Inwiefern Machiavelli’s Politik auch noch auf unsere Zeiten Anwendung habe


Der Hauptgrundsatz der Machiavelli’schen Politik, und wir setzen ohne Scheu hinzu, auch der unsrigen, und, unsers Erachtens, jeder Staatslehre, die sich selbst versteht, ist enthalten in folgenden Worten Machiavelli’s*): »Jedweder, der eine Republik (oder überhaupt einen Staat) errichtet, und demselben Gesetze gibt, muss voraussetzen, dass alle Menschen bösartig sind, und dass ohne alle Ausnahme sie alsbald ihre innere Bösartigkeit auslassen werden, sobald sie dazu eine sichere Gelegenheit finden.« Es tut hierbei gar nicht Not, dass man sich auf die Frage einlasse, ob denn die Menschen wirklich also beschaffen seien, wie sie in jenem Satze gesetzt werden, oder nicht; kurz und gut, der Staat, als eine Zwangsanstalt, setzt sie notwendig also voraus, und nur diese Voraussetzung begründet das Dasein des Staats. Wollten sie schon das Rechte, so hättest du ihnen höchstens zu sagen, was recht sei; da du dich aber überdies noch durch ein Strafgesetz verwahrst, so setzest du allerdings voraus, dass sie den guten Willen nicht haben, sondern einen bösen, den du erst durch die Furcht des ihnen angedrohten größeren Übels unterdrücken musst, auf dass, wie auch immer innerlich ihr Wille bleiben möge, dennoch das äußere Resultat also ausfalle, als ob Keiner bösen, sondern Alle nur guten Willen hätten. Und so Jemand den guten und gerechten Willen in sich erzeugt, so bricht sich an diesem das Strafgesetz als Antrieb denn auch völlig, indem er das Rechte tun würde, wenn auch kein Gebot und keine Strafe wäre, und falls das Unrechte geboten wäre, es dennoch, jedem Strafgesetz zum Trotz, nicht tun, sondern lieber sterben würde.  

Oder, um dasselbe noch in einer anderen Wendung auszusprechen: der Staat, als Zwangsanstalt, setzt den Krieg Aller gegen Alle voraus, und sein Zweck ist, wenigstens die äußere Erscheinung des Friedens hervorzubringen, und, falls auch etwa in dem Herzen der Hass Aller gegen Alle, und die Lust über einander herzufallen, immerfort bliebe, dennoch zu verhindern, dass dieser Hass und diese Lust nicht in Taten ausbreche.  

Nun gibt es ferner ein zwiefaches Verhältnis des Regenten, nämlich, das zu seinen Bürgern, und das zu andern Staaten. In Absicht des ersteren gibt es wieder zwei Fälle. Entweder nämlich will das Volk sich die Herrschaft des Gesetzes überhaupt noch nicht gefallen lassen, sondern es strebt unaufhörlich, und ergreift jede Gelegenheit, das Joch abzuschütteln und in die erste Ungebundenheit zurück zu kehren; so ist in diesem Falle Krieg zwischen dem Fürsten selbst und dem Volke, d.h. es ist Krieg zwischen dem Frieden und dem absoluten Kriege; und der Fürst erhält, da ja schlechthin, und ob es dem Volke gefalle oder nicht, Gesetzmäßigkeit und Friede sein soll, in diesem Falle das göttliche Recht des Krieges gegen ein solches Volk, nebst allen Rechten, die in jenem ersten liegen, welche zu erörtern hier nicht Not tut. Oder, welches der zweite Fall ist, das Volk hat sich dem Gesetze bequemt, und sich an die Unterwürfigkeit unter dasselbe sowohl überhaupt, so wie an die Ordnung, wie es in dieser Verfassung sich ausspricht, und sich in Tätigkeit versetzt, gewöhnt, und ob wohl noch immer Einzelne gegen das Gesetz sündigen mögen, so steht doch die Masse nicht mehr auf, um sich der Vollziehung zu widersetzen. In diesem Falle ist Friede zwischen dem Fürsten und dem Volke, und das Volk als Volk ist und bleibt immerfort vollkommen gerecht vor dem Fürsten, indem es den einzelnen Ungerechten von sich ausstößt, und ihn der Ahndung des Gesetzes überlässt.  

Machiavelli’s Vorschriften sind berechnet auf ein Land, in welchem zu der Zeit, als er schrieb, noch immer der erste Fall Statt fand; und er weiß dies so gut, dass er nicht vergisst, wiederholt zu erinnern, dass in andern Ländern, wo die Regierungen mehr befestigt seien, z.B. in Deutschland, Spanien, Frankreich, jene Regeln keine Anwendung fänden. In unserm Zeitalter ist, besonders in der Nation, für die ich zunächst schreibe, unter den Deutschen, der zweite Zustand der Dinge schon seit Jahrhunderten eingetreten, die Fürsten sind im Frieden mit den Völkern, und bedürfen in dieser Rücksicht gegen sie keiner Politik, und keines anderen Mittels, sie zu zähmen, als eben des Gesetzes selber: und so ist denn dieser ganze Teil der Lehren des Macchiavelli’s, wie man ein widerstrebendes Volk unter das Joch der Gesetze erst bringen solle, für unser Zeitalter erledigt.  

Keineswegs aber ist erledigt der zweite Teil, betreffend das Verhältnis zu andern Staaten; sondern es wird durch die reichen Erfahrungen der drei Jahrhunderte, um welche die seitdem in ganz anderer Kraft und Fülle sich entwickelnde Geschichte älter geworden, imgleichen durch eine tiefere Philosophie, dieser zweite Teil noch verstärkt, und noch weit nachdrücklicher eingeschärft.  

Vor jedem Irrtum in der Beurteilung jenes gegenseitigen Verhältnisses der Staaten zu einander wird man völlig gesichert, wenn man auch diesem den oben an die Spitze gestellten Satz zu Grunde legt, und annimmt, dass Jeder jede Gelegenheit ergreifen werde, um dem Andern zu schaden, so oft er seinen eigenen Vorteil dabei zu ersehen glauben wird. Auch hier hat man sich nicht darauf einzulassen, ob die Menschen wirklich also gesinnt sind, oder nicht; davon haben wir nicht geredet, und es gehört nicht hierher. Wir haben nur gesagt: nach dieser Voraussetzung muss man seine Berechnung machen. Denn, da es doch immer wenigstens möglich ist, dass es sich also verhalte, so bist du, wenn du darauf gerechnet hast, und es so kommt, gedeckt, da du, wenn du nicht darauf gerechnet hättest, und es doch käme, bloß ständest und Beute würdest; kommt es aber nicht also, so ist es desto besser für dich, indem du die für den Widerstand bereit gehaltene Kraft auf eine andere Weise zu deinem Vorteile gebrauchen kannst. Es ist um so notwendiger, dass, selbst ohne bei irgend Einem die geringste Bösartigkeit vorauszusetzen, zwischen Staaten es zu diesem Verhältnisse der fortdauernden Kriegslust kommen müsse, da zwischen ihnen niemals, so wie zwischen Bürgern eines geschlossenen und geordneten Staates, gewisses und ausgemachtes Recht Statt finden kann. Zwar lassen sich die Territorialgrenzen abstecken, aber nicht bloß auf dein Territorium geht dein Recht und gründet sich deine Sicherheit, sondern auch auf deine natürlichen Alliierten, und überhaupt auf Alles, wohin du deinen Einfluss erstrecken, und womit du in der Folge dich vergrößern kannst. Überdies will jede Nation das ihr eigentümliche Gute so weit verbreiten, als sie irgend kann, und so viel an ihr liegt, das ganze Menschengeschlecht sich einverleiben, zufolge eines von Gott den Menschen eingepflanzten Triebes, auf welchem die Gemeinschaft der Völker, ihre gegenseitige Reibung an einander, und ihre Fortbildung beruht. Da dieses nun Alle wollen, so geraten sie notwendig, und wenn sie auch Alle durch reine und vollendete Geister regiert würden, in Konflikt, und die Beantwortung der Streitfrage, ob dies dein, oder deines Nachbars natürlicher Alliierter sei, und wo die Grenzen eures euch gebührenden Einflusses gezogen werden sollen, wird selten in der Vernunft eine Prämisse finden.  

Es wäre daher noch immer zu wünschen, dass unsere Politiker, also, dass es ihnen von nun an keinen Augenblick mehr aus dem Gesichte käme, und niemals darüber der geringste Zweifel, oder irgend eine Neigung, einmal eine Ausnahme zu gestatten, bei ihnen entstände, sich überzeugten von folgenden zwei Sätzen: 1) der Nachbar, es sei denn, dass er dich als seinen natürlichen Alliierten gegen eine andere euch beiden furchtbare Macht betrachten müsse, ist stets bereit, bei der ersten Gelegenheit, da er es mit Sicherheit können wird, sich auf deine Kosten zu vergrößern. Er muss es tun, wenn er klug ist, und kann es nicht lassen, und wenn er dein Bruder wäre. 2) Es ist gar nicht hinreichend, dass du dein eigentliches Territorium verteidigest, sondern auf Alles, was auf deine Lage Einfluss haben kann, behalte unverrückt die Augen offen, dulde durchaus nicht, dass irgend Etwas innerhalb dieser Grenzen deines Einflusses zu deinem Nachteile verändert werde, und säume keinen Augenblick, wenn du darin Etwas zu deinem Vorteile verändern kannst; denn sei versichert, dass der Andere dasselbe tun wird, sobald er kann, versäumst du es nun an deinem Teile, so bleibst du hinter ihm zurück. Wer nicht zunimmt, der nimmt, wenn Andere zunehmen, ab. Es geht sehr wohl an, dass ein Privatmann sage: ich habe genug, und will nichts mehr: denn dieser kommt durch eine solche Bescheidenheit nicht in die Gefahr, auch das zu verlieren, was er hat, indem er, falls Jemand in seinem alten Besitztume ihn angreifen sollte, den Richter zu finden wissen wird. Der Staat aber, der die ihm sich darbietenden neuen Kräfte zur Verteidigung seines alten Besitztums, sich anzueignen verschmäht, findet, wenn er, und vielleicht mit denselben Kräften, deren Erwerbung er versäumte, in seinem alten Besitztume angegriffen wird, keinen Richter, dem er seine Not klagen könne. Ein Staat, der fortgesetzt diese bescheidene Genügsamkeit übte, müsste entweder durch seine Lage sehr begünstigt, oder eine, wenig Reiz habende, Beute sein, wenn er nicht bald auch um dasjenige kommen sollte, womit er sich bescheiden begnügte, und wenn sich nicht finden sollte, dass die Worte: ich will nichts weiter haben, eigentlich die Bedeutung gehabt hätten: ich will gar nichts haben, und will auch nicht existieren. - Es versteht sich übrigens, dass hier immer von Staaten der ersten Ordnung, die ein selbstständiges Gewicht haben im europäischen Staatensysteme, keineswegs aber von untergeordneten, die Rede sei.  

Es fließen hieraus zwei Grundregeln. Die erste - so eben mit dem zweiten Satze zugleich beigebrachte: dass man ohne Zeitverlust jede Gelegenheit ergreife, sich innerhalb der Grenzen seines Einflusses zu verstärken, und jedes innerhalb dieser Grenzen uns drohende Übel sogleich in der Wurzel, und ehe es Zeit hat, heranzuwachsen, ausrotte. Wir werden tiefer unten ein Wort Machiavelli’s, diesen Gegenstand betreffend, anführen, und halten deswegen hier uns nicht länger dabei auf. Die zweite: dass man niemals auf das Wort des Andern sich verlasse, wenn man eine Garantie erzwingen kann; falls dies aber augenblicklich nicht möglich sein sollte, es von nun an sich zum Hauptaugenmerke mache, diese Garantie sich noch zu verschaffen, damit man wenigstens so kurze Zeit als möglich das bloße Wort zum Pfande habe; dass man sich stets in der Lage erhalte, Treue und Glauben erzwingen zu können; welches voraussetzt, dass man sich als den Stärkeren erhalte, nicht gerade absolut, welches nicht allemal von uns abhängt, aber doch innerhalb unserer Grenzen, in der nun sattsam bestimmten weitern Bedeutung des Worts; indem, wer in dieser Rücksicht aufgehört hat der Stärkere zu sein, ohne Zweifel verloren ist; dass man von dieser Bedingung der Garantie durchaus nicht abgehe, und wenn man in den Waffen ist, dieselben auf jede Gefahr nicht ablege, ehe man es dahin gebracht hat. Mutige Verteidigung kann jeden Schaden wieder gut machen, und wenn du fällst, so fällst du wenigstens mit Ehre. Jenes feige Nachgeben aber rettet dich nicht vom Untergange, sondern es gibt dir nur eine kurze Frist schmählicher und ehrloser Existenz, bis du von selbst abfällst, wie eine überreife Frucht. Aus solchem Betragen entstehen jene ehrenvollen Frieden, die nicht einmal den Frieden geben, indem sie dem Feinde die völlige Gewalt lassen, unmittelbar nach geschlossenem Frieden seine Pläne da fortzusetzen, wo er sie vor dem Kriege, der ihm einen Augenblick Stillstand gebot, fallen ließ, und zufolge dessen wir zwar ihn zufrieden lassen müssen, aber Er nicht uns. Daher denn auch diese, die es mit solchen Gegnern zu tun haben, mit voller Wahrhaftigkeit ihre Friedensliebe rühmen können, da ihnen in der Trat zu glauben ist, dass sie es lieber haben, wenn die Nachbarn der Beraubung ihrer natürlichen, vielleicht angeborenen und blutsverwandten Alliierten, und der Ausrottung ihres Einflusses bis an ihre Territorialgrenzen heran, ruhig zusehen, und sie machen lassen, als wenn sie mit den Waffen in der Hand sich dagegen setzen; indem die erste Weise weit leichter ist, und weit sicherer, als die zweite. Sie lieben in der Trat den Frieden, den ihrigen nämlich, und sie wünschen wirklich keinen Widerstand zu finden, indes sie gegen alle Welt den Krieg führen, fortsetzen und vollenden.

Man glaube nicht, dass, wenn alle Fürsten so dächten, und nach den aufgestellten Regeln handelten, der Kriege in Europa kein Ende sein würde. Vielmehr wird, da keiner den Krieg anzufangen gedenkt, wenn er es nicht mit Vorteil kann, Alle aber stets gespannt und aufmerksam sind, Keinem irgend einen Vorteil zu lassen, ein Schwert das andere in Ruhe erhalten, und es wird ein langwieriger Friede erfolgen, der nur durch zufällige Ereignisse, als da sind, Revolutionen, Sukzessionsstreitigkeiten u.dgl., unterbrochen werden könnte. - Mehr als die Hälfte der Kriege, welche geführt worden, sind durch große Staatsfehler der Angegriffenen, welche dem Angreifer die Hoffnung eines glücklichen Erfolges gaben, entstanden, und sie wären unterblieben, wenn jene Staatsfehler unterblieben wären. Und da gleichwohl die Kriegsübung nicht ausgehen darf, wenn die Menschheit nicht erschlaffen, und für den späterhin doch wieder möglichen Krieg verderben soll, so haben wir ja noch selbst in Europa, noch mehr aber in den anderen Weltteilen, Barbaren genug, welche doch über kurz oder lang, mit Zwang dem Reiche der Kultur werden einverleibt werden müssen. In Kämpfen mit diesen stähle sich die europäische Jugend, indes in dem gemeinsamen Vaterlande selbst Keiner es wagt, das Schwert zu entblößen, da er allenthalben sich gegenüber eben so gute Schwerter erblickt. 

Diese Regeln werden durch die höhere Ansicht des Verhältnisses des Fürsten zu seinem Volke und zu der gesamten Menschheit, aus dem Standpunkte der Vernunft, bestätigt, verstärkt, und zur heiligen Pflicht gemacht. Die Völker sind ja nicht ein Eigentum des Fürsten, so dass er deren Wohl, deren Selbstständigkeit, deren Würde, deren Bestimmung in einem Ganzen des Menschengeschlechts, als seine Privatsache betrachten, und fehlen könne nach Belieben, und wenn es schlecht geht, sagen könne: nun, ich habe geirrt, aber was ist’s denn weiter? der Schade ist mein und ich will ihn tragen; so wie etwa der Besitzer einer Herde, durch dessen Nachlässigkeit ein Teil derselben zu Grunde gegangen wäre, sich trösten könnte. Der Fürst gehört seiner Nation eben so ganz und vollständig an, als sie ihm angehört; ihre ganze Bestimmung im ewigen Rate der Gottheit ist in seine Hände niedergelegt, und er ist dafür verantwortlich. Es ist ihm durchaus nicht erlaubt, nach Willkür von den ewigen Regeln, die Verstand und Vernunft der Verwaltung der Staaten geben, abzugehen. Es ist ihm nicht erlaubt, wenn er z.B. die zweite so eben angeführte Regel zum Schaden seiner Nation vernachlässigt hätte, hinzutreten, und zu sagen: Ich habe an Menschheit, ich habe an Treue und Redlichkeit geglaubt. So mag der Privatmann sagen; geht er darüber zu Grunde, so geht er sich zu Grunde: aber so kann der Fürst nicht sagen, denn dieser geht nicht sich, und geht nicht allein zu Grunde. Glaube er, wenn er will, an Menschheit in seinen Privatangelegenheiten, irrt er sich, so ist der Schade sein; aber er wage nicht, auf diesen Glauben hin, die Nation, denn es ist nicht recht, dass diese, und mit ihr vielleicht andere Völker, und mit ihnen vielleicht die edelsten Besitztümer, welche die Menschheit in tausendjährigem Ringen erworben hat, in den Kot getreten werden, bloß, damit von ihm gesagt werden könne, er habe an Menschen geglaubt. An die allgemeinen Gesetze der Moral ist der Fürst in seinem Privatleben gebunden, so wie der Geringste seiner Untertanen; in dem Verhältnisse zu seinem friedlichen Volke ist er an das Gesetz und an das Recht gebunden, und darf Keinen anders behandeln, als nach dem stehenden Gesetze, wiewohl ihm das Recht der Gesetzgebung, d.i. der fortgesetzten Vervollkommnung des gesetzmäßigen Zustandes bleibt; in seinem Verhältnisse aber zu andern Staaten gibt es weder Gesetz noch Recht, außer dem Rechte der Stärkeren, und dieses Verhältnis legt die göttlichen Majestätsrechte des Schicksals und der Weltregierung, auf die Verantwortung des Fürsten, nieder in seine Hände, und erhebt ihn über die Gebote der individuellen Moral in eine höhere sittliche Ordnung, deren materieller Inhalt enthalten ist in den Worten: Salus et decus populi suprema lex esto.  

Diese ernstere und kräftigere Ansicht der Regierungskunst tut es nun, unsers Erachtens, Not bei unserm Zeitalter zu erneuern. Die jedesmal herrschende Zeitphilosophie ermangelt, so sehr auch die Weltleute sich gegen die Sache sträuben, und so schwer sie an das Bekenntnis derselben gehen, dennoch niemals, auf irgend einem Wege auch an diese zu kommen, und auch sie umzuschaffen nach ihrem Bilde. Diese Zeitphilosophie war in der letzten Hälfte des abgelaufenen Jahrhunderts gar flach, kränklich und armselig geworden, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse Humanität, Liberalität und Popularität, flehend, dass man | nur gut sein möge, und dann auch Alles gut sein lassen, überall empfehlend die goldene Mittelstraße, d.h. die Verschmelzung aller Gegensätze zu einem dumpfen Chaos, Feind jedes Ernstes, jeder Konsequenz, jedes Enthusiasmus, jedes großen Gedankens und Entschlusses, und überhaupt jedweder Erscheinung, welche über die lange und breite Oberfläche um ein Weniges hervorragte, ganz besonders aber verliebt in den ewigen Frieden. Sie hat ihren entnervenden Einfluss recht merklich auch an die Höfe und in die Kabinette verbreitet. - Seit der französischen Revolution sind die Lehren vom Menschenrechte und von der Freiheit und ursprünglichen Gleichheit Aller, - zwar die ewigen und unerschütterlichen Grundfesten aller gesellschaftlichen Ordnung, gegen welche durchaus kein Staat verstoßen darf, mit deren alleiniger Erfassung aber man einen Staat weder errichten, noch verwalten kann, - auch von Einigen der Unsern, in der Hitze des Streites, mit einem zu großen Akzente, und als ob sie in der Staatskunst noch weiter führten, als sie es wirklich tun, behandelt, und manches Andere, was dahin auch noch gehört, übergangen worden, welche Übertreibung gleichfalls nicht ohne allen störenden Einfluss geblieben. Nun hat man zwar nicht ermangelt, später das Fehlende in mancherlei Formen nachzuholen; aber es scheint, dass diese Schriften, als Schulübungen und Fakultätenware, und als nicht würdig von den Händen der Weltleute berührt zu werden, liegen geblieben. So mag denn nun Einer, der nicht unbekannt ist und nicht unberüchtigt, von den Toten aufstehen, und sie des Rechten bedeuten!

 

*) Diskurse. Bd.I. Kap.3.


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