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Pathologische Farben: Anhang


101. Die physiologischen Farben kennen wir nunmehr hinreichend, um sie von den pathologischen zu unterscheiden. Wir wissen, welche Erscheinungen dem gesunden Auge zugehören und nötig sind, damit sich das Organ vollkommen lebendig und tätig erzeige.

102. Die krankhaften Phänomene deuten gleichfalls auf organische und physische Gesetze: denn wenn ein besonderes lebendiges Wesen von derjenigen Regel abweicht, durch die es gebildet ist, so strebt es ins allgemeine Leben hin, immer auf einem gesetzlichen Wege, und macht uns auf seiner ganzen Bahn jene Maximen anschaulich, aus welchen die Welt entsprungen ist und durch welche sie zusammengehalten wird.

103. Wir sprechen hier zuerst von einem sehr merkwürdigen Zustande, in welchem sich die Augen mancher Personen befinden. Indem er eine Abweichung von der gewöhnlichen Art, die Farben zu sehen, anzeigt, so gehört er wohl zu den krankhaften; da er aber regelmäßig ist, öfter vorkommt, sich auf mehrere Familienglieder erstreckt und sich wahrscheinlich nicht heilen läßt, so stellen wir ihn billig auf die Grenze.

104. Ich kannte zwei Subjekte, die damit behaftet waren, nicht über zwanzig Jahr alt; beide hatten blaugraue Augen, ein scharfes Gesicht in der Nähe und Ferne, bei Tages- und Kerzenlicht, und ihre Art, die Farben zu sehen, war in der Hauptsache völlig übereinstimmend.

105. Mit uns treffen sie zusammen, daß sie Weiß, Schwarz und Grau nach unsrer Weise benennen; Weiß sahen sie beide ohne Beimischung. Der eine wollte bei Schwarz etwas Bräunliches und bei Grau etwas Rötliches bemerken. Überhaupt scheinen sie die Abstufung von Hell und Dunkel sehr zart zu empfinden.

106. Mit uns scheinen sie Gelb, Rotgelb und Gelbrot zu sehen; bei dem letzten sagen sie, sie sähen das Gelbe gleichsam über dem Rot schweben, wie lasiert. Karmin in der Mitte einer Untertasse dicht aufgetrocknet nannten sie rot.

107. Nun aber tritt eine auffallende Differenz ein. Man streiche mit einem genetzten Pinsel den Karmin leicht über die weiße Schale, so werden sie diese entstehende helle Farbe der Farbe des Himmels vergleichen und solche blau nennen. Zeigt man ihnen daneben eine Rose, so nennen sie diese auch blau, und können bei allen Proben, die man anstellt, das Hellblau nicht von dem Rosenfarb unterscheiden. Sie verwechseln Rosenfarb, Blau und Violett durchaus; nur durch kleine Schattierungen des Helleren, Dunkleren, Lebhafteren, Schwächeren scheinen sich diese Farben für sie voneinander abzusondern.

108. Ferner können sie Grün von einem Dunkelorange, besonders aber von einem Rotbraun nicht unterscheiden.

109. Wenn man die Unterhaltung mit ihnen dem Zufall überläßt und sie bloß über vorliegende Gegenstände befragt, so gerät man in die größte Verwirrung und fürchtet wahnsinnig zu werden. Mit einiger Methode hingegen kommt man dem Gesetz dieser Gesetzwidrigkeit schon um vieles näher.

110. Sie haben, wie man aus dem Obigen sehen kann, weniger Farben als wir, daher denn die Verwechselung von verschiedenen Farben entsteht. Sie nennen den Himmel rosenfarb und die Rose blau, oder umgekehrt. Nun fragt sich: sehen sie beides blau, oder beides rosenfarb? sehen sie das Grün orange, oder das Orange grün?

111. Diese seltsamen Rätsel scheinen sich zu lösen, wenn man annimmt, daß sie kein Blau, sondern an dessen Statt einen diluierten Purpur, ein Rosenfarb, ein helles reines Rot sehen. Symbolisch kann man sich diese Lösung einstweilen folgendermaßen vorstellen.

112. Nehmen wir aus unserm Farbenkreise das Blaue heraus, so fehlt uns Blau, Violett und Grün.

Das reine Rot verbreitet sich an der Stelle der beiden ersten, und wenn es wieder das Gelbe berührt, bringt es anstatt des Grünen abermals ein Orange hervor.

113. Indem wir uns von dieser Erklärungsart überzeugt halten, haben wir diese merkwürdige Abweichung vom gewöhnlichen Sehen Akyanoblepsie genannt, und zu besserer Einsicht mehrere Figuren gezeichnet und illuminiert, bei deren Erklärung wir künftig das Weitre beizubringen gedenken. Auch findet man daselbst eine Landschaft, gefärbt nach der Weise, wie diese Menschen wahrscheinlich die Natur sehen, den Himmel rosenfarb und alles Grüne in Tönen vom Gelben bis zum Braunroten, ungefähr wie es uns im Herbst erscheint.

114. Wir sprechen nunmehr von krankhaften sowohl als allen widernatürlichen, außernatürlichen, seltenen Affektionen der Retina, wobei, ohne äußres Licht, das Auge zu einer Lichterscheinung disponiert werden kann, und behalten uns vor, des galvanischen Lichtes künftig zu erwähnen.

115. Bei einem Schlag aufs Auge scheinen Funken umher zu sprühen. Ferner, wenn man in gewissen körperlichen Dispositionen, besonders bei erhitztem Blute und reger Empfindlichkeit, das Auge erst sachte, dann immer stärker drückt, so kann man ein blendendes unerträgliches Licht erregen.

116. Operierte Starkranke, wenn sie Schmerz und Hitze im Auge haben, sehen häufig feurige Blitze und Funken, welche zuweilen acht bis vierzehn Tage bleiben, oder doch so lange, bis Schmerz und Hitze weicht.

117. Ein Kranker, wenn er Ohrenschmerz bekam, sah jederzeit Lichtfunken und Kugeln im Auge, solange der Schmerz dauerte.

118. Wurmkranke haben oft sonderbare Erscheinungen im Auge, bald Feuerfunken, bald Lichtgespenster, bald schreckhafte Figuren, die sie nicht entfernen können. Bald sehen sie doppelt.

119. Hypochondristen sehen häufig schwarze Figuren als Fäden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Diese Erscheinungen zeigen sich auch bei anfangendem schwarzen Star. Manche sehen halbdurchsichtige kleine Röhren, wie Flügel von Insekten, Wasserbläschen von verschiedener Größe, welche beim Heben des Auges niedersinken, zuweilen gerade so in Verbindung hängen wie Froschlaich, und bald als völlige Sphären, bald als Linsen bemerkt werden.

120. Wie dort das Licht ohne äußeres Licht, so entspringen auch diese Bilder ohne äußre Bilder. Sie sind teils vorübergehend, teils lebenslänglich dauernd. Hiebei tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hypochondristen sehen auch häufig gelbrote schmale Bänder im Auge, oft heftiger und häufiger am Morgen, oder bei leerem Magen.

121. Daß der Eindruck irgendeines Bildes im Auge einige Zeit verharre, kennen wir als ein physiologisches Phänomen (23), die allzu lange Dauer eines solchen Eindrucks hingegen kann als krankhaft angesehen werden.

122. Je schwächer das Auge ist, desto länger bleibt das Bild in demselben. Die Retina stellt sich nicht so bald wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art von Paralyse ansehen (28).

123. Von blendenden Bildern ist es nicht zu verwundern. Wenn man in die Sonne sieht, so kann man das Bild mehrere Tage mit sich herumtragen. Boyle erzählt einen Fall von zehn Jahren.

124. Das gleiche findet auch verhältnismäßig von Bildern, welche nicht blendend sind, statt. Büsch erzählt von sich selbst, daß ihm ein Kupferstich vollkommen mit allen seinen Teilen bei siebzehn Minuten im Auge geblieben.

125. Mehrere Personen, welche zu Krampf und Vollblütigkeit geneigt waren, behielten das Bild eines hochroten Kattuns mit weißen Muscheln viele Minuten lang im Auge und sahen es wie einen Flor vor allem schweben. Nur nach langem Reiben des Auges verlor sich's.

126. Scherffer bemerkt, daß die Purpurfarbe eines abklingenden starken Lichteindrucks einige Stunden dauern könne.

127. Wie wir durch Druck auf den Augapfel eine Lichterscheinung auf der Retina hervorbringen können, so entsteht bei schwachem Druck eine rote Farbe und wird gleichsam ein abklingendes Licht hervorgebracht.

128. Viele Kranke, wenn sie erwachen, sehen alles in der Farbe des Morgenrots, wie durch einen roten Flor; auch wenn sie am Abend lesen, und zwischendurch einnicken und wieder aufwachen, pflegt es zu geschehen. Dieses bleibt minutenlang und vergeht allenfalls, wenn das Auge etwas gerieben wird. Dabei sind zuweilen rote Sterne und Kugeln. Dieses Rotsehen dauert auch wohl eine lange Zeit.

129. Die Luftfahrer, besonders Zambeccari und seine Gefährten, wollen in ihrer höchsten Erhebung den Mond blutrot gesehen haben. Da sie sich über die irdischen Dünste emporgeschwungen hatten, durch welche wir den Mond und die Sonne wohl in einer solchen Farbe sehen, so läßt sich vermuten, daß diese Erscheinung zu den pathologischen Farben gehöre. Es mögen nämlich die Sinne durch den ungewohnten Zustand dergestalt affiziert sein, daß der ganze Körper und besonders auch die Retina in eine Art von Unrührbarkeit und Unreizbarkeit verfällt. Es ist daher nicht unmöglich, daß der Mond als ein höchst abgestumpftes Licht wirke, und also das Gefühl der roten Farbe hervorbringe. Den Hamburger Luftfahrern erschien auch die Sonne blutrot.

Wenn die Luftfahrenden zusammen sprechen und sich kaum hören, sollte nicht auch dieses der Unreizbarkeit der Nerven ebensogut als der Dünne der Luft zugeschrieben werden können?

130. Die Gegenstände werden von Kranken auch manchmal vielfärbig gesehen. Boyle erzählt von einer Dame, daß sie nach einem Sturze, wobei ein Auge gequetscht worden, die Gegenstände, besonders aber die weißen, lebhaft bis zum Unerträglichen schimmern gesehen.

131. Die Ärzte nennen Chrupsie, wenn in typischen Krankheiten, besonders der Augen, die Patienten an den Rändern der Bilder, wo Hell und Dunkel aneinander grenzen, farbige Umgebungen zu sehen versichern. Wahrscheinlich entsteht in den Liquoren eine Veränderung, wodurch ihre Achromasie aufgehoben wird.

132. Beim grauen Star läßt eine starkgetrübte Kristallinse den Kranken einen roten Schein sehen. In einem solchen Falle, der durch Elektrizität behandelt wurde, veränderte sich der rote Schein nach und nach in einen gelben, zuletzt in einen weißen, und der Kranke fing an, wieder Gegenstände gewahr zu werden; woraus man schließen konnte, daß der trübe Zustand der Linse sich nach und nach der Durchsichtigkeit nähere. Diese Erscheinung wird sich, sobald wir mit den physischen Farben nähere Bekanntschaft gemacht, bequem ableiten lassen.

133. Kann man nun annehmen, daß ein gelbsüchtiger Kranker durch einen wirklich gelbgefärbten Liquor hindurchsehe, so werden wir schon in die Abteilung der chemischen Farben verwiesen, und wir sehen leicht ein, daß wir das Kapitel von den pathologischen Farben nur dann erst vollkommen ausarbeiten können, wenn wir uns mit der Farbenlehre in ihrem ganzen Umfang bekannt gemacht; deshalb sei es an dem Gegenwärtigen genug, bis wir später das Angedeutete weiter ausführen können.

134. Nur möchte hier zum Schlusse noch einiger besondern Dispositionen des Auges vorläufig zu erwähnen sein.

Es gibt Maler, welche, anstatt daß sie die natürliche Farbe wiedergeben sollten, einen allgemeinen Ton, einen warmen oder kalten über das Bild verbreiten. So zeigt sich auch bei manchen eine Vorliebe für gewisse Farben, bei andern ein Ungefühl für Harmonie.

135. Endlich ist noch bemerkenswert, daß wilde Nationen, ungebildete Menschen, Kinder eine große Vorliebe für lebhafte Farben empfinden, daß Tiere bei gewissen Farben in Zorn geraten, daß gebildete Menschen in Kleidung und sonstiger Umgebung die lebhaften Farben vermeiden und sie durchgängig von sich zu entfernen suchen.


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