Vorwort
Alle diese fremdartigen Teile und Zutaten mußten wieder in Verbindung gebracht werden durch die seltsamsten Galerien, Hallen und Gänge. Alle Beschädigungen, es sei von Feindeshand oder durch die Gewalt der Zeit, wurden gleich wieder hergestellt. Man zog, wie es nötig ward, tiefere Gräben, erhöhte die Mauern, und ließ es nicht an Türmen, Erkern und Schießscharten fehlen. Diese Sorgfalt, diese Bemühungen brachten ein Vorurteil von dem hohen Werte der Festung hervor und erhielten's, obgleich Bau- und Befestigungskunst die Zeit über sehr gestiegen waren und man sich in andern Fällen viel bessere Wohnungen und Waffenplätze einzurichten gelernt hatte. Vorzüglich aber hielt man die alte Burg in Ehren, weil sie niemals eingenommen worden, weil sie so manchen Angriff abgeschlagen, manche Befehdung vereitelt und sich immer als Jungfrau gehalten hatte. Dieser Name, dieser Ruf dauert noch bis jetzt. Niemanden fällt es auf, daß der alte Bau unbewohnbar geworden. Immer wird von seiner vortrefflichen Dauer, von seiner köstlichen Einrichtung gesprochen. Pilger wallfahrten dahin, flüchtige Abrisse zeigt man in allen Schulen herum und empfiehlt sie der empfänglichen Jugend zur Verehrung, indessen das Gebäude bereits leersteht, nur von einigen Invaliden bewacht, die sich ganz ernsthaft für gerüstet halten.
Es ist also hier die Rede nicht von einer langwierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt schon als ein verlassenes, Einsturz drohendes Altertum und beginnen sogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hineinscheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene labyrinthisch unzusammenhängende Bauart, das enge Notdürftige, das zufällig Aufgedrungene, das absichtlich Gekünstelte, das kümmerlich Geflickte. Ein solcher Einblick ist aber alsdann nur möglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewölbe nach dem andern fällt und der Schutt, soviel sich tun läßt, auf der Stelle hinweggeräumt wird.
Dieses zu leisten und womöglich den Platz zu ebnen, die gewonnenen Materialien aber so zu ordnen, daß sie bei einem neuen Gebäude wieder benutzt werden können, ist die beschwerliche Pflicht, die wir uns in diesem zweiten Teile auferlegt haben. Gelingt es uns nun, mit froher Anwendung möglichster Kraft und Geschickes, jene Bastille zu schleifen und einen freien Raum zu gewinnen, so ist keinesweges die Absicht, ihn etwa sogleich wieder mit einem neuen Gebäude zu überbauen und zu belästigen; wir wollen uns vielmehr desselben bedienen, um eine schöne Reihe mannigfaltiger Gestalten vorzuführen.
Der dritte Teil bleibt daher historischen Untersuchungen und Vorarbeiten gewidmet. Äußerten wir oben, daß die Geschichte des Menschen den Menschen darstelle, so läßt sich hier auch wohl behaupten, daß die Geschichte der Wissenschaft die Wissenschaft selbst sei. Man kann dasjenige, was man besitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor uns besessen, zu erkennen weiß. Man wird sich an den Vorzügen seiner Zeit nicht wahrhaft und redlich freuen, wenn man die Vorzüge der Vergangenheit nicht zu würdigen versteht. Aber eine Geschichte der Farbenlehre zu schreiben oder auch nur vorzubereiten war unmöglich, solange die Newtonische Lehre bestand. Denn kein aristokratischer Dünkel hat jemals mit solchem unerträglichen Übermute auf diejenigen herabgesehen, die nicht zu seiner Gilde gehörten, als die Newtonische Schule von jeher über alles abgesprochen hat, was vor ihr geleistet war und neben ihr geleistet ward. Mit Verdruß und Unwillen sieht man, wie Priestley in seiner Geschichte der Optik, und so manche vor und nach ihm, das Heil der Farbenwelt von der Epoche eines gespalten sein sollenden Lichtes herdatieren, und mit hohem Augbraun auf die ältern und mittleren herabsehen, die auf dem rechten Wege ruhig hingingen und im einzelnen Beobachtungen und Gedanken überliefert haben, die wir nicht besser anstellen können, nicht richtiger fassen werden.
Von demjenigen nun, der die Geschichte irgendeines Wissens überliefern will, können wir mit Recht verlangen, daß er uns Nachricht gebe, wie die Phänomene nach und nach bekannt geworden, was man darüber phantasiert, gewähnt, gemeint und gedacht habe. Dieses alles im Zusammenhange vorzutragen, hat große Schwierigkeiten, und eine Geschichte zu schreiben ist immer eine bedenkliche Sache. Denn bei dem redlichsten Vorsatz kommt man in Gefahr unredlich zu sein; ja wer eine solche Darstellung unternimmt erklärt zum voraus, daß er manches ins Licht, manches in Schatten setzen werde.
Und doch hat sich der Verfasser auf eine solche Arbeit lange gefreut. Da aber meist nur der Vorsatz als ein Ganzes vor unserer Seele steht, das Vollbringen aber gewöhnlich nur stückweise geleistet wird, so ergeben wir uns darein, statt der Geschichte Materialien zu derselben zu liefern. Sie bestehen in Übersetzungen, Auszügen, eigenen und fremden Urteilen, Winken und Andeutungen, in einer Sammlung, der, wenn sie nicht allen Forderungen entspricht, doch das Lob nicht mangeln wird, daß sie mit Ernst und Liebe gemacht sei. Übrigens mögen vielleicht solche Materialien, zwar nicht ganz unbearbeitet, aber doch unverarbeitet, dem denkenden Leser um desto angenehmer sein, als et selbst sich, nach eigener Art und Weise, ein Ganzes daraus zu bilden die Bequemlichkeit findet.
Mit gedachtem dritten historischen Teil ist jedoch noch nicht alles getan. Wir haben daher noch einen vierten supplementaren hinzugefügt. Dieser enthält die Revision, um derentwillen vorzüglich die Paragraphen mit Nummern versehen worden. Denn indem bei der Redaktion einer solchen Arbeit einiges vergessen werden kann, einiges beseitigt werden muß, um die Aufmerksamkeit nicht abzuleiten, anderes erst hinterdrein erfahren wird, auch anderes einer Bestimmung und Berichtigung bedarf, so sind Nachträge, Zusätze und Verbesserungen unerläßlich. Bei dieser Gelegenheit haben wir denn auch die Zitate nachgebracht. Sodann enthält dieser Band noch einige einzelne Aufsätze, zum Beispiel über die atmosphärischen Farben, welche, indem sie in dem Entwurf zerstreut vorkommen, hier zusammen und auf einmal vor die Phantasie gebracht werden.
Führt nun dieser Aufsatz den Leser in das freie Leben, so sucht ein anderer das künstliche Wissen zu befördern, indem er den zur Farbenlehre künftig nötigen Apparat umständlich beschreibt.
Schließlich bleibt uns nur noch übrig der Tafeln zu gedenken, welche wir dem Ganzen beigefügt. Und hier werden wir freilich an jene Unvollständigkeit und Unvollkommenheit erinnert, welche unser Werk mit allen Werken dieser Art gemein hat.
Denn wie ein gutes Theaterstück eigentlich kaum zur Hälfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der größere Teil desselben dem Glanz der Bühne, der Persönlichkeit des Schauspielers, der Kraft seiner Stimme, der Eigentümlichkeit seiner Bewegungen, ja dem Geiste und der guten Laune des Zuschauers anheimgegeben bleibt, so ist es noch viel mehr der Fall mit einem Buche, das von natürlichen Erscheinungen handelt. Wenn es genossen, wenn es genutzt werden soll, so muß dem Leser die Natur entweder wirklich oder in lebhafter Phantasie gegenwärtig sein. Denn eigentlich sollte der Schreibende sprechen und seinen Zuhörern die Phänomene, teils wie sie uns ungesucht entgegenkommen, teils wie sie durch absichtliche Vorrichtungen nach Zweck und Willen dargestellt werden können, als Text erst anschaulich machen; alsdann würde jedes Erläutern, Erklären, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht ermangeln.
Ein höchst unzulängliches Surrogat sind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beizulegen pflegt. Ein freies physisches Phänomen, das nach allen Seiten wirkt, ist nicht in Linien zu fassen und im Durchschnitt anzudeuten. Niemand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren zu erläutern; bei den
physischen nah verwandten ist es jedoch hergebracht, weil sich eins und das andre dadurch leisten läßt. Aber sehr oft stellen diese Figuren nur Begriffe dar; es sind symbolische Hülfsmittel, hieroglyphische Überlieferungsweisen, welche sich nach und nach an die Stelle des Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und die wahre Erkenntnis hindern, anstatt sie zu befördern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir sie so einzurichten gesucht, daß man sie zum didaktischen und polemischen Gebrauch getrost zur Hand nehmen, ja gewisse derselben als einen Teil des nötigen Apparats ansehen kann.
Und so bleibt uns denn nichts weiter übrig, als auf die Arbeit selbst hin zu weisen, und nur vorher noch eine Bitte zu wiederholen, die schon so mancher Autor vergebens getan hat und die besonders der deutsche Leser neuerer Zeit so selten gewährt:
Si quid novisti rectius istis, Candidus imperti; si non, his utere mecum.