X. Dioptrische Farben der ersten Klasse
145. Der Raum, den wir uns leer denken, hätte durchaus für uns die Eigenschaft der Durchsichtigkeit. Wenn sich nun derselbe dergestalt füllt, daß unser Auge die Ausfüllung nicht gewahr wird, so entsteht ein materielles, mehr oder weniger körperliches, durchsichtiges Mittel, das luft- und gasartig, flüssig oder auch fest sein kann.
146. Die reine durchscheinende Trübe leitet sich aus dem Durchsichtigen her. Sie kann sich uns also auch auf gedachte dreifache Weise darstellen.
147. Die vollendete Trübe ist das Weiße, die gleichgültigste, hellste, erste undurchsichtige Raumerfüllung.
148. Das Durchsichtige selbst, empirisch betrachtet, ist schon der erste Grad des Trüben. Die ferneren Grade des Trüben bis zum undurchsichtigen Weißen sind unendlich.
149. Auf welcher Stufe wir auch das Trübe vor seiner Undurchsichtigkeit festhalten, gewährt es uns, wenn wir es in Verhältnis zum Hellen und Dunkeln setzen, einfache und bedeutende Phänomene.
150. Das höchstenergische Licht, wie das der Sonne, des Phosphors in Lebensluft verbrennend, ist blendend und farblos. So kommt auch das Licht der Fixsterne meistens farblos zu uns. Dieses Licht aber durch ein auch nur wenig trübes Mittel gesehen, erscheint uns gelb. Nimmt die Trübe eines solchen Mittels zu, oder wird seine Tiefe vermehrt, so sehen wir das Licht nach und nach eine gelbrote Farbe annehmen, die sich endlich bis zum Rubinroten steigert.
151. Wird hingegen durch ein trübes, von einem darauffallenden Lichte erleuchtetes Mittel die Finsternis gesehen, so erscheint uns eine blaue Farbe, welche immer heller und blässer wird, je mehr sich die Trübe des Mittels vermehrt, hingegen immer dunkler und satter sich zeigt, je durchsichtiger das Trübe werden kann, ja bei dem mindesten Grad der reinsten Trübe als das schönste Violett dem Auge fühlbar wird.
152. Wenn diese Wirkung auf die beschriebene Weise in unserm Auge vorgeht und also subjektiv genannt werden kann, so haben wir uns auch durch objektive Erscheinungen von derselben noch mehr zu vergewissern. Denn ein so gemäßigtes und getrübtes Licht wirft auch auf die Gegenstände einen gelben, gelbroten oder purpurnen Schein; und ob sich gleich die Wirkung der Finsternis durch das Trübe nicht ebenso mächtig äußert, so zeigt sich doch der blaue Himmel in der Camera obscura ganz deutlich auf dem weißen Papier neben jeder andern körperlichen Farbe.
153. Wenn wir die Fälle durchgehn, unter welchen uns dieses wichtige Grundphänomen erscheint, so erwähnen wir billig zuerst der atmosphärischen Farben, deren meiste hieher geordnet werden können.
154. Die Sonne, durch einen gewissen Grad von Dünsten gesehen, zeigt sich mit einer gelblichen Scheibe. Oft ist die Mitte noch blendend gelb, wenn sich die Ränder schon rot zeigen. Beim Heerrauch (wie 1794 auch im Norden der Fall war), und noch mehr bei der Disposition der Atmosphäre, wenn in südlichen Gegenden der Scirocco herrscht, erscheint die Sonne rubinrot mit allen sie im letzten Falle gewöhnlich umgebenden Wolken, die alsdann jene Farbe im Widerschein zurückwerfen.
Morgen- und Abendröte entsteht aus derselben Ursache. Die Sonne wird durch eine Röte verkündigt, indem sie durch eine größere Masse von Dünsten zu uns strahlt. Je weiter sie herauf kommt, desto heller und gelber wird der Schein.
155. Wird die Finsternis des unendlichen Raums durch atmosphärische vom Tageslicht erleuchtete Dünste hindurch angesehen, so erscheint die blaue Farbe. Auf hohen Gebirgen sieht man am Tage den Himmel königsblau, weil nur wenig feine Dünste vor dem unendlichen finstern Raum schweben; sobald man in die Täler herabsteigt, wird das Blaue heller, bis es endlich, in gewissen Regionen und bei zunehmenden Dünsten, ganz in ein Weißblau übergeht.
156. Ebenso scheinen uns auch die Berge blau: denn indem wir sie in einer solchen Ferne erblicken, daß wir die Lokalfarben nicht mehr sehen, und kein Licht von ihrer Oberfläche mehr auf unser Auge wirkt, so gelten sie als ein reiner finsterer Gegenstand, der nun durch die dazwischen tretenden trüben Dünste blau erscheint.
157. Auch sprechen wir die Schattenteile näherer Gegenstände für blau an, wenn die Luft mit feinen Dünsten gesättigt ist.
158. Die Eisberge hingegen erscheinen in großer Entfernung noch immer weiß und eher gelblich, weil sie immer noch als hell durch den Dunstkreis auf unser Auge wirken.
159. Die blaue Erscheinung an dem untern Teil des Kerzenlichtes gehört auch hieher. Man halte die Flamme vor einen weißen Grund, und man wird nichts Blaues sehen; welche Farbe hingegen sogleich erscheinen wird, wenn man die Flamme gegen einen schwarzen Grund hält. Dieses Phänomen erscheint am lebhaftesten bei einem angezündeten Löffel Weingeist. Wir können also den untern Teil der Flamme für einen Dunst ansprechen, welcher, obgleich unendlich fein, doch vor der dunklen Fläche sichtbar wird: er ist so fein, daß man bequem durch ihn lesen kann, dahingegen die Spitze der Flamme, welche uns die Gegenstände verdeckt, als ein selbstleuchtender Körper anzusehen ist.
160. Übrigens ist der Rauch gleichfalls als ein trübes Mittel anzusehen, das uns vor einem hellen Grunde gelb oder rötlich, vor einem dunklen aber blau erscheint.
161. Wenden wir uns nun zu den flüssigen Mitteln, so finden wir, daß ein jedes Wasser, auf eine zarte Weise getrübt, denselben Effekt hervorbringe.
162. Die Infusion des nephritischen Holzes (der Guilandina Linnaei), welche früher so großes Aufsehen machte, ist nur ein trüber Liquor, der im dunklen hölzernen Becher blau aussehen, in einem durchsichtigen Glase aber gegen die Sonne gehalten eine gelbe Erscheinung hervorbringen muß.
163. Einige Tropfen wohlriechender Wasser, eines Weingeistfirnisses, mancher metallischen Solutionen können das Wasser zu solchen Versuchen in allen Graden trübe machen. Seifenspiritus tut fast die beste Wirkung.
164. Der Grund des Meeres erscheint den Tauchern bei hellem Sonnenschein purpurfarb, wobei das Meerwasser als ein trübes und tiefes Mittel wirkt. Sie bemerken bei dieser Gelegenheit die Schatten grün, welches die geforderte Farbe ist (78).
165. Unter den festen Mitteln begegnet uns in der Natur zuerst der Opal, dessen Farben wenigstens zum Teil daraus zu erklären sind, daß er eigentlich ein trübes Mittel sei, wodurch bald helle, bald dunkle Unterlagen sichtbar werden.
166. Zu allen Versuchen aber ist das Opalglas (vitrum astroides, girasole) der erwünschteste Körper. Es wird auf verschiedene Weise verfertigt und seine Trübe durch Metallkalke hervorgebracht. Auch trübt man das Glas dadurch, daß man gepülverte und kalzinierte Knochen mit ihm zusammenschmelzt, deswegen man es auch Beinglas nennt; doch geht dieses gar zu leicht ins Undurchsichtige über.
167. Man kann dieses Glas zu Versuchen auf vielerlei Weise zurichten: denn entweder man macht es nur wenig trüb, da man denn durch mehrere Schichten übereinander das Licht vom hellsten Gelb bis zum tiefsten Purpur führen kann; oder man kann auch stark getrübtes Glas in dünnern und stärkeren Scheiben anwenden. Auf beide Arten lassen sich die Versuche anstellen; besonders darf man aber, um die hohe blaue Farbe zu sehen, das Glas weder allzutrüb noch allzustark nehmen. Denn da es natürlich ist, daß das Finstere nur schwach durch die Trübe hindurch wirke, so geht die Trübe, wenn sie zu dicht wird, gar schnell in das Weiße hinüber.
168. Fensterscheiben durch die Stellen, an welchen sie blind geworden sind, werfen einen gelben Schein auf die Gegenstände, und eben diese Stellen sehen blau aus, wenn wir durch sie nach einem dunklen Gegenstande blicken.