Grammatiker fühlt den Fehler; Goethe hätte korrekt mit "am Freitag" beginnen müssen. Der Grammatiker hört also schon etwas Wippchenartiges aus einer Vermischung zweier Formen, die ein Sprachgewaltiger wie Goethe unbefangen vornahm und die fast jeder Leser unbefangen hinnehmen wird. Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, den schon Vischer (Ästh. III, 1230) gerügt hat: "Die Vorschrift, im Bilde zu bleiben, kann den echten Dichter nicht unbedingt binden. Wirkliche Verstöße, die man als sogenannte Katachresen zu den Sünden gegen den Geschmack zählen muß, finden nur da statt, wo durch einen eigentlichen Lapsus der Aufmerksamkeit aus einer Vergleichungsregion in eine andere übergeschritten wird" usw. Es gibt einen einfachen Prüfstein: unser natürliches Lachen. Wobei ich mit Absicht (Lachen — Prüfstein) gleich ein Beispiel geliefert habe.