Zwischen Boberowwald und Huwenowsee
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786–1802


Bis 1786 war der Aufenthalt des Prinzen Heinrich in Rheinsberg ein vielfach unterbrochener: Kriege, Reisen und diplomatische Missionen hielten ihn jahreslang fern. Erst von 1786 ab gehörte er dem »stillen Schloß am Boberowwalde« mit einer Art von Ausschließlichkeit an.

Das beinah völlige Sichfernhalten von der Welt, das nun eintrat, war nur zu kleinerem Teile des Prinzen freie Wahl. Den großen König, seinen Bruder, hatte er nie geliebt, aber doch respektiert, und erst nach dem Tode desselben war ein Wesen oder auch Unwesen in den Regierungskreisen eingerissen, das ihm eine Beteiligung daran (die wie Gutheißung ausgesehen hätte) zur Unmöglichkeit machte. Hierzu kam, daß man auch andererseits, will also sagen auf seiten des Hofes, ohne ihn fertig werden zu können glaubte. Man erbat seinen Rat nicht mehr und so gab er ihn auch nicht mehr. Mit höchster Mißbilligung sah er auf den Einfluß der Rietz und ihres Anhangs. »In dieser Spelunke ist alles infame« sprach er laut vor sich hin, als er eines Tages an dem Palais der (späteren) Gräfin Lichtenau vorüberkam. Das entschied. Ein Prinz, der, bei sonst großer Zurückhaltung, über die Favoritin ein solches Wort äußern konnte, gehörte nicht mehr an den Hof und sprach dadurch seine eigene Verbannung aus.

Die Verstimmung des Prinzen war eine so tiefe, daß ihm Rheinsberg nicht mehr fern und abgelegen genug erschien, weshalb denn auch der Wunsch immer lebendiger in ihm wurde, seiner Tage Rest in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er sich schweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Nivernois die Worte zugerufen: »Ich verlasse nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich, während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit so viel Liebe zurückdenken werde, daß ich fast wünschen möchte, ich hätte es nicht gesehen.« Nach diesem Lande seiner Sehnsucht zog es ihn jetzt mit verdoppelter Kraft, aber die Götter waren seinem Vorhaben nicht hold, und es schien, daß er dem engen Kreise verbleiben sollte, dem er seit fast vierzig Jahren, wenn auch mit mancher Unterbrechung, angehört hatte. 1787 machten politische Konstellationen die Übersiedlung nicht möglich, 1788 im Juni ging er wirklich und trat auch wegen Ankaufs eines in der Nähe von Paris gelegenen Grundbesitzes in Unterhandlungen ein, aber ehe sie zum Abschluß gelangen konnten, zogen die Wetter der Revolution immer drohender herauf, und der Prinz, der sich nach Ruhe sehnte, kehrte schweren Herzens in seine Rheinsberger Einsiedelei zurück.

Von da ab gehörte er derselben ganz.

Meine Aufgabe wird in folgendem darin bestehen, den Prinzen in diesem seinem Stilleben zu schildern, und mit einiger Bestimmtheit festzustellen, in welcher Art und welcher Genossenschaft er das letzte Jahrzehnt seines Lebens verbrachte.

Diese meine Aufgabe war insoweit schwierig, als gedruckte Mitteilungen aus jener Epoche so gut wie gar nicht vorliegen, aber ich genoß dafür des Vorzuges, Personen zu begegnen, die jene letzten Prinz- Heinrich-Tage teils noch miterleben durften oder doch von eben diesen Tagen wie von etwas Jüngstgeschehenem hatten sprechen hören. Es bezieht sich dies namentlich auf die Mitteilungen über den Major von Kaphengst und den Grafen und die Gräfin La Roche- Aymon.

Die Rheinsberger Kirche hat zwei Glocken aus dem Jahre 1780. Die kleinere bedeutet wenig, desto mehr die größere, darauf wir folgende Namen verzeichnet finden: Prince Frédéric Henri Louis de Prusse, frère du Roi. Major de Kaphengst. Baron Frédéric de Wreich. Baron Louis de Wreich. Baron de Kniphausen. Baron de Knesebeck. de Tauentzien. Alle diese waren Kavaliere des Prinzen. Rechnen wir hierzu den Bibliothekar und Vorleser des Prinzen, erst Francheville, dann Toussaint, danach die Mitglieder einer französischen Schauspielertruppe samt einer deutsch-italienischen Kapelle, schließlich aber eine Anzahl Kammerdiener, Lakaien und Leibhusaren, so haben wir alles beisammen, woraus sich 1780 der Rheinsberger Hof zusammensetzte. Die vorgenannten Kavaliere wohnten im Kavalierhause, die Lakaien und Kammerdiener im Schloß, endlich die Künstler aller Art in der Stadt zur Miete.

Einen zweiten sicheren Anhaltepunkt, ebenso zuverlässig wie die Glockeninschrift, geben uns die »dernières dispositions« des Prinzen, aus denen wir ersehen, daß um 1802 der Hofmarschall Graf Röder, der Adjutant Graf La Roche-Aymon, der Kammerrat Lebeauld und der Baurat Herr Steinert die Umgebung des Prinzen bildeten. Major von Kaphengst, Baron Knesebeck und Tauenzien lebten noch; unter allen Umständen aber gewinnen wir, wenn wir die bestimmt verbürgten Namen von 1780 und 1802 zusammentun, einen Überblick über die Mehrzahl der Persönlichkeiten, die während der letzten zwanzig Jahre die Träger und Repräsentanten des Rheinsberger Hoflebens waren.

Über jeden der Genannten werde ich einige Worte zu sagen, über Kaphengst und La Roche-Aymon aber mich ausführlicher zu verbreiten haben. Ehe wir indes zu diesen Personalien übergehen, versuche ich es zuvor in allgemeinen Zügen festzustellen, unter welcher Benutzung der Zeit die Rheinsberger Tage verflossen.

Der Vormittag gehörte der Arbeit, während der Nachmittag der Gesellschaft, dem Diner, der Lektüre,57) dem Schauspiel und der Musik gewidmet war. Nur gelegentlich fanden Ausflüge statt, und noch seltener waren Feste, für die der Prinz, in früheren Jahren, eine entschiedene Vorliebe gehegt hatte.

Wenden wir uns zunächst dem Vormittage zu, der Arbeitszeit des Prinzen. Da er (unähnlich seinem großen Bruder, mit dem er übrigens die Antipathie gegen die Jagd gemein hatte) von der Landwirtschaft eine niedrigste Meinung hegte, zugleich auch offen aussprach, daß das Säen und Ernten zwar sehr wichtig, aber Sache jedes Bauern sei, so nahm ihm die Verwaltung seiner Besitzungen, die er seinen Pächtern und Inspektoren überließ, nichts von seiner Zeit. Er konnte dieselbe vielmehr ungestört seinen Studien widmen. Unter diesen stand das Studium der Kriegswissenschaften und der schönen Literatur, soweit sie Frankreich betraf, obenan. Er las mit nie sich abschwächender Vorliebe die Werke der französischen Philosophen, schwärmte für Voltaire und schrieb selber Verse, von denen mit satirischem Anfluge bemerkt worden ist, »daß sie lebhaft an die Verse seines Bruders erinnert hätten.« Übrigens wurden seine dichterischen Versuche von seinen französischen Vorlesern entfehlert, erst von Francheville, dann von Toussaint. Neben diesen poetischen Versuchen war es eine sehr ausgedehnte Korrespondenz, was seine Zeit in Anspruch nahm, und neben dieser Korrespondenz wiederum die Niederschreibung seiner Memoiren. Von diesen ist wenig zur Kenntnis der Welt gelangt. Seine Kritik des Siebenjährigen Krieges, oder mit anderen Worten des Königs selbst, ruht, wenn sie nicht vernichtet ist, wie manche vermuten, uneröffnet und zunächst unzugänglich in unseren Archiven. Andere seiner Arbeiten haben es verschmäht, unter dem Namen ihres erlauchten Verfassers in die Welt zu treten und sollen sich (wenigstens teilweis) in den militärischen Schriften wiederfinden, die zwischen 1802 und 1804 vom Grafen La Roche-Aymon, dem letzten Adjutanten des Prinzen, veröffentlicht wurden. Ein besonderes Interesse, das mag schon hier eine Stelle finden, nahm er an den Kriegs- und Siegeszügen Moreaus, welchen letzteren er über Bonaparte stellte, wobei freilich nicht vergessen werden darf, daß der Prinz 1802 bereits starb, also früher als die großen napoleonischen Schlachten, die so viele Staaten zertrümmerten, geschlagen wurden. Er erlebte nur Marengo noch. Seine Gegner haben nichtsdestoweniger aus dieser Vorliebe für Moreau den Schluß ziehen wollen, daß der Prinz nur ein Pedant und trotz aller seiner Korrektheit oder vielleicht auch um dieser willen, nicht imstande gewesen sei, das wirkliche Genie zu begreifen.

Die Nachmittagsstunden gehörten zunächst dem Diner. Man aß zur Winterzeit im Schloß, während des Sommers aber, sooft es das Wetter erlaubte, im Freundschaftstempel oder auf der Remusinsel. Der Prinz war persönlich außerordentlich mäßig, und eine gebackene Speise wie sie sein Bruder liebte: Maccaroni, Knoblauchsaft und Parmesankäse hätte ihn einfach getötet. Wie er die Frauen nicht liebte, so auch nicht den Wein, aber er war billig denkend genug, seinen Privatgeschmack nicht zum allgemeinen Gesetz zu machen, und seine Küche wie sein Keller ließen niemanden darben. Die Unterhaltung, wenngleich innerhalb gewisser Formen verbleibend, wie sie die Gegenwart eines Prinzen und noch dazu eines solchen erheischte, war doch innerlich vollkommen frei. Von Krieg und Kriegführung wurde selten gesprochen; es schien als etwas zum Metier Gehöriges verpönt. Er war sehr eitel, und stilvolle Huldigungen, auch solche, die dem »siegreichen Feldherrn« galten, nahm er gern entgegen, aber er war andererseits viel zu vornehm, um das Gespräch auf seine Taten und Siege hinzulenken. Daß er Unterhaltungen der Art vermieden wünschte, sprach sich schon darin aus, daß niemand in Dienstkleidung (Uniform) erscheinen durfte; Hof- oder Gesellschaftskleid war Vorschrift. Das Gespräch drehte sich um Fragen der Kunst und Wissenschaft, um philosophische Kontroversen und Dinge der Politik. Über letztere sprach er mit großer Freimütigkeit, mißbilligte beispielsweise den endlich zu dem Frieden von Basel führenden Krieg Preußens gegen Frankreich und zeigte bis zuletzt gewisse Sympathien mit der französischen Revolution. Ob diese Sympathien (so bemerkt Heinrich von Bülow) in wirklicher Vorliebe für freie Staatsverfassungen wurzelten oder nur ein Resultat der Anschauung waren, »daß alles Französische gut sei, auch eine französische Revolution« mag dahingestellt bleiben. In ähnlich offener Weise nahm er Partei für die Polen, und dieselbe Teilung, zu deren Vollziehung er als gehorsamer Diener seines Königs am Hofe Katharinas mitgewirkt hatte, hielt er nichtsdestoweniger weder für ein Meisterstück der Politik noch für eine Handlung der Gerechtigkeit. Mit besonderer Vorliebe wurden metaphysische Sätze beleuchtet und diskutiert, und alle jene wohlbekannten Fragen, auf deren Lösung die Welt seitdem verzichtet hat, wurden unter Aufwand von Geist und Gelehrsamkeit und mit Zitaten pro und contra immer wieder und wieder durchgekämpft.

Dem Diner folgte, wenn auch nicht täglich, so doch so oft wie möglich, Theater oder Konzert. Über die Stücke, die zur Aufführung kamen, habe ich nichts Bestimmtes erfahren können, aber es scheint fast, als ob Voltaire, wie den Kreis der Anschauungen und Unterhaltungen, so auch die Bühne beherrscht habe. Gleicherweise wie die Namen der Stücke, sind auch die der Künstler, die darin mitwirkten, bis auf wenige verschollen; Blainville, der Liebling des Prinzen, Demoiselle Toussaint, eine Tochter oder Schwester des Vorlesers, Demoiselle Aurore, vor allem aber Suin de Boutemars, sind die einzigen, die sich durch das eine oder andere Ereignis im Gedächtnis der Stadt Rheinsberg erhalten haben.

Wir haben bis hierher den Durchschnittstag des Rheinsberger Hoflebens beschrieben; was ihn unterbrach, waren Besuche, die kamen, oder Ausflüge, die gemacht wurden. Noch seltener, wie schon hervorgehoben, waren Festlichkeiten. Aber auch dieser Ausnahme ist Erwähnung zu tun.

Auf Besuch kamen Prinz Ferdinand, Prinzeß Amalie, vor allem Prinz Louis Ferdinand, der die besondere Freude seines Oheims und zugleich die Hoffnung desselben war. An diese fürstlichen Besuche schloß sich der Besuch derer, die früher in dienstlichen Beziehungen zum Prinzen gestanden hatten, Namen, auf die wir weiterhin zurückkommen werden.

Die Ausflüge gingen näher und weiter. Der Winteraufenthalt in Berlin (im Prinz Heinrichschen Palais, der jetzigen Universität) ward immer mehr abgekürzt, aber die Tagesfahrten und kleinen Reisen blieben bis zuletzt. Der alte Zieten in Wustrau, Frau von Arnstedt in Hoppenrade, Prinz Ferdinand in seinem Ruppiner Palais (bis 1787, wo es niederbrannte) wurden besucht; besonders aber galten diese Ausflüge dem Grafen Wreech auf Tamsel und dem Major von Kaphengst auf Meseberg.

Die Festlichkeiten, um auch das zu wiederholen, verminderten sich im Laufe der Zeit; aber sie fanden doch wenigstens noch statt. Der Jahrestag der Freiberger Schlacht ward alljährlich gefeiert und am 6. Mai 1787 gab der Prinz zur Erinnerung an die Bataille bei Prag allen noch lebenden Offizieren und Gemeinen des an jenem Tage von ihm geführten Regiments Itzenplitz ein glänzendes Fest. Er war zu dieser Feier doppelt berechtigt, einmal durch die Tat selbst, andererseits und in gesteigertem Maße dadurch, daß sich die Neuzeit (der große König war seit kaum Jahresfrist tot) das Ansehen gab, solche Taten vergessen zu dürfen. Der Prinz kommandierte vor Prag den rechten Flügel und stellte sich im entscheidenden Moment an die Spitze des vorgenannten berühmten Regiments. Plötzlich stutzten die Grenadiere vor einem allzu tief scheinenden Graben, Prinz Heinrich aber warf sich ohne Zögern hinein; die Kleinheit seiner Person steigerte nur noch die Größe der Aufopferung und natürlich auch die Wirkung. Alles folgte ihm nach und schlug den Feind. Offiziere und Gemeine saßen nun dreißig Jahre später an der Festtafel ihres Führers und die begeisterten Lebehochs, die man ausbrachte, klangen laut genug, um bis ans Ohr des königlichen Neffen zu dringen. So war denn das Festmahl neben einer pietätsvollen Huldigung gegen die Heimgegangenen, vor allem auch eine berechtigte Demonstration gegen Lebende.

Gleichfalls eine Demonstration, aber ein sonnigeres, von den Strahlen der Poesie und Geschichte umleuchtetes Fest, war die Einweihung (am 4. Juli 1791) des oftgenannten Obelisken. Sie war militärische Feier und Volksfest zugleich. Aus allen Städten und Dörfern der Grafschaft war man zu Tausenden herbeigekommen und umstand entweder das Ufer des Sees oder war von zahllosen in seiner Mitte liegenden Booten aus Augenzeuge des Schauspiels. Das schönste Sommerwetter begünstigte das Fest. Um das Denkmal her gruppierten sich Hunderte von Offizieren, alte und junge, solche, die »die große Zeit« noch mit erlebt hatten oder Anverwandte jener, deren die Medailloninschriften gedachten. An die Feier der Enthüllung schloß sich dann, in den Sälen des Schlosses, ein glänzendes Bankett, bei dem der Prinz eine längere, wohlausgearbeitete Rede hielt. Auch bei dieser Gelegenheit in französischer Sprache. Fast scheint es, als ob er der deutschen Rede nicht mächtig gewesen sei, was als wunderbares Resultat einer Erziehung gelten mag, die nur das Deutsche gewollt und alles Französische verpönt hatte. Die mehrfach, unter anderen auch in dem Buche Vie privée du Prince Henri zum Druck gekommene Rede scheint auf den ersten Blick wenig mehr zu bieten als wohlstilisierte, ziemlich zopfige Phrasen, wie sie damals üblich waren, aber bei mehr kritischer Betrachtung erkennt man bald die politische Seite dieses auf den ersten Blick bloß oratorischen Übungsstückes. Ich gebe hier nur eine Stelle:

»Allen Bewohnern der Städte wie des Landes, die in diesem Kriege die Waffen trugen, gebührt ein gleiches Recht an den Trophäen und Palmen des Sieges. Unter der Leitung ihrer Anführer weihten sie ihre Arme und ihr Blut ihrem Vaterlande. Sie haben es mit Muth und Kraft aufrecht erhalten und verteidigt. Unsere Absicht ist, der preußischen Armee ein Zeugnis unserer Dankbarkeit darzulegen. Den Eingebungen unseres Herzens folgend, wollen wir Beweise der Hochachtung insonderheit denjenigen geben, welche wir persönlich kannten. Aber warum vermißt man Friedrich unter der Zahl dieser berühmten Namen? Die von diesem Könige selbst aufgesetzte Geschichte seines Lebens, die Lobschriften auf ihn nach seinem Tode, ließen mir nichts zu sagen übrig, wogegen große, mehr in der Dunkelheit geleistete Dienste seitens dieser Lobschriften nicht der Vergessenheit entzogen wurden, vielleicht nicht entzogen werden konnten. Denn die Zeit löscht alle Eindrücke aus, und der folgenden Generation fehlen die Zeugen der Taten der vorhergehenden. Das Andenken der Begebenheiten schwindet, die Namen gehen verloren, und die Geschichte bleibt nur ein unvollkommener Entwurf, oft zusammengefügt durch Trägheit und Schmeichelei.«

Dies genüge. Man muß diese Rede mit demselben geschärften Auge lesen, wie die Medailloninschriften des Monuments. Auch diese Feier, wie schon hervorgehoben, war eine Demonstration. Ihr Held war Prinz August Wilhelm, der Vater des Fürsten, der, eben zum Throne gelangt, seines alten Oheims, des Rheinsberger Prinzen, entraten zu können glaubte, jenes »Sonderlings«, der wohl verstanden hatte, Schlachten zu schlagen, aber kein Herz hatte für Wein und Frauen.

Große Festlichkeiten sind dieser Enthüllungsfeier nicht mehr gefolgt; die Schwere des Alters fing an zu drücken, und Einsamkeit und Stille wurden erstes, wenn auch nicht ausschließliches Gebot.

 

Bis hierher bin ich bemüht gewesen, das Rheinsberger Leben aus der Epoche von 1786 bis 1802 in seinen allgemeinen Zügen zu schildern. Ich gehe nun zu den einzelnen Persönlichkeiten über, die während dieser Zeit die Umgebung des Prinzen bildeten, und hoffe dabei Gelegenheit zu finden, ein bisher nur in seinen Umrissen gegebenes Bild durch allerlei Details vervollständigen zu können.

Ich beginne mit nochmaliger Aufzählung der Namen. Es waren: Baron Knyphausen, Baron Knesebeck, zwei Barone Wreich (auch Wreech geschrieben), Kapitän von Tauenzien, Major von Kaphengst, Baurat Steinert, Kammerrat Lebeauld, Graf La Roche-Aymon und Graf Roeder. Von letzterem bin ich außerstande gewesen, irgend etwas in Erfahrung zu bringen.

Baron Knyphausen. »Unter den dem Prinzen Heinrich am aufrichtigsten ergebenen Personen«, so schreibt Thiébault in seinen Souvenirs, »befanden sich auch zwei Barone Knyphausen, von denen der eine, Baron Dodo von Knyphausen, längere Zeit preußischer Gesandter in Paris und London gewesen war. Er führte den Beinamen der »große Knyphausen« oder »der alte«, zur Unterscheidung von einem jüngeren Träger desselben illustren Namens, der »le beau Knyphausen« hieß. Dieser letztere gehörte dem Rheinsberger Kreise nur auf kurze Zeit als Hofkavalier an. Er vermählte sich 1783 mit Luise Charlotte Henriette von Kraut, geschiedenen von Elliot, und geriet durch Vorgänge, die dieser seiner Vermählung unmittelbar voraufgingen, in eine ziemlich kühle Stellung zum Prinzen, infolgedessen er sein Amt niederlegte. Bald danach starb er, erst einige dreißig Jahre alt. – Der auf der Rheinsberger Glocke genannte von Knyphausen ist offenbar der ältere, Baron Dodo, geb. am 5. August 1729, gest. am 31. Mai 1789, Erbherr der Herrschaft Jennelt und Visquard in Ostfriesland. Er war eine Art Ehrenkammerherr und gehörte dem prinzlichen Kreise mehr als Volontär an, wie als Träger einer wirklichen Hofcharge. Neben der Unabhängigkeit seiner Stellung gab ihm sein scharfer Verstand und seine politische Bildung ein besonderes Ansehen, eine politische Bildung, die bedeutend genug war, um die Aufmerksamkeit Mirabeaus zu erregen, der der »Hoffnungen« erwähnt, »die das Land an den ostfriesischen Freiherrn knüpfe«. Was ihn an den Hof des Prinzen Heinrich führte, war wohl zunächst nur die Gleichgeartetheit politischer Anschauungen. Der Prinz und er waren eins in ihrer Mißstimmung über das, was in Berlin geschah, besonders auch in ihrer Abneigung gegen den Minister Hertzberg, ein Gefühl, das beim Prinzen lediglich politische, beim Baron Knyphausen aber, der ein Stiefbruder des Grafen Hertzberg war, auch noch Interessenmotive hatte. Andere geistige Berührungspunkte zwischen dem Prinzen und dem Freiherrn mochten fehlen. Knyphausen war ein passionierter Landwirt, ein Beruf, dem, wie schon erwähnt, Prinz Heinrich nur einen allerniedrigsten Rang einräumte. Diese verschiedenen Ansichten über den Wert der Landwirtschaft führten auch zu einer kleinen Szene, die H. von Bülow in seinem mehrerwähnten Buche erzählt. »Knyphausen«, so schreibt er, »der viel von seinen ostfriesischen Rindern sprach und sich vielleicht auch von Rheinsberg aus zu ihnen hinsehnen mochte, erhielt zur Strafe für diese beständigen Agrikulturgespräche eine Weste vom Prinzen geschenkt, die mit lauter Rindern bedruckt war. Knyphausen dankte verbindlichst und trug von nun an die Weste tagtäglich wie im Triumph, bis der Prinz eine ungnädige Bemerkung machte, weil er fühlte, daß sich der Stachel gegen ihn selbst gekehrt hatte.« Baron Dodos von Knyphausen politische Wirksamkeit als Gesandter Friedrichs in Paris und London lag vor seiner Rheinsberger Zeit. Er vermählte sich in späteren Jahren mit einer Schwester der Wreechs, weshalb er auch (an der Seite seiner Gemahlin) in der Gruft zu Tamsel beigesetzt worden ist.

Baron Knesebeck, geb. 1748, gest. 1828, mit seinem vollen Namen Karl Franz Paridam Kraft von dem Knesebeck-Mylendonck, war der letzte männliche Sproß aus der Linie Tilsen bei Salzwedel. Seine Mutter war eine Grumbkow, Tochter des bekannten Feldmarschalls unter Friedrich Wilhelm I., seine Großmutter aber eine Freiin von Mylendonck, durch welche, neben einem bedeutenden Grundbesitz im Geldernschen (die Herrschaft Frohnenburg) auch der Name Mylendonck in die Familie kam. Bis 1773 besaß unser Karl Franz Schloß Tilsen, das alte Stammgut der Knesebecks; als er in letztgenanntem Jahre jedoch die Herrschaft Frohnenburg von einem älteren Bruder ererbte, trat er Schloß Tilsen an einen jüngeren ab. So ging es bis 1793, wo der Niederrhein unter französische Herrschaft kam. Durch die Einführung neuer Gesetze verlor Knesebeck alles, und zwar derart, daß ihm von Frohnenburg nichts übrigblieb, als ein altes Schloß mit Garten und die auf dem ehemaligen Eigentume haftenden Schulden. So mehr als arm und besitzlos geworden, kehrte er zu seinem Bruder nach Tilsen zurück. Eine eben damals zur Hebung kommende Präbende des Domstifts Magdeburg gewährte ihm eine auskömmliche Existenz. Er hieß gewöhnlich der »Domherr«. Um diese Zeit war es wohl, daß auch seine Beziehungen zum Rheinsberger Hofe wieder aufgenommen wurden. Ganz unterbrochen waren sie nie. Nach der Schlacht bei Jena, als Magdeburg westfälisch wurde, verlor er auch seine Präbende. 1810 starb sein jüngerer Bruder, der Besitzer von Tilsen, kinderlos und das alte Stammgut der Familie, das er in jungen Jahren bereits besessen hatte, kam nun zum zweiten Mal in seine Hand. Er vermachte dasselbe, mit Übergehung der Hannöversch-Wittingenschen Linie, dem Sohne seiner Schwester, die einen Karweschen Knesebeck, also einen Vetter, geheiratet hatte. Dieser Sohn war der spätere Feldmarschall von dem Knesebeck, von dem ich in dem Kapitel »Karwe« ausführlicher gesprochen habe. Mit Karl Franz ist der Name Mylendonck erloschen. Er blieb Kammerherr am Rheinsberger Hofe bis zum Ableben des Prinzen und wird im Testamente desselben mit folgenden Worten erwähnt: »Dem Baron von Mylendonck-Knesebeck, der mir als Page und später als Offizier in meinem Regimente gedient, auch später noch, nachdem er den Abschied genommen, mit unwandelbarer Treue zu meiner Person gestanden hat, vermache ich eine Dose von Lapis Lazuli. Sie trägt einen Karneol in der Mitte und ist oben und unten mit Diamanten besetzt.« Einzelheiten aus seinem Rheinsberger Leben habe ich nicht erfahren können.

Die beiden Wreichs. Baron Friedrich von Wreich, der ältere Bruder, war Hofmarschall am Rheinsberger Hofe, Baron Ludwig war Kammerherr. Beide waren Söhne jener schönen Frau von Wreich (»un teint de lis et de rose«), die den Kronprinzen Friedrich, während seines Küstriner Aufenthalts, mit einer leidenschaftlichen Zuneigung erfüllt hatte. Baron Friedrich, wegen seiner Länge »der große Wreech« geheißen, starb 1785, und Tamsel ging an Baron Ludwig, den jüngeren Bruder, über. Dieser, seit 1786 in den Grafenstand erhoben, war einer der treuesten Anhänger des Prinzen und lebte mehr in Rheinsberg und Berlin, als auf seinem ererbten Gute. Im Sommer 1787 jedoch sah man ihn monatelang in Tamsel, um Schloß und Park für den zugesagten Besuch des Prinzen Heinrich festlich herzurichten. Graf Ludwig hatte lange genug in der Nähe des Prinzen gelebt, um dem Meister auf dem Gebiete der Festlichkeiten wenigstens einiges von seiner Inszenierungskunst abgelauscht zu haben, und als der Prinz im Juli genannten Jahres wirklich in Tamsel erschien, begrüßten ihn Arrangements, wie er sie selber nicht schmeichelhafter und stilvoller hätte herstellen können. Statuen und Inschriften überall, Erinnerungen an siegreiche Schlachten und Mahnungen an Personen, die seinem Herzen teuer gewesen. Halbverdeckt unterm Rasengrün schimmerte ein weißer Sandstein zum Andenken an die schöne Lisette Tauenzien (erste Gemahlin Tauenziens von Wittenberg, eine geborene von Marschall) und die eingegrabenen Worte »Rose, elle a vécu ce que vivent les roses – l'espace du matin« weckten im Herzen des Prinzen ein wehmütiges Gefühl an die früh aus dem Rheinsberger Kreise Geschiedene. Nahe dabei waren die Büsten des Großen Kurfürsten und des Prinzen selbst nebeneinander gestellt, und französische Verse zogen Parallelen zwischen jenem, »der ein Vater flüchtiger Franzosen ward«, und diesem, »der die Herzen aller Franzosen unter das Gesetz seiner geistigen Macht und Schönheit zu zwingen wußte«.

Die Hauptüberraschung aber brachte der Abend.

Im Rücken von Tamsel, unmittelbar hinter dem Park, liegt eine Wald- und Hügelpartie, durch die sich ein Hohlweg, die Straße nach dem benachbarten Zorndorf, hinzieht. Sei es nun, daß dieser Hohlweg dem Terrain, um dessen Reproduzierung es sich handelte, wirklich ähnlich sah, oder sei es, daß man einfach nahm, was man hatte, gleichviel, der Hohlweg war auf Anordnung des Grafen Ludwig überbrückt worden, um an dieser Stelle die Erstürmung des Passes von Gabel, eine der glänzendsten Waffentaten des Prinzen, noch einmal bildlich zur Darstellung zu bringen. Unten standen die Tamseler und Küstriner, Kopf an Kopf, um Zeuge des prächtigen Schauspiels zu sein, und Feuerwerk und Leuchtkugeln erhellten die Nacht, während Graf Ludwig, von einem der zur Seite liegenden Hügel aus, den Prinzen bis an den Brückeneingang führte. Unter dem Jubel des Volkes überschritt dieser den »Paß«, an dessen Ausgang ihm drei Johanniterritter: Graf Dönhoff, von Schack und von Tauenzien in rotem Kriegskleid und schwarzen Ordensmänteln entgegentraten und auf die transparenten Worte hinwiesen:

 

Henry parait! il fait se rendre!

Vous fremissez fiers Autrichiens!

Si vous pouviez le voir, si vous pouviez l'entendre,

Vous béniriez le sort qui vous met dans ses mains.

 

Also etwa:

 

Heinrich erscheint und vor seinem Begegnen

Zittert Östreich und unterliegt; –

Kenntet ihr ihn, ihr würdet es segnen,

Stolze Feinde, daß Er euch besiegt.

 

Die Erinnerung an jenen glänzenden Abend lebt noch bis heute fort. 1795 starb Graf Ludwig Wreech, der letzte seines Geschlechts, und Tamsel ging durch Erbschaft an den Grafen von Dönhoff über. Ein halbes Jahrhundert lang hatten die Wreechs dem Rheinsberger Hofe treulich gedient und aus nicht völlig aufgeklärten Gründen ihre Lebensaufgabe darin gesetzt, den Prinzen Heinrich auf Kosten seines Bruders, des Königs – den sie geradezu haßten – zu verherrlichen.

Bogislaw von Tauenzien, der spätere Graf Tauenzien von Wittenberg, Sohn des berühmten Verteidigers von Breslau, gehörte fünfzehn Jahre lang dem Rheinsberger Hofe an. Er war ein ganz besonderer Liebling des Prinzen, der schon 1776 den damals erst sechzehnjährigen Fähnrich von Tauenzien zu seinem Adjutanten ernannte. Bis ganz vor kurzem noch befand sich ein trefflicher alter Stich im Rheinsberger Schloß, der die Szene darstellt, wie der Fähnrich von Tauenzien seine erste Meldung vor dem Prinzen macht. 1778, bei Ausbruch des Bayerischen Erbfolgekrieges, folgte Tauenzien dem Prinzen nach Sachsen und Böhmen und kehrte mit ihm in das Rheinsberger Stilleben zurück, das nur noch durch die zweimalige Reise des Prinzen nach Paris, 1784 und 1788, auf längere Zeit unterbrochen wurde. Auf beiden Reisen begleitete Tauenzien den Prinzen, 1784 als Leutnant, 1788 als Kapitän, und gedachte noch in späteren Jahren eben dieses Aufenthalts in der französischen Hauptstadt mit besonderer Dankbarkeit und Vorliebe. Bis 1791, nachdem er kurz vorher zum Major befördert worden war, blieb er in Rheinsberg, dann aber trat er in die Suite des Königs und ward in den Grafenstand erhoben. Seine Stellung zum Prinzen wurde dadurch sehr schwieriger Natur, und nur Vermutungen lassen sich darüber äußern, in welcher Art er dieser Schwierigkeiten Herr wurde. Das Mißverhältnis zwischen dem König und seinem Onkel (Prinz Heinrich) war offenkundig, und Tauenzien stand zwischen zwei Gegnern, die beide Anspruch auf seine Treue und Dankbarkeit hatten. Wir müssen indes annehmen, daß er seiner Aufgabe gewachsen war, der Prinz würde sonst schwerlich eine ganze Reihe von Erinnerungen an Tauenzien um sich geduldet und wert gehalten haben, darunter ein treffliches Ölporträt, das bis diesen Tag den Zimmern des Schlosses verblieben ist.

 

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57) »Die Bibliothek des Prinzen«, schreibt Heinrich von Bülow, »war sehr ansehnlich. Er besaß auch ein Exemplar der Bibel, aber er las nur darin, wie man sich in einem Prozeß um die Akten der Gegenpartei kümmert.«




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