XXXIII. Epoptische Farben
444. Man sieht aus Obigem, daß eine genaue Berührung zweier glatten Flächen nötig ist. Geschliffene Gläser tun den besten Dienst. Glasplatten zeigen die schönsten Farben, wenn sie aneinander festhängen; und aus eben dieser Ursache soll das Phänomen an Schönheit wachsen, wenn sie unter die Luftpumpe gelegt werden und man die Luft auspumpt.
445. Die Erscheinung der farbigen Ringe kann am schönsten hervorgebracht werden, wenn man ein konvexes und konkaves Glas, die nach einerlei Kugelschnitt geschliffen sind, zusammenbringt. Ich habe die Erscheinung niemals glänzender gesehen als bei dem Objektivglase eines achromatischen Fernrohrs, bei welchem das Crownglas mit dem Flintglase sich allzu genau berühren mochte.
446. Merkwürdig ist die Erscheinung, wenn ungleichartige Flächen, zum Beispiel ein geschliffner Kristall an eine Glasplatte gedrückt wird. Die Erscheinung zeigt sich keinesweges in großen fließenden Wellen wie bei der Verbindung des Glases mit dem Glase, sondern sie ist klein und zackig und gleichsam unterbrochen, so daß es scheint, die Fläche des geschliffenen Kristalls, die aus unendlich kleinen Durchschnitten der Lamellen besteht, berühre das Glas nicht in einer solchen Kontinuität, als es von einem andern Glase geschieht.
447. Die Farbenerscheinung verschwindet durch den stärksten Druck, der die beiden Flächen so innig verbindet, daß sie nur einen Körper auszumachen scheinen. Daher entsteht der dunkle Punkt in der Mitte, weil die gedrückte Linse auf diesem Punkte kein Licht mehr zurückwirft, so wie eben derselbe Punkt, wenn man ihn gegen das Licht sieht, völlig hell und durchsichtig ist. Bei Nachlassung des Drucks verschwinden die Farben allmählich, und völlig, wenn man die Flächen voneinander schiebt.
448. Eben diese Erscheinungen kommen noch in zwei ähnlichen Fällen vor. Wenn ganze durchsichtige Massen sich voneinander in dem Grade trennen, daß die Flächen ihrer Teile sich noch hinreichend berühren, so sieht man dieselben Kreise und Wellen mehr oder weniger. Man kann sie sehr schön hervorbringen, wenn man eine erhitzte Glasmasse ins Wasser taucht, in deren verschiedenen Rissen und Sprüngen man die Farben in mannigfaltigen Zeichnungen bequem beobachten kann. Die Natur zeigt uns oft dasselbe Phänomen an gesprungenem Bergkristall.
449. Häufig aber zeigt sich diese Erscheinung in der mineralischen Welt an solchen Steinarten, welche ihrer Natur nach blättrig sind. Diese ursprünglichen Lamellen sind zwar so innig verbunden, daß Steine dieser Art auch völlig durchsichtig und farblos erscheinen können; doch werden die innerlichen Blätter durch manche Zufälle getrennt, ohne daß die Berührung aufgehoben werde; und so wird die uns nun genugsam bekannte Erscheinung öfters hervorgebracht, besonders bei Kalkspäten, bei Fraueneis, bei der Adularia und mehrern ähnlich gebildeten Mineralien. Es zeigt also eine Unkenntnis der nächsten Ursachen einer Erscheinung, welche zufällig so oft hervorgebracht wird, wenn man sie in der Mineralogie für so bedeutend hielt und den Exemplaren, welche sie zeigten, einen besondern Wert beilegte.
450. Es bleibt uns nur noch übrig, von der höchst merkwürdigen Umwendung dieses Phänomens zu sprechen, wie sie uns von den Naturforschern überliefert worden. Wenn man nämlich, anstatt die Farben bei reflektiertem Lichte zu betrachten, sie bei durchfallendem Licht beobachtet, so sollen an derselben Stelle die entgegengesetzten, und zwar auf eben die Weise, wie wir solche oben physiologisch, als Farben, die einander fordern, angegeben haben, erscheinen. An der Stelle des Blauen soll man das Gelbe und umgekehrt, an der Stelle des Roten das Grüne und so weiter sehen. Die näheren Versuche sollen künftig angegeben werden, um so mehr, als bei uns über diesen Punkt noch einige Zweifel obwalten.
451. Verlangte man nun von uns, daß wir über diese bisher vorgetragenen epoptischen Farben, die unter der ersten Bedingung erscheinen, etwas Allgemeines aussprechen und diese Phänomene an die frühern physischen Erscheinungen anknüpfen sollten, so würden wir folgendermaßen zu Werke gehen.
452. Die Gläser, welche zu den Versuchen gebraucht werden, sind als ein empirisch möglichst Durchsichtiges anzusehen. Sie werden aber, nach unsrer Überzeugung, durch eine innige Berührung, wie sie der Druck verursacht, sogleich auf ihren Oberflächen, jedoch nur auf das leiseste, getrübt. Innerhalb dieser Trübe entstehn sogleich die Farben, und zwar enthält jeder Ring das ganze System: denn indem die beiden entgegengesetzten, das Gelb und Blau, mit ihren roten Enden verbunden sind, zeigt sich der Purpur. Das Grüne hingegen, wie bei dem prismatischen Versuch, wenn Gelb und Blau sich erreichen.
453. Wie durchaus bei Entstehung der Farbe das ganze System gefordert wird, haben wir schon früher mehrmals erfahren, und es liegt auch in der Natur jeder physischen Erscheinung, es liegt schon in dem Begriff von polarischer Entgegensetzung, wodurch eine elementare Einheit zur Erscheinung kommt.
454. Daß bei durchscheinendem Licht eine andre Farbe sich zeigt als bei reflektiertem, erinnert uns an jene dioptrischen Farben der ersten Klasse, die wir auf ebendiese Weise aus dem Trüben entspringen sahen. Daß aber auch hier ein Trübes obwalte, daran kann fast kein Zweifel sein: denn das Ineinandergreifen der glättesten Glasplatten, welches so stark ist, daß sie fest aneinander hängen, bringt eine Halbvereinigung hervor, die jeder von beiden Flächen etwas an Glätte und Durchsichtigkeit entzieht. Den völligen Ausschlag aber möchte die Betrachtung geben, daß in der Mitte, wo die Linse am festesten auf das andre Glas aufgedrückt und eine vollkommene Vereinigung hergestellt wird, eine völlige Durchsichtigkeit entstehe, wobei man keine Farbe mehr gewahr wird. Jedoch mag alles dieses seine Bestätigung erst nach vollendeter allgemeiner Übersicht des Ganzen erhalten.
455. Zweite Bedingung. Wenn man eine angehauchte Glasplatte mit dem Finger abwischt und sogleich wieder anhaucht, sieht man sehr lebhaft durcheinander schwebende Farben, welche, indem der Hauch abläuft, ihren Ort verändern und zuletzt mit dem Hauche verschwinden. Wiederholt man diese Operation, so werden die Farben lebhafter und schöner und scheinen auch länger als die ersten Male zu bestehen.
456. So schnell auch dieses Phänomen vorübergeht und so konfus es zu sein scheint, so glaub' ich doch folgendes bemerkt zu haben. Im Anfange erscheinen alle Grundfarben und ihre Zusammensetzungen. Haucht man stärker, so kann man die Erscheinung in einer Folge gewahr werden. Dabei läßt sich bemerken, daß, wenn der Hauch im Ablaufen sich von allen Seiten gegen die Mitte des Glases zieht, die blaue Farbe zuletzt verschwindet.
457. Das Phänomen entsteht am leichtesten zwischen den zarten Streifen, welche der Strich des Fingers auf der klaren Fläche zurückläßt, oder es erfordert eine sonstige gewissermaßen rauhe Disposition der Oberfläche des Körpers. Auf manchen Gläsern kann man durch den bloßen Hauch schon die Farbenerscheinung hervorbringen, auf andern hingegen ist das Reiben mit dem Finger nötig; ja ich habe geschliffene Spiegelgläser gefunden, von welchen die eine Seite angehaucht sogleich die Farben lebhaft zeigte, die andre aber nicht. Nach den überbliebenen Facetten zu urteilen, war jene ehmals die freie Seite des Spiegels, diese aber die innere, durch das Quecksilber bedeckte gewesen.
458. Wie nun diese Versuche sich am besten in der Kälte anstellen lassen, weil sich die Platte schneller und reiner anhauchen läßt und der Hauch schneller wieder abläuft, so kann man auch bei starkem Frost, in der Kutsche fahrend, das Phänomen im großen gewahr werden, wenn die Kutschfenster sehr rein geputzt und sämtlich aufgezogen sind. Der Hauch der in der Kutsche sitzenden Personen schlägt auf das zarteste an die Scheiben und erregt sogleich das lebhafteste Farbenspiel. Inwiefern eine regelmäßige Sukzession darin sei, habe ich nicht bemerken können. Besonders lebhaft aber erscheinen die Farben, wenn sie einen dunklen Gegenstand zum Hintergrunde haben. Dieser Farbenwechsel dauert aber nicht lange: denn sobald sich der Hauch in stärkere Tropfen sammelt oder zu Eisnadeln gefriert, so ist die Erscheinung alsbald aufgehoben.
459. Dritte Bedingung. Man kann die beiden vorhergehenden Versuche des Druckes und Hauches verbinden, indem man nämlich eine Glasplatte anhaucht und die andre sogleich darauf drückt. Es entstehen alsdann die Farben, wie beim Drucke zweier unangehauchten, nur mit dem Unterschiede, daß die Feuchtigkeit hie und da einige Unterbrechung der Wellen verursacht. Schiebt man eine Glasplatte von der andern weg, so läuft der Hauch farbig ab.
460. Man könnte jedoch behaupten, daß dieser verbundene Versuch nichts mehr als die einzelnen sage: denn wie es scheint, so verschwinden die durch den Druck erregten Farben in dem Maße, wie man die Gläser voneinander abschiebt, und die behauchten Stellen, laufen alsdann mit ihren eignen Farben ab.