[Leibniz]


Mit Bayle erklärt sich nun Leibniz, was die Unabhängigkeit der ewigen Wahrheiten vom göttlichen Willen betrifft, einverstanden, nicht aber ebenso mit den äußersten unter den Scotisten, oder überhaupt mit denen, die ein von Gott in jedem Sinne unabhängiges Reich ewiger Wahrheiten, oder eine für sich und außer allem Zusammenhang mit Gott bestehende Natur der Dinge aufstellen. Wenn der Wille Gottes nur die Ursache der Wirklichkeit der Dinge zu sein vermag, so kann die Quelle ihrer Möglichkeit nicht auch in diesem Willen, sie kann aber ebensowenig eine von Gott unbedingt und in jedem Betracht unabhängige sein. »Meines Erachtens,« sagt Leibniz (in der Theodizee), »ist der göttliche Wille die Ursache der Wirklichkeit, der göttliche Verstand aber die Quelle der Möglichkeit der Dinge, dieser ist es, der die Wahrheit der ewigen Wahrheiten macht, ohne dass der Wille daran teilhat. Alle Realität, — also, will er sagen, auch die, welche wir den ewigen Wahrheiten zuschreiben müssen — alle Realität muß auf etwas gegründet sein, das existiert. Freilich ist wahr — was schon ein Teil der Scholastiker geltend gemacht hat — dass auch der Gottesleugner ein vollkommener Geometer sein kann. Aber wenn kein Gott wäre, gäbe es kein Objekt der Geometrie, und ohne Gott gäbe es nicht nur nichts, das existiert, sondern auch nichts Mögliches. Das verhindert nicht, dass die, welche von der Verbindung aller Dinge unter sich und mit Gott keine Kenntnis haben, gewisse Wissenschaften verstehen können, ohne ihre erste Quelle zu wissen, die in Gott ist«*). Da Leibniz dies nur von gewissen Wissenschaften folgt, so hat er offenbar die Philosophie ausgenommen. Ultima ratio tam essentiarum quam existentiarum in Uno, ist Leibnizens allgemeiner Ausspruch in der Abhandlung de rerum originatione radicali. Zwischen »ganz unabhängig sein von Gott« und bestimmt sein durch göttliche Willkür ist etwas in der Mitte. Dieses Mittlere ist in der Unabhängigkeit vom göttlichen Verstande. Leibniz bedient sich dieser Unterscheidung namentlich, um wegen des Übels und des Bösen in der Welt jeden Vorwurf vom göttlichen Willen zu entfernen. Die Ursache des Übels, sagt er, ist in der idealen Natur der Dinge begründet, welche vom göttlichen Willen nicht abhängt, sondern nur im göttlichen Verstande ist.

 

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*) Erdmannsche Ausgabe von Leibniz, S. 561. § 184.


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