Psychische Epilepsie
Wir wollen noch kurz von jener zweiten Gruppe genialer Menschen handeln, deren geistige Verwandte auf irrenärtzlichem Gebiet die an »psychischer Epilepsie« Leidenden sind. Bei Epileptikern kann statt des wirklichen Anfalls, also statt der Krämpfe, nach einer längst bekannten irrenärztlichen Erfahrung, ein psychischer Status eintreten, der sich durch schrankenlose Delirien mit Aufhebung des Bewußtseins äußert. Dies nennt man psychische Epilepsie. Es können alternierend beide Zustände, oder nur die einen oder die anderen bei einem und demselben Individuum vorkommen. Und das gleiche finden wir bei vielen genial angelegten Menschen. Direkt an Epilepsie litten Julius Cäsar, Muhamed, Narses, Napoleon I, Pascal, Dostojewski, Petrarca, Molière, Peter der Große und viele andere. Cäsar hatte vollständige Kenntnis seines Zustandes, und suchte demselben durch ein diätetisches Regime zu begegnen, indem er große Enthaltsamkeit übte, und gymnastische Übungen trieb. Plutarch berichtet von zwei großen Anfällen bei ihm, deren einer sich ankündigte, als er eben sein Herr bei Thapsus in Schlachtordnung aufgestellt hatte; wissend, was kommen werde, ließ er sich in einen nahen Turm tragen, und wartete dort das Vorübergehen jener Konvulsionen ab, welche die Römer morbus comitialis nannten, weil sie, als ominös, die Comitial-Beratungen sofort aufhoben. Auch Napoleon machte während der Schlacht bei Austerlitz in seinem Zelt einen epileptischen Schlaf-Zustand von etwa 1/2stündiger Dauer durch, aus dem ihn seine Umgebung angesichts der begonnenen Schlacht vergebens aufzurütteln versuchte. Pascal starb während eines heftigen epileptischen Anfalles. An einfachen Konvulsionen, ohne Störung des Bewußtseins, und dem Willen entzogenen Partial-Zuckungen in Gesicht, Schulter u. dergl. litten außerdem Crebillon, Händel, Schiller, Moreau, Paganini, Alfieri. An jenem Zustand, den man epileptischen Schwindel nennt, und den man als einen nicht zum Durchbruch gekommenen Anfall bezeichnen kann, litten Swift und Newton. Ein allen Epileptikern, und wäre es der einfachste Bauernbursche, gemeinsames Symptom ist eine außerordentlich gesteigerte, gemütliche Reizbarkeit. Und es braucht wohl kaum besonders betont werden, wie dieß auch wieder bei Künstlern, Schriftstellern, Dichtern und hervorragenden Geistesarbeitern ein hervorstehend psychisches Moment bildet. — Für die reine psychische Epilepsie, jenen visionären Zustand ohne Konvulsionen, der aber keine Erinnerung hinterläßt, gibt es wohl kein besseres vorbildliches Beispiel, als der bekannte Fall jenes Bauernmädchens, den fast alle psychiatrischen Lehrbücher benützt haben, welches auf der Wiese mähend mit einemmal von dem traumhaften Zustand überrascht wird, aber mit offenen Augen fortmähend allmählich in einen Bach kommt, mähend in den Bach hineinstieg, im Wasser nicht erwacht und nun den Bach entlang mäht, bis endlich die anderen Leute auf dem Felde sie entdecken und herausziehen. Nach Hause gebracht, kommt sie allmählich zu sich, und ist dann ohne jede Erinnerung für das Vorgefallene. So machte Ampère, der bekannte französische Mathematiker, eines Morgens einen Spazierritt, als er von diesem visionären Zustand ereilt wird; er reitet anfangs ruhig weiter, steigt dann vom Pferd, führt dieses eine Zeit lang am Zaum, läßt es dann ledig, und verirrt sich. Als er nach einigen Stunden zurückkehrt, und man ihm das eingefangene Pferd zeigt, — weiß er von Nichts. Auch Beethoven irrte wiederholt in der Umgebung Wiens ohne Hut, Stock und Mantel umher, wurde als Streuner aufgegriffen, auf die Polizei gebracht, wo man nicht glauben wollte, daß er Beethoven sei, und wo er nicht angeben konnte, wo er etwa die Kleidungsstücke verloren. — Bekannt ist die Gewohnheit vieler genialer Menschen, plötzliche Einfälle mit einigen wenigen Notizen zu Papier zu bringen, aus Furcht, sie möchten ihnen entfallen. Und diese Furcht ist begründet. Hebbel erzählt, er habe mit dem größten Erstaunen Notizen in seinen Tagebüchern gefunden, die ihm nicht nur entfallen, sondern vollständig fremd vorkamen; die er gleichsam nur durch die Schrift erkannte. Er tröstet sich aber damit, daß das, was in der Zwischenzeit dem Gedächtnis entfallen, bei dem nächsten inspiratorischen Zustand wieder in voller Klarheit als Erinnerung dem Geiste zuströme, und spricht damit eines der Grundphänomene der Hypnose und psychischen Epilepsie aus, welches wissenschaftlich experimentell erst viel später festgestellt wurde, nämlich: die Spaltung der psychischen Persönlichkeit in Zwei, von denen Jede nur ihre eigenen Phasen wiedererkennt, und über die ihres Contre-Partes vollständig im Unklaren bleibt. — Mandsley, der englische Psychologe, der bemerkte, daß Epileptiker in ihren somnambülen Zuständen vorwiegend Visionen religiösen Inhalts und mit begeisterter Färbung hatten, sprach zuerst die Vermutung aus, es möchten viele der Religionsstifter, bei denen es sich um die subjektive Überzeugung göttlicher Eingebung handelt, an geheimer oder offenkundiger Epilepsie gelitten haben. Dies trifft in der Tat bei Muhamed in seinem vollen Umfange zu, der nachgewiesenermaßen schwere epileptische Attaquen durchmachte, und die lebhaftesten Visionen hatte. Bedenken Sie, welche Perspektive, wenn wir auf Grund dieser Darlegungen es, nicht als die letzte, sondern als eine der ersten Konsequenzen, aussprechen müssen, daß ohne die psycho-epileptischen Zustände dieses Koreischiten der Muhammedismus nicht existierte. —