2. Vom Tode des alten Johann Christian Gentz (1867) bis zum Bau des Gentzroder Herrenhauses (1877)
Am 4. Oktober 1867 war der alte Gentz gestorben und vorläufig bis zur endlichen Ausführung eines für Gentzrode geplanten Mausoleums auf dem alten Ruppiner Kirchhof am Wall beigesetzt worden. Sein jüngster Sohn Alexander trat nach erfolgter Vermögensauseinandersetzung mit seinem älteren Bruder Wilhelm, dem Maler, das Gesamterbe an, das aus folgenden Hauptstücken bestand:
aus dem Stadthaus samt Laden- und Bankgeschäft,
aus dem sogenannten »Tempelgarten« samt Tempel vor dem Tempeltor,
aus dem Torfgeschäft im Luch, und viertens und letztens aus Gentzrode,
welchem letzteren der neue Besitzer von Anfang an seine volle Hingabe widmete. Bevor ich indessen erzähle, wie diese speziell Gentzrode zugute kommende Hingabe sich äußerte, gebe ich als Einleitung eine biographische Skizze des neuen Besitzers bis zu dem Zeitpunkt der Gutsübernahme. Bei der Skizze selbst aber folge ich Alexander Gentz' eigenen Aufzeichnungen.
Alexander Gentz
»Ich wurde«, so schreibt er, »am 14. April 1825 geboren und zwar als der jüngste von vier Brüdern, die, von frühester Kindheit an, sämmtlich lebhaften Geistes und von gleicher Neigung beseelt waren, sich in freier Natur herumzutummeln, um Pflanzen, Käfer, Vogeleier und Schmetterlinge zu sammeln. Ein Elementarlehrer, der Weißhauer hieß, und trotz eines mehr als bescheidenen Gehalts von nur 120 Thalern sich eine wundervolle Pflanzen- und Insektensammlung angelegt hatte, wußte durch Exkursionen, auf denen wir ihn begleiten durften, unsren Eifer für naturwissenschaftliche Dinge zu steigern. Es ging meistens auf Alt-Ruppin zu bis an den Molchowsee. Die weite Sandfläche -von kleinen Hügeln unterbrochen, mit denen der Wind spielte -war so todt und öde, daß nicht einmal Fichtengestrüpp oder Haidekraut drauf wuchsen und an dieser Wüste vorbei (wenn nicht querdurch, was auch vorkam) wanderten wir bis an die ›Räuberkute‹, die wir schon um ihres Namens willen liebten und der nur leider die Räuber fehlten. Mitten im Sande begegneten wir dann plötzlich einem Sumpfloch mit wilden Enten drauf, nach denen wir vom Ufer her mit Steinen warfen, bis sie weiterflogen oder niedertauchten. Hinter der ›Räuberkute‹ lief dann, die sogenannte Schwedenschanze durchschneidend, ein alter Weg auf die Neue Mühle zu. Dies war der Ausflug, den wir am häufigsten machten, am liebsten aber war uns der Weg am Klappgraben hin und dann über diesen fort bis zu den mit Eichen und Buchen bestandenen ›drei Wällen‹, die wohl auf 1000 Schritt die Grenze zwischen der Storbecker und Kränzliner Feldmark ziehen und den Eingang zu einem prachtvollen Eichenkamp, der der ›blecherne Hahn‹ hieß, bildeten, eine landschaftlich reizende Partie mit Baumgruppen, wie sie sich, was unsere Grafschaft angeht, kaum noch auf dem schönen Ruppiner Wall und Forstrevier ›Pfefferteich‹ vorfinden. Ja, nach dem ›blechernen Hahn‹ hin, wo sich eine Meierei mit Milchwirthschaft befand, das war ein beliebter Ausflug und nur Eins gab es, was noch darüber hinausging, das war ein in der Nähe der Kahlenberge gelegenes Elsbruch, mit einem dunklen Wassertümpel in der Mitte, der den Namen der ›Gänsepfuhl‹ führte. Das klang harmlos genug, es war aber die unheimlichste Stelle in der ganzen Gegend, an die sich allerlei Spukgeschichten knüpften, Geschichten, deren Grusel noch wuchs, als es eines Morgens hieß, Uhrmacher Hettig und Rathsdiener Kalle, die hier zu fischdieben und sich zu diesem Zwecke eines am Ufer liegenden alten Fischerkahnes zu bedienen pflegten, seien in der Nacht vorher auf dem Gänsepfuhl ertrunken. Ja der Grusel wuchs, das muß ich wiederholen, aber ich kann nicht sagen, daß sich im Übrigen ein mir zur Ehre gereichendes menschliches Mitgefühl mit eingeschlichen hätte, namentlich was den Rathsdiener Kalle betraf. Dieser nämlich war unser aller Feind, weil er uns, wenn wir uns auf eine städtische Wiese verirrten, um Schmetterlinge zu fangen, immer abzufassen suchte, bei welcher Arbeit ich auch wirklich mal ergriffen und von ihm gepfändet worden war. Ich war jetzt naiv oder selbstsüchtig genug, in dem Tod, den er erlitten, eine gerechte Strafe für die mir widerfahrene Strenge zu sehn und sympathisirte durchaus mit dem hämischen Fischer, der den am Ufer liegenden Kahn vorher durchlöchert und dadurch den Tod beider Inculpaten herbeigeführt hatte. Daß Kalle neun Kinder hinterließ, änderte wenig in meinen Augen. Nichts Egoistischeres als ein halberwachsener Junge. Sonderbarerweise kam der Elsbruch und mit ihm der gefürchtete Gänsepfuhl 30 Jahre später in meinen Besitz, und als ich an die Urbarmachung des Bruches ging und den mit Kraut ganz durchwachsenen Gänsepfuhl ausbaggern ließ, kam auch das Boot wieder ans Licht, darin Hettig und Kalle ihren Tod gefunden hatten, und ich sah nun deutlich die Löcher, die der Kahnbesitzer, um seine fischdiebenden Feinde zu vernichten, hineingebohrt hatte.
Zehn Jahr alt, kam ich auf das Ruppiner Gymnasium und verließ es von Sekunda aus, um noch die Magdeburger Handelsschule zu besuchen, denn es stand fest, daß ich für den Kaufmannsstand erzogen werden sollte. Jahr und Tag war ich in Magdeburg und kam dann in ein Stettiner Modewaarengeschäft, um daselbst die Handlung zu erlernen. Es erging aber meinen Eltern mit mir nicht besser, als mit meinem älteren Bruder Wilhelm: auch mir wollte das Kaufmännische, wenigstens in der Gestalt, in der es mir damals entgegentrat, nicht behagen, und alle meine Neigung richtete sich, wie bei meinem Bruder, auf die Kunst. Ich überwand mich aber und hielt aus. Als ich 20 Jahr war, wollt' ich aus den engen Verhältnissen heraus und in die Welt hinein. Meine Sehnsucht war Paris, was meine Eltern veranlaßte, meinen Oheim, den in Neu-Strelitz wohnenden Rentier Voigt (einen Bruder meiner Mutter) nach Ruppin kommen zu lassen, um mich von meiner Reise-Sehnsucht abzubringen. ›Der Junge geht ins Verderben., sagte Onkel Voigt, ›bringt ihn nach Wittstock. Was soll er in Paris? In Wittstock kann er was lernen.‹ Es half aber alles nichts, ich blieb bei meinem Willen, und meine Mutter war schließlich einsichtig genug, in dieser Frage nachzugeben. Ich packte also meinen Koffer und ging auf zwei Jahre nach Paris. Während der ersten Monate flanirte ich, um die Weltstadt kennen zu lernen, in den Straßen umher, dann nahm ich eine Stellung in einem kaufmännischen Geschäft an und wurde meines Fleißes halber belobt, während man mir das ausbedungene Gehalt schuldig blieb. Meine Collegen lachten darüber und sagten: ›Monsieur, vous avez travaillé pour le roi de Prusse.. Bald danach trat ich, um's besser zu haben, in ein spanisches Commissionshaus ein. Als aber in Folge der ausbrechenden Februar-Revolution (1848) alle Geschäfte zu stocken begannen, gab ich auch diese Stellung wieder auf und zog es vor, eine Reise nach dem südlichen Frankreich, nach Spanien und Algier zu machen. Bei dem Wiedereintreffen in Paris fand ich Briefe vor, die mich in die Heimath zurückberiefen, und vom Sommer 1848 an war ich wieder in Ruppin.
Es folgten diesem ersten großen Ausfluge noch verschiedene Reisen, aber alle waren von kürzerer Dauer. So war ich beispielsweise Anfang der fünfziger Jahre verschiedentlich in Wien und Venedig und 1855 ein halbes Jahr lang in England, bis ich mich das Jahr drauf mit Helene Campe, Tochter des Buchhändlers Julius Campe zu Hamburg (Verleger Heines) verlobte. Mein Papa, als er mich zur Verlobungsfeier nach Hamburg begleitete, schmeichelte sich damit, in meinem Schwiegervater einen wohlhabenden Mann gewonnen zu haben, von dessen Vermögen mir sofort ein erheblicher Bruchtheil zufallen würde. Beide alte Herren unterhielten sich denn auch über diesen Punkt und suchten sich auszuhorchen.
›Was geben Sie Ihrem Sohne mit?‹ fragte Campe.
›50000 Thaler‹, antwortete mein Papa und erwartete eine Gegenerklärung von ungefähr derselben Höhe. Campe aber antwortete nur: ›Wohl Ihnen.‹
Und dabei blieb es. 4000 Thaler abgerechnet, die mir mein Schwiegervater zur Bestreitung der Aussteuer, unmittelbar nach der Trauung, in die Hand drückte.
Glücklicherweise zog ich mit meiner Heirath, auch ohne besondere Legitimirung von Seiten meines Schwiegervaters, ein glückliches Loos. Meine Frau hatte, unter häuslichen Tugenden auch den Vorzug einsichtsvoller Klugheit und die Fähigkeit sich in die Verhältnisse der neuen Familie zu schicken. Aus unserer Ehe wurden uns vier Kinder geboren.
1857 übernahm ich das alte Geschäft in der Stadt, das ich von diesem Zeitpunkt an selbständig leitete. Vier Monate des Jahres befand ich mich in der Regel auf Reisen, um die nötigen Einkäufe zu machen, war ich aber wieder daheim, so langweilte mich der ›Verkauf im Einzelnen‹, und das sogenannte ›Ladengeschäft‹ sagte mir grade so wenig zu, wie vordem. Auch das kleine Ruppiner Leben war durchaus nicht nach meinem Sinn, lauter Dinge, die sich erst zum Bessern kehrten, als mich der Wandel der Zeiten in größere kaufmännische Verhältnisse führte: Kapitals- Associationen fanden statt und eine der großen Gründer-Epoche der siebziger Jahre voraufgehende Aktien- Schwindelzeit brach gerade damals an. In sich verwerflich genug. Aber so verwerflich diese Zeit und ihre Manipulation sein mochten, ja, mit so großen Verlusten sie für mich verknüpft waren, – das ganze kaufmännische Leben erschien mir doch plötzlich in einem neuen Lichte und wenn mich früher das Kleinliche gelangweilt und auch angewidert hatte, so war jetzt etwas da, was mich interessirte, was Gedanken und Spekulation in mir anregte. Mit den größeren Summen, die mir trotz und inmitten meiner Verluste doch immer reichlich wieder zu Händen kamen, ermöglichten sich Unternehmungen der mannigfachsten Art, Ankäufe kamen zu Stande, und große und kleine Liegenschaften theils in Nähe, theils in mehrmeiliger Entfernung von Ruppin, wurden erworben, was schließlich dahin führte, daß wir, mein Vater und ich, eine halbe Quadratmeile Torf- und Wiesen-Terrain im Wustrauschen und im Rhin-Luch besaßen, ja, uns bald danach sogar in der Lage sahn, ein mit einigen fruchtbaren Ackerstreifen durchsetztes Stück Sandland von nicht unbeträchtlichem Umfang anzukaufen. Dies waren die nach Rheinsberg hin gelegenen, Kahlenberge‹, die, nach ihrer Umgestaltung in Acker-, Forst- und Weide-Land, den Namen Gentzrode 85) und ein oder zwei Jahrzehnte später sogar die Rittergutsqualifikation empfingen.«
*
So weit die biographische Skizze, die wir hier abbrechen, um nunmehr von Alexander Gentz in Person nach Gentzrode, dessen Besitz er eben angetreten, zurückzukehren.
Beim Tode des Alten (1867) befand sich das neu geschaffene Gut, um es noch einmal zu sagen, in einem durchaus blühenden Zustande:
Waldkulturen, einschließlich einer großen Baumschule, waren geschaffen;
ein zweiter artesischer Brunnen, um den Mehransprüchen einer (trotz eingetretener Ungunst der Zeiten) immer noch wachsenden Brennerei zu genügen, ward gegraben;
eine sogenannte »Ablage« am Molchowsee, die, weil der Rhin den Molchowsee durchfließt, einen bequemen Wasserverkehr ermöglichte, war unter großen Schwierigkeiten erkämpft;
und endlich umschloß ein Komplex von Scheunen und Ställen (der dominierenden Brauerei zu geschweigen) einen mächtigen und beinah schönheitlich wirkenden Wirtschaftshof.
So war denn das, was der neue Besitzer übernahm, ein blühendes Gewese, das er belassen konnte, wie es war, und zwar um so mehr, als auch schon bei Lebzeiten des Vaters alles nach seinen (des Sohnes) Anschauungen geleitet worden war. In der Tat, er hatte nicht nötig, im Prinzip irgendwas zu ändern und tat es auch nicht, aber er hatte von jetzt an freiere Bewegung und benutzte diese, um alles reicher auszugestalten. Nicht in Richtung und Anschauung, aber im Maß und Tempo wurde geändert.
Das zeigte sich zunächst bei den Waldkulturen, an die der neue Besitzer sofort mit gesteigerter Energie herantrat, weil er von dem lebhaften Wunsche geleitet war, in erster Reihe ein Waldgut aus Gentzrode zu machen. Er begann damit, einhundertundzehntausend junge Eichen aus Holland 86) zu beziehen und in den rajolten Boden einzusetzen. Oberförster Berger aus Alt-Ruppin, Fachmann und Autorität, ritt vorüber und rief ihm zu: »In solchen Boden wollen Sie Eichen pflanzen? Werfen Sie Ihr Geld nicht weg!« Aber der, an den sich dieser Zuruf richtete, ließ sich durch solche Fachmannsurteile nicht abschrecken. Er war kurze Zeit vorher in Potsdam und Babelsberg gewesen und hatte sich an beiden Orten überzeugt, daß die neuen Parkanlagen auf einem Boden erfolgten, der zum Teil nicht besser war, als der seine. Das gab ihm, wenn er desselben noch bedurft hätte, neuen Mut und gestützt auf solche Wahrnehmungen fuhr er in seinen Anpflanzungen fort. Auch aus dem Samen wurde gezogen, selbstverständlich unter Vermeidung alles Willkürlichen und Zufälligen. Professor Koch in Berlin hatte vielmehr, auf Ersuchen, ein Verzeichnis aufgestellt, in dem angegeben war, welche außereuropäischen Bäume am besten geeignet wären, sich im märkischen Sande zu akklimatisieren, und, gestützt auf diese Liste, wurden nunmehr aus Neuyork, Kanada, Kolumbia, Tiflis und Sibirien Samenarten im Betrage von 2000 Talern bezogen und – ausgesät. Das, was am besten aufging, gab eben dadurch den Beweis, auf unserm Boden vorzugsweise verwendbar zu sein, aber auch das derartig Erprobte und Bewährte sah sich noch wieder vor eine engere Wahl gestellt, in der abwechselnd der Baum von größerem Holzwert und der von prächtigerer Laubfärbung seinen Vorzug geltend machte. So wurden Kulturen hergestellt, die, schönheitlich den Schöpfungen des Fürsten Pückler an die Seite zu stellen, zugleich auch als rentabel anzusehen waren und diese Annahme rechtfertigten. Für 10000 Taler Pflanzbäume konnten in wenigen Jahren aus diesen Anlagen verkauft werden und Kontrakte wurden abgeschlossen, nach denen, von Gentzrode her, die Bäume zur Bepflanzung der auf Berlin einmündenden Chausseen geliefert werden sollten. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß die auf dem leichten Boden der »Kahlenberge« gewonnenen Pflanzbäume zu derartigen Anlagen vorzugsweise verwendbar waren.
So viel über die Waldkulturen, denen unausgesetzt ein großes Interesse gewidmet blieb. Indessen, so groß dasselbe war, so stellte sich doch in einer Art Gegensatz zu dem ursprünglichen Plane mehr und mehr heraus, daß, um das Ganze prosperieren zu lassen, auch das Landwirtschaftliche betont und mit Hilfe eines durch die Brennereiabgänge großzuziehenden Viehstandes der Acker verbessert werden müsse. Dies durchzuführen, war es nötig, immer neue Menschen heranzuziehen, die, nachdem sie einmal da waren, auch untergebracht werden mußten. Und so entstand in kürzester Frist eine ganze Straße von Arbeiterwohnungen: einundzwanzig Familienwohnhäuser, jedes einzelne zu vier Familien.
Es konnte nicht ausbleiben, daß bei diesem beständigen Wachsen von Gentzrode das Interesse der Gentzschen Familie ganz in dieser Lieblingsschöpfung aufging, und schließlich dahin führte, wenigstens den Aufenthalt in Sommertagen »draußen« zur Hauptsache, den drinnen in der Stadt zur Nebensache zu machen. Es war dies eine sehr glückliche Zeit, die zuletzt allseitig den Wunsch entstehen ließ, Gentzrode nicht bloß als Villeggiatur der Familie, sondern als Wohnsitz überhaupt anzusehen. Dazu war aber ein Hausbau ganz unerläßlich.
Alexander Gentz selbst hat sehr anschaulich über diesen Zeitabschnitt und wie sich schließlich die Notwendigkeit eines Wohnhauses herausstellte, berichtet:
»Durch eine Reihe von Jahren hin«, so schreibt er, »hatten wir uns mit der Stube des Inspectors begnügt und darin ein gelegentlich mehr als gemüthliches Dasein geführt. Versuchte beispielsweise der Inspector mit seiner schreienden Stimme Wirthschaftsangelegenheiten zu behandeln, so war gewiß ein Torfmeister da, der mit seinen Berichten aus dem Luch dazwischenfuhr. Und damit nicht genug. Das Mädchen kam klappernd mit den Tassen in die Stube, während meine Frau den Kaffeetisch arrangirte. Mäntel und Fußsäcke hingen zwischen Jagdgewehren und Tabackspfeifen und die Wirthschaftsmamsell kam mit einem Häckselkasten, darin eben gelegte Eier lagen, oder mit ein paar Stücken Butter, die mit nach Ruppin wandern sollten. Und nun setzten wir uns an den Kaffeetisch, an dem alles herrschte, nur nicht Ruhe, denn entweder kamen Tagelöhner und Arbeiter, um die Schlüssel vom Schlüsselbrett zu holen, oder ein Polier oder Zimmergeselle trat ein, um Nägel zu fordern oder irgend was andres. Alles so primtiv wie möglich. So viel Tassen, so viel Größen und Muster und kamen dann mehrere von unsren Beamten und Angestellten und setzten sich mit an denselben Tisch, so wurde der Aufguß-Kaffee immer dünner und der Kümmel den wir in der Brennerei leidlich zu mischen verstanden, mußte aushelfen. Aber dem ungeachtet waren dies glückliche Stunden und wenn Fremde mit uns herausgekommen waren, so wählten wir draußen einen Platz im Freien und nahmen Abends unsre saure Milch unter einem Hollunderbaum an windgeschützter Stelle. Die Kinder waren glücklich und der Hang, dies Idyll zu ändern und mit einem prächtigen Bau zu vertauschen, war, vielleicht grade weil wir Gentzrode so liebten, anfänglich höchst gering. Nach und nach stellte sich aber doch, und zwar nach aller Meinung, die Nothwendigkeit heraus, diesen primitiven Zuständen ein Ende zu machen, und als ich in die Lage kam, einen großen an der Landstraße sich hinziehenden Speicher bauen zu müssen, entschloß ich mich, diesem Speicher einen thurmartigen Anbau zu geben, theils um das Straßenbild zu verbessern, theils um endlich einige präsentable Wohnräume zu gewinnen. Und nach diesem Entschlusse wurde denn auch verfahren. Der thurmartige Anbau, mit einem mächtigen Thurmknopf oben, empfing ein großes Zimmer im Erdgeschoß und ein eben so großes im 1. Stock, woran sich dann, im 2. Stock, einige kleinere Räume: Schlafzimmer und Logirzimmer anschlossen.«
So berichtet Alexander Gentz über die Verhältnisse, die diesen turmartigen Speicheranbau mit einem Goldknopf darauf entstehen ließen. Uns erübrigt nur noch, die Räume selbst zu schildern, von denen das Turmzimmer im Erdgeschoß, soviel ich weiß, bis diesen Tag unverändert geblieben ist.
Dies untere Turmzimmer kann als ein in seiner Art interessanter Raum gelten. Man hat hier alles in Bild und Schrift beisammen, die Personen und die Gedanken, die Gentzrode seinerzeit entstehen ließen. Es ist eine dunkelgrüne runde Halle, oben mit goldenen Sternen bemalt. Als Wandbilder (von Wilhelm Gentz herrührend), erst der alte Johann Christian, dann Alexander Gentz, dann der erste Torfmeister, der erste Förster, der erste Brenner, der erste Inspektor. Dazu Versinschriften. Zwischen den beiden Gentz, Vater und Sohn, stehen folgende Reime:
Wer Großes schafft, muß viele Plagen
Mit zähem Muthe fest ertragen.
Auch Dem, der hier den wüsten Sand
Der Kahlenberg' in urbar Land
Verwandelt hat mit Müh und Fleiß,
Ihm machte man sein Streben heiß.
Philisterrede, Spott und Hohn,
War Anfangs seiner Mühe Lohn,
Alsdann des Waldbrands grimme Noth
Hat Untergang ihm fast gedroht.
Doch hat er all die Müh' und Plagen
Mit zähem Muthe fest ertragen.
Er dacht': wem Großes soll gedeihn,
Darf keine Müh und Arbeit scheun,
Muß rüstig brauchen Kopf und Hände,
Dann führt er's doch zum guten Ende.
Dieser längeren Reiminschrift gegenüber stehen folgende kurze Sprüche:
Was verkürzt die Zeit?
Thätigkeit.
Was bringt in Schulden?
Harren und Dulden.
Was macht gewinnen?
Nicht lange besinnen.
Was bringt zu Ehren?
Sich wehren.
So das runde Zimmer im Erdgeschoß. Auch das im ersten Stock war seinerzeit reich geschmückt mit Teppichen, Geweihen und Tigerfellen, mit Raubvögeln und Wildschweinsköpfen, meist selbstgemachte Jagdbeute. Dazwischen waren andre Räume mit Waffen gefüllt, so daß sie einer Rüstkammer glichen; oben aber lief ein Außengang um den Turm herum, von dem aus man einen trefflichen Überblick über Näh' und Ferne hatte.
Das obere Zimmer war Arbeitszimmer für Alexander Gentz, wenn er, auf länger oder kürzer, in Gentzrode verweilte, während das Rundzimmer im Erdgeschoß als Empfangsraum für die Besucher diente, deren sich, in den Sommermonaten, beinah täglich etliche hier zusammenfanden. Auch solche, die für längere Zeit in Gentzrode verweilten, hatten in diesem Parterreraum ihr regelmäßiges Frühstücksrendezvous mit der Familie. Diese Besucher waren meist Freunde aus Berlin, unter ihnen Adolf Stahr und Fanny Lewald, die hier vorübergehend ihren Sommeraufenthalt nahmen.
*
All dies war in den ersten siebziger Jahren. Aber wie seinerzeit das »Inspektorhaus« nicht mehr genügt hatte, so wollte jetzt auch der »Turmausbau« nicht mehr genügen und Alexander Gentz, dessen Torfgeschäft »im Wustrauer Luch« nach wie vor große Gewinnsummen abwarf, hielt jetzt den Zeitpunkt für gekommen, um seine speziell hier in Gentzrode von Anfang an auf das künstlerisch Prächtige gerichteten Ideen verwirklichen zu können. Mit andern Worten, es handelte sich darum, zum Abschluß des Ganzen ein Schloß, einen Park, ein Mausoleum entstehn zu lassen. Und mit dem ihm eignen Feuereifer ging er an die Durchführung dieser neuen Idee. Sein Bruder Wilhelm, der schon damals, einigermaßen kopfschüttelnd, dem allen zusehen mochte, schreibt mir über das Vorgehen aus jenen Tagen: »Alexander wandte sich zunächst an die Herren Kyllmann und Heyden und bat dieselben um einen Entwurf. Aber was die Herren ihm einsandten, eine reizende Zeichnung im Villenstil, mißfiel ihm, weil es ihm nicht groß genug war. Er ging nun die Herren Gropius und Schmieden um einen andern Plan an. Dieser kam und gefiel ihm. Er war mehr oder weniger orientalischem Geschmacke angepaßt und diesem neuen Plane gemäß, ward denn auch beschlossen, mit dem Bau zu beginnen. Zuvor aber erschien meinem Bruder Alexander, und von seinem Standpunkt aus mit Recht, eine Erhöhung des Terrains nothwendig und zwar ›imposanteren Aussehns halber‹. Viele Tausende wurden dafür ausgegeben. Schmieden erzählte mir später, es sei ihm angst und bange geworden bei den Ausgaben, die das alles verursacht habe. Nun gleichviel, es kam zu Stande, desgleichen eine dem Schloß gegenübergelegene, durch eine künstliche Felsengrotte verschönte Parkanlage, die Richard Lucae, bei seinem Besuch in Gentzrode, ein Meisterstück gärtnerischer Kunst nannte.«87)
So war das, was hier entstand. Die ganze Prachtschöpfung ging ihrem Abschluß entgegen, und nur das »Mausoleum« fehlte noch. Die Pläne zu demselben lagen schon vor und Alexander Gentz war von einer fieberhaften Hast erfüllt, daß mit der Ausführung begonnen werde. Die Mittel waren da, denn es war die Zeit unmittelbar nach den Gründerjahren und Ansehen und Vermögen standen auf der Höhe. »Gestehe, daß ich glücklich bin«, konnte der Herr auf Gentzrode, wenn er Umschau hielt, wie König Polykrates ausrufen und im Gefühle dieses seines Glücks kam er auf den Einfall, neben andrem auch sein und seines Werkes eigner Geschichtsschreiber sein zu wollen. Diesem Einfall verdanken wir ein, meines Wissens, in seiner Art einzig dastehendes Schriftstück. Energisch und rasch wie in allem, so ging er auch in dieser Sache vor und schrieb eine Geschichte der Entstehung von Gentzrode nieder, die, nach seinem Wunsch und Willen, in den großen vergoldeten Turmknopf des in Vorstehendem ausführlich geschilderten Speicheranbaus deponiert werden sollte. Der Ernst, fast könnte man sagen die Feierlichkeit, mit der er dabei verfuhr, erhellt am besten aus den Einleitungsworten zu dieser »Urkunde«. Dieselben lauten:
»Im Namen Gottes!«
»Im Namen Gottes! Johann Christian Gentz und ich, Alexander Gentz (Sohn Johann Christians) haben das auf den Kahlenbergen bei Neu-Ruppin belegene Gut Gentzrode durch Ankauf von Ländereien im Jahre 1856 begründet und das Jahr drauf mit Herstellung der nöthigen Wirthschaftsgebäude begonnen. In den vergoldeten Knopf, den ich dem Thurm am Kornspeicher vor Jahren gegeben habe, soll diese Schrift niedergelegt werden und unseren Nachkommen über unsre bisherige Wirksamkeit auf Gentzrode Kunde geben.«
So der Beginn, an den sich, am Schluß des Ganzen, folgende Worte reihen:
»Die vorstehenden, für den Thurmknopf am Kornspeicher bestimmten Aufzeichnungen habe ich in den Nächtestunden geschrieben, die mir der letzte Winter gewährte. Der erste Gedanke war, nur einfach in richtiger Reihenfolge niederzuschreiben, wie das alles nach und nach entstand. Im Schreiben selbst aber kam mir dann die Lust zu allerhand Exkursionen, die nun Schlaglichter warfen auf die Personen, mit deren Beschränktheit und Schlauheit ich all die Zeit über zu kämpfen hatte. Was ich im Luch an Torfwiesen erstand, das hatte nur den Zweck des Gelderwerbes, meine Thätigkeit in Gentzrode dagegen war meine Lust und Freude. Zugleich hab ich es ins Leben gerufen, um es zur Grundlage für den Wohlstand und Zusammenhalt einer Familie zu machen, denn der Grundbesitz bleibt das sicherste und stabilste Besitzthum.«
So schrieb er damals, ahnungslos, wie bald diese Herrlichkeit und mit ihm der stolze Plan eines andauernden Familienbesitzes zusammenbrechen würde. Die Katastrophe war nah.
Aber ehe wir diese schildern, wenden wir uns dem Manuskript zu, das in den vergoldeten Turmknopf gelegt werden sollte.
__________________
85) Dieser sehr anfechtbare Name »Gentzrode« war das Resultat langen Suchens, was man ihm leider auch anmerkt. Alexander Gentz hatte »Helenenhof« vorgeschlagen, in Huldigung gegen seine Frau Helene, was, wenn angenommen, durchschnittsmäßig, aber wenigstens richtig gewesen wäre. Man war jedoch mit dem Einfachen und Natürlichen nicht zufrieden und forschte nach etwas Besserem. Unter denen, die befragt wurden, war natürlich auch Wilhelm Gentz, damals in Paris, der nicht säumte, bei seinen Freunden und Kunstgenossen eine Art Preisausschreiben zu veranstalten. Henneberg, dem in seiner Eigenschaft als Braunschweiger die »rodes« nahe lagen, verfiel auf »Gentzrode«, was sofort jubelnd begrüßt und auch in Ruppin vom alten Gentz angenommen wurde. Meinem Ermessen nach jedoch ist es, um es zu wiederholen, ein so schlecht gewählter Name wie nur irgend möglich, weil in zwiefacher Beziehung verwirrend. Erstlich gab es auf den Kahlenbergen überhaupt nichts zu »roden«, gerodet kann immer nur da werden, wo Wald ist und nicht auf einer Sanddüne. Was aber fast noch schlimmer ist, ist das, daß jeder, der den Namen hört, Gentzrode da suchen wird, wo die »rodes« zu Hause sind, also im Harz, nicht aber im Ruppinschen. Eine solche willkürliche Namensgebung ist, auf geographische Orientierung angesehen, nicht viel besser als ein falscher Wegweiser.
86) »Daß ich«, so schreibt A. Gentz an anderer Stelle, »den Versuch mit diesen holländischen Eichen machen konnte, verdanke ich dem Grafen v. Königsmarck auf Netzeband und Plaue, vordem preußischem Gesandten im Haag. Als ich ihn auf seinem Schloß Plaue besuchte, zeigte er mir auf schlechtem Boden Eichenpflanzungen, die mit vortrefflichem Erfolg gemacht waren, und ich erfuhr nun, daß es aus Holland bezogene Pflänzlinge seien. Mit großer Liebenswürdigkeit übernahm er es mir dergleichen in Holland zu bestellen, sogar die Zahlung dafür zu leisten, so daß ich die bald danach eintreffenden Pflänzlinge nur vom Neustädter Bahnhof abzuholen hatte und zwar in drei Transporten, erst 20000, dann 40000, dann 50000 Stück. Alles gedieh vortrefflich.«
87) Von anderer Seite her wird mir über eben diesen Park geschrieben: »Überraschend schön und kühn ist die westlich vom Gutshofe sich hinziehende Parkanlage. Die Verteilung von Rasenflächen und Busch innerhalb derselben, die Gruppierungen von Nadel- und Laubhölzern, endlich die Auswahl der letzteren in bezug auf Wechsel in der Farbe des Laubes je nach der Jahreszeit – all das ist das Resultat eines geläuterten Geschmacks. Entworfen wurde das Ganze von dem verstorbenen Gartendirektor Meyer aus Berlin, ausgeführt aber von Alexander Gentz selbst, der im einzelnen auch zu kleinen Änderungen schritt. Ob zum Vorteil, stehe dahin. Der Park schließt ab mit einer Felsengrotte, zu der mächtige, bis zu 50 Fuß hohe Felsblöcke verwandt wurden, um deren Wände sich dichter Efeu rankt.«