DAEDALUS, i, Gr. Daidalos, ou,
1 §. Namen. Da daidalos im Griechischen so viel, als etwas künstlich gemachtes heißt, Homer. Il. X. v. 179. und lange vor diesem Dädalus daidala, so viel als geschnitzte oder gehauene Statuen geheißen haben, so wollen einige, dass Dädalus nicht sein eigentlicher Namen gewesen, sondern ihm erst von seiner Kunst und Profession gegeben worden, Pausan. Boeot. c. 3. p. 546. ob gleich nicht bekannt ist, wie er sonst eigentlich geheißen haben soll.
2 §. Herkommen. Sein Vater war, nach einigen, Euphemus, Hygin. Fab. 39. nach anderen, Palamaon; Pausan. Boeot. c. 3. p. 546. Richtiger aber wird er Eupalamus genannt und für einen Sohn des Metions und der Alcippe angegeben. Apollod. lib. III. c. 14. §. 8. Doch kehren es einige um und machen den Metion, welchen sie Hymetion nennen, zu seinem Vater und den Eupalamus zu seinem Großvater. Diod. Sic. L. IV. c. 78. p. 192. Da nun solcher Metion selbst des Königs Erechtheus zu Athen Sohn war, Pausan. Corinth. c. 6. p. 96. so erhellt daher, dass er allerdings königliches Herkommens gewesen, daher er auch bald zu den Erechthiden, Diod. Sic. l. c. bald zu den Metioniden unter den Athenern gerechnet wird. Pausan. Ach. c. 4. p. 403.
3 §. Leben und Werke. Er war ein künstlicher Bildhauer und Baumeister, der seine Kunst selbst von der Minerva sollte erlernt haben, Hygin. Fab. 39. Er erfand bei derselben verschiedene Werkzeuge, als die Axt, die Richtwage und den Stichbohrer. Plin. H. N. lib. VII. c. 56, sect. 57. Er soll auch zuerst einen Mastbaum in den Schiffen errichtet, Segelstangen daran gemacht und sich der Segel statt der Ruder bedient haben. Ibid. Pausan. Bæot. c. 11. p. 558. Insbesondere setzte er sich dadurch in eine große Hochachtung, dass er der erste war, der die Statuen mit offenen Augen, ausgestreckten Armen und voneinander getanen Beinen verfertigte. Dies machte, dass sie als lebendig aussahen; da hingegen die älteren, welche nichts davon an sich hatten, ganz tot dagegen schienen. Diod. Sic. lib. IV. c. 78. p. 102. Doch soll er auch eine Bildsäule der Venus gemacht haben, die vermittelst hineingetanen Quecksilbers wirklich gegangen sei. Aristot. de anima L. I. c. 3. p. 622. T. I. Opp. Man hält solches aber nur für eine Spielerei. Gedoyn Hist. de Dedale. Mem. de l'Ac. des Ins. T. XIII. p. 277. Einige halten ihn sogar für den ersten Erfinder der Statuen, Apol. lod. lib. III. c. 14. §. 8. weil vielleicht der vorhergehenden Bildhauer Arbeit mehr Klötzer oder Steine als wahrhafte Bildsäulen heißen konnten. Er war hierbei nach der meisten Künstler Art so neidisch, dass er es sogar nicht leiden konnte, dass selbst seiner Schwester Sohn, Talus, welchen er in der Lehre bei sich hatte, einige nützliche Werkzeuge erfand, Hygin. & Diod. ll. cc. und er ihn bloß deshalb zu Athen von dem Schloss hinab stürzte oder heimlich umbrachte. Siehe Talos. Allein, als er deshalb von dem Areopagus wieder des Todes schuldig zu sein erkannt wurde, so machte er sich mit der Flucht darvon. Apollod. l. c. §. 9. Jedoch soll er sich anfänglich zu einer der atheniensischen Kurien, die von ihm danach die dädalische genannt worden, gewendet, von da aber sich zu dem König Minos nach Kreta begeben haben. Diodor. Sic. l. c. Er machte sich bei demselben und dessen Töchtern insbesondere durch seine künstliche Arbeit beliebt, Pausan. Achaic. c. 4. p. 403. worunter zuförderst ein künstlicher Tanz junger Gesellen und Jungfern unter einander von weißem Steine war, welchen er der Ariadne verfertigte. Homer. Il. S. v. 518. & Pausan. Boeot. c. 40. Währendes seines Aufenthaltes in dieser Insel baute er zu Gnossus den Labyrinth, worin danach der Minotaurus aufbehalten wurde. Apollod. l. c. §. 8. Das Muster dazu soll er aus Ägypten geholt, jedoch nicht völlig nachgemacht haben. Plin. H. N. lib. XXXVI. c. 13. Diod. Sic. L. I. p. 61. Als aber nachher des Königs Gemahlin, Pasiphae, sich in einen schönen Stier verliebte und er durch Verfertigung einer hölzernen Kuh machte, dass sie ihren seltsamen Begierden ein Genügen tun konnte, so ließ ihn Minos nebst dessen Sohn, dem Ikarus, in einen Turm gefangen setzen. Allein, er bekam daselbst Wachs und Leinwand und machte so wohl sich als gedachtem seinem Sohne Flügel davon, wie er noch auf vielen geschnittenen Steinen bei dieser Arbeit vorgestellt wird. Beger. Spic. Ant. p. 64. Wilde Gem. sel. n. 161. Maffei Gem. ant. T. III. tav. 88. Cf. Lipperts Dactylioth. II Taus. 12 u. f. f. S. Auf einer erhabenen Arbeit in der Villa Albani, hat er den Ikarus dabei neben sich stehen, welchem seine Flügel schon angesetzt sind. Vinkelm. Monum. ant. 95. p. 129. Vermittelst dieser Flügel flogen sie beide davon; und zwar entkam er glücklich über die See nach Sizilien, Ikarus aber, der seinen Mahnungen nicht folgte, sondern sich so hoch an die Sonne machte, dass die Flügel von deren Hitze zerschmolzen, stürzte ins Meer und ersoff. Diodor. Sic. l. c. c. 79. p. 193. & Ovid. Metam. VIII. v. 183. itemque Lact. Plac. Narr. lib. VIII. Fab. 3. Nach einigen gab er der Ariadne Mittel an die Hand, wie sie dem Theseus wieder aus dem Labyrinth helfen sollte. Da nun solcher nicht allein den Minotaurus umgebracht hatte, sondern auch noch damit der Ariadne durchgegangen war, Minos aber solches alles endlich erfahren, so soll er ihn dafür wieder in den Labyrinth haben versperren lassen. Allein als ihm seine Freunde Wachs zugesteckt, indem er vorgab, ein Kunststück daraus zu verfertigen, womit er des Königs Gnade wieder erlangen wollte, so machte er sich Flügel und entfloh also sammt dem Ikarus. Er kam aber, wie man will, erst nach Sardinien und von da nach Cumä in Italien, woselbst er dem Apollo einen Tempel erbaute, ihm seine Flügel widmete und seine ganze Historie an die Türen solches Tempels mahlte. Serv. ad Virgil. Aen. VI. v. 14. Als er nachher von Cumä nach Sizilien ging und sich daselbst gar bald bei dem König Kokalus und dessen Töchtern in Gunst setzte, so langte bald darauf auch Minos mit seiner Flotte allda an und forderte den Dädalus wieder ab. Allein, es wußte Kokalus diesen so aufzuhalten, dass seine Töchter, hinter welche sich Dädalus insbesondere gesteckt hatte, endlich Gelegenheit fanden, den Minos selbst hinrichten, womit denn Dädalus in völlige Sicherheit gesetzt wurde. Pausan. l. c. Er hielt sich auch lange Zeit allda auf und lebte seiner Künste wegen in großem Ansehen; wie er denn unter anderen ein sehr künstliches Werk baute, welches Kolymbethra hieß, wodurch sich der Fluß Alabo ins Meer ergoß. Ferner erbaute er auf einem sehr hohen Felsen eine ganz unüberwindliche Stadt, weil er einen so engen und krummen Weg dahinauf verfertigte, dass drei bis vier Leute allein sie wider einen jeden Feind verteidigen konnten, weswegen auch Kokalus seine Residenz, zuförderst aber seine Schätze dahin verlegte. Drittens machte er eine Höhle dergestalt zurecht, dass die Wärme von dem unterirdischen Feuer den Menschen auf die angenehmste Art den Schweiß in derselben austrieb. Viertens erweiterte er durch eine ausgeführte Mauer den Platz des Tempels der Venus auf dem Berg Eryx, dass solcher zu oberst seinen geziemenden Raum bekam; und solcher Göttin selbst machte er einen Honigkuchen aus Gold, der einem natürlichen so ähnlich war, dass kein Unterschied dabei zu bemerken stand, und was alles dergleichen mehr gewesen. Diodor. Sic. l. c. c. 80. p. 193. & 194. Sonst waren seine Werke noch eine Statue des Herkules zu Theben und des Trophonius bei den Lebadensern, die Britomartis zu Oluns in Kreta und die Minerva zu Knossus, imgleichen eine Venus in der Insel Delos, Pausan. Bæot. c. 40. p. 605. und ein Herkules zu Korinth. Ob aber wohl solche Statuen insgesamt noch ziemlich roh und unausgearbeitet waren, so sollen sie dennoch insgeheim etwas an sich gehabt haben, woraus gleichsam etwas göttliches hervor geblickt. Idem Corinth. c. 4. p. 92. Seine Söhne waren Scyllis und Dipönus, auch ein Paar berühmte Bildhauer, welche er mit einer Tochter des Gortys gezeugt haben soll, obwohl andere sie nur für seine Lehrlinge ausgeben. Idem ibid. c. 15. p. 111. So soll er auch den Jäpyx mit einer Kreterin, den oberwähnten Ikarus aber mit der Naukrate, einer Sklavinn, gezeugt haben. Natal. Com. lib. VII. c. 16. Sein Ruhm war überaus groß, obgleich Plato schon zu seiner Zeit den Sokrates sagen ließ, dass ihn die damals lebenden Künstler nur auslachen würden, wenn er wiederkommen und nach seiner Art arbeiten würde. Platon. Hippias maj. p. 125. Nichts destoweniger hatte man ihm auf einer Insel unsern von Memphis einen Tempel erbaut, worinnen er göttlich verehrt wurde; und man hatte seine von ihm selbst verfertigte Bildsäule in den Tempel des Vulkans zu Memphis gesetzt, wozu er die Vorhalle gebaut hatte. Diod. Sic. L. I. p. 61. Hieraus hat man schließen wollen, er sei zum anderen Male wieder nach Ägypten gegangen und daselbst gestorben, weil man sonst nirgend von seinem Tode etwas finde. Gedoyn Hist. de Dedale l. c. p. 289.
4 §. Eigentliche Historie. Dass das meiste, was von ihm gemeldet wird, wahre Historien sein, steht noch wohl zu glauben. Allein, seine gemachte hölzerne Kuh ist wohl nichts anders als sein Haus oder Lusthaus gewesen, worin er der Pasiphae Gelegenheit gegeben, mit ihrem Liebhaber, dem Taurus, zusammen zu kommen, Tzetz. ap. Nat. Com. lib. VI. c. 5. weil eine Frau und ein eigentlicher Stier auf keine Art einige Gemeinschaft mit einander haben oder sich begatten können. Palæphat. de Incred. c. 2. & Heraclit. de iisd. c. 6. So sind auch seine wächsernen Flügel nichts als ein Schiff, worauf er durchgegangen, nachdem er sich zu einem Fenster hinaus aus seinem Gefängnis davon gemacht, Palæphat. l. c. c. 13. Cf. Diod. Sic. lib. IV. c. 79. p. 193. oder, insbesondere ein Segel, das er aufgespannt, als er von des Minos Ruderschiffen verfolgt wurde, durch dessen Beihilfe er denn bei gutem Winde seinen Feinden glücklich entging. Pausan. Boeot. c. 11. p. 558. Cf. Banier Entret. XV. ou P. II. p. 123. Dess. Erl. der Götterl. IV B. 431 S. Wenn aber sonst noch vorgegeben wird, dass er Statuen gemacht, die von sich selbst gehen können, so ist solches in so weit nichts unmögliches, weil dergleichen noch jetzt durch innerliches Triebwerk gemacht werden können. Doch bei des Dädalus Statuen hat es keine andere Bedeutung, als dass er solche mit von einander gesetzten Beinen gemacht, wie schon vorher beigebracht worden. Palæphat. loc. cit. c. 22. & quos ad eum laudat Thom. Gale l. c.
5 §. Anderweitige Deutung. Einmal soll er zum Exempel dienen, dass Bosheit von Gott nicht ungestraft bleibe, wie er denn seiner Schwester Sohn unrechtmäßiger Weise ums Leben gebracht, danach auch wiederum allerhand Not und Gefahr ausstehen müssen. Nat. Com. lib. VII. c. 16. Hiernächst soll er bemerken, dass nichts unversucht bleiben sollte, wenn man in Not und Gefahr stecke. Masen. Spec. ver. occ. c. XLII. n. 101. Die von ihm entstandenen Sprichwörter: Dædalium remigium, Plaut. ap. Erasm. Adag. pag. 236. und Dædali opera, Gr. Daidaleia poiêmata, Suidas Daidalou poiêmata, s. Tom. I. p. 514. Erasm. l. c. p. 348. wie auch Dædali alæ, Daidalou pteri, Idem ibid. bedeuten ersteres eine besondere Geschwindigkeit; Erasm. loc. cit. p. 236. das zweite aber allerhand neue und künstliche Erfindungen, Idem ib. 348. und das dritte ein Mittel, dessen man sich in der äußersten Not und Verzweifelung bedienet. Diogenianus ap. Kuster. ad Suid. loc. cit. Ferner bemerkt er auch, dass große Künstler insgemein sehr neidisch sind; ihnen aber eben kein großer Tort geschieht, wenn sie gleich ein Land meiden müssen, weil sie überall lieb und angenehm sind; hiernächst dass viele nichtige Künste zwar durch die Gesetze verboten, und, wie er, von dem Minos, verfolgt worden, jedoch aber nicht unterdrückt werden können, bis sie endlich wie Ikarus fallen und ihre Nichtigkeit verraten. Baco Verulam. de Sap. Vet. c. 19. Die Tragödie, welche Sophokles von ihm geschrieben, ist verloren gegangen. Fabr. Biblioth. Gr. lib. II. c. 17. §. 3.