XXXVIII. Steigerung
517. Die Steigerung erscheint uns als eine In-sichselbst- Drängung, Sättigung, Beschattung der Farben. So haben wir schon oben bei farblosen Mitteln gesehen, daß wir durch Vermehrung der Trübe einen leuchtenden Gegenstand vom leisesten Gelb bis zum höchsten Rubinrot steigern können. Umgekehrt steigert sich das Blau in das schönste Violett, wenn wir eine erleuchtete Trübe vor der Finsternis verdünnen und vermindern (150, 151).
518. Ist die Farbe spezifiziert, so tritt ein Ähnliches hervor. Man lasse nämlich Stufengefäße aus weißem Porzellan machen und fülle das eine mit einer reinen gelben Feuchtigkeit, so wird diese von oben herunter bis auf den Boden stufenweise immer röter und zuletzt orange erscheinen. In das andre Gefäß gieße man eine blaue reine Solution, die obersten Stufen werden ein Himmelblau, der Grund des Gefäßes ein schönes Violett zeigen. Stellt man das Gefäß in die Sonne, so ist die Schattenseite der obern Stufen auch schon violett. Wirft man mit der Hand oder einem andern Gegenstande Schatten über den erleuchteten Teil des Gefäßes, so erscheint dieser Schatten gleichfalls rötlich.
519. Es ist dieses eine der wichtigsten Erscheinungen in der Farbenlehre, indem wir ganz greiflich erfahren, daß ein quantitatives Verhältnis einen qualitativen Eindruck auf unsre Sinne hervorbringe. Und indem wir schon früher, bei Gelegenheit der letzten epoptischen Farben (485), unsre Vermutungen eröffnet, wie man das Anlaufen des Stahls vielleicht aus der Lehre von trüben Mitteln herleiten könnte, so bringen wir dieses hier abermals ins Gedächtnis.
520. Übrigens folgt alle chemische Steigerung unmittelbar auf die Erregung. Sie geht unaufhaltsam und stetig fort, wobei man zu bemerken hat, daß die Steigerung auf der Plusseite die gewöhnlichste ist. Der gelbe Eisenocker steigert sich sowohl durchs Feuer als durch andre Operationen zu einer sehr hohen Röte. Massicot wird in Mennige, Turbit in Zinnober gesteigert, welcher letztere schon auf eine sehr hohe Stufe des Gelbroten gelangt. Eine innige Durchdringung des Metalls durch die Säure, eine Teilung desselben ins empirisch Unendliche geht hierbei vor.
521. Die Steigerung auf der Minusseite ist seltner, ob wir gleich bemerken, daß je reiner und gedrängter das Berlinerblau oder das Kobaltglas bereitet wird, es immer einen rötlichen Schein annimmt und mehr ins Violette spielt.
522. Für diese unmerkliche Steigerung des Gelben und Blauen ins Rote haben die Franzosen einen artigen Ausdruck, indem sie sagen, die Farbe habe einen Oeil de Rouge, welches wir durch einen rötlichen Blick ausdrücken könnten.