Sechzehntes Kapitel
Was soll ich von Paris sagen? Mein ganzes Leben dort war einerseits ein fieberhafter Taumel, andrerseits eine große Narrheit. Ich lebte in Paris im ganzen nur drei Wochen und einige Tage, und in diesem Zeitraum gingen meine hunderttausend Franc vollständig drauf. Ich rede nur von einhunderttausend; denn die andern hunderttausend hatte ich Mademoiselle Blanche in barem Gelde gegeben: fünfzigtausend gab ich ihr in Frankfurt, und drei Tage darauf stellte ich ihr in Paris noch einen Wechsel über fünfzigtausend Franc aus, für den sie sich aber eine Woche darauf von mir das Geld geben ließ; „et les cent mille Francs, qui nous restent, tu les mangeras avec moi, mon outchitel“. Sie nannte mich beständig mit dieser Bezeichnung. Es ist schwer, sich in der Welt etwas Sparsameres, Geizigeres, Knauserigeres zu denken, als es die Gattung von Geschöpfen ist, zu der Mademoiselle Blanche gehörte. Aber das bezieht sich nur auf die Art, wie sie mit ihrem eigenen Geld umgehen. Was die hunderttausend Franc betrifft, die eigentlich mir hätten verbleiben sollen, so erklärte sie mir nachher geradezu, die habe sie für ihre erste Einrichtung in Paris gebraucht, und fügte hinzu: „Jetzt habe ich aber auch ein für allemal in der besseren Gesellschaft Fuß gefaßt; nun wird so bald niemand meine Stellung erschüttern; wenigstens habe ich getan, was in meinen Kräften stand.“ Übrigens hatte ich von diesen hunderttausend Franc, bis sie zu Ende waren, fast gar nichts mehr zu sehen bekommen; das Geld hielt sie die ganze Zeit über in ihrem eigenen Gewahrsam, und meine Börse, die sie selbst täglich revidierte, enthielt nie mehr als hundert Franc und meistens weniger.
„Wozu brauchst du Geld?“ sagte sie manchmal mit der harmlosesten Miene, und ich ließ mich darüber in keinen Streit mit ihr ein.
Sie dagegen richtete von diesem Geld ihre neue Wohnung außerordentlich hübsch ein, und als sie mich dann hindurchführte und mir alle Zimmer zeigte, sagte sie: „Da kannst du sehen, was sich mit den armseligsten Mitteln ausrichten läßt, wenn man nur ökonomisch ist und Geschmack besitzt.“ Diese armseligen Mittel, das waren aber genau fünfzigtausend Franc. Für die übrigen fünfzigtausend schaffte sie sich eine Equipage und Pferde an; außerdem gaben wir zwei Bälle oder vielmehr kleine Soiréen, auf denen auch Hortense und Lisette und Cléopâtre erschienen, Damen, die in vielfacher Hinsicht interessant und ganz und gar nicht häßlich waren. Auf diesen beiden Soiréen war ich genötigt, die sehr dumme Rolle des Hausherrn zu spielen und die Gäste zu empfangen und zu unterhalten. Und was für Gäste! Da waren bornierte, aber reichgewordene Kaufleute, die überall sonst wegen ihrer Ignoranz und Schamlosigkeit unmöglich waren, mehrere Leutnants und jämmerliche Literaten und Journalisten, die in modernen Fracks und mit strohgelben Handschuhen erschienen, und deren Eitelkeit und Aufgeblasenheit von so kolossalen Dimensionen waren, wie es sogar bei uns in Petersburg undenkbar wäre — und das will viel sagen. Sie erdreisteten sich sogar, sich über mich lustig zu machen; aber ich trank tüchtig Champagner und legte mich dann in der Hinterstube eine Weile aufs Sofa. All das war mir im höchsten Grade widerlich. „C'est un outchitel“, sagte Blanche von mir, „il a gagné deux cent mille francs und würde ohne mich nicht wissen, wie er sie ausgeben soll. Nachher wird er wieder Lehrer werden; weiß keiner von Ihnen eine Stelle für ihn? Man muß etwas für ihn tun.“
Zum Champagner nahm ich recht oft meine Zuflucht, weil ich beständig in sehr trüber Stimmung war und mich aufs äußerste langweilte. Der Haushalt, in dem ich lebte, trug einen im höchsten Grade kleinbürgerlichen, krämerhaften Charakter: bei jedem Sou, der ausgegeben werden sollte, wurde gerechnet und überlegt. Blanche liebte mich in den ersten zwei Wochen sehr wenig; das merkte ich recht wohl. Allerdings sorgte sie dafür, daß ich elegant gekleidet ging, und band mir eigenhändig alle Tage die Krawatte; aber im Grunde ihrer Seele verachtete sie mich. Ich meinerseits kümmerte mich darum nicht im geringsten. Aus Langeweile und Trübsinn wurde ich ein regelmäßiger Besucher des Château des Fleurs, wo ich mich jeden Abend betrank und Cancan tanzen lernte (der dort in recht garstiger Manier getanzt wird) und schließlich auf diesem Gebiet sogar einige Berühmtheit erwarb. Dann aber gewann Blanche doch etwas mehr Verständnis für mein Wesen. Aus irgendwelchem Grund hatte sie sich früher die Vorstellung gebildet, ich würde während der ganzen Dauer unseres Zusammenlebens mit dem Bleistift und dem Notizbuch in den Händen hinter ihr hergehen und alles berechnen, was sie mir gestohlen und ausgegeben habe, und was sie mir noch stehlen und ausgeben werde. Und sie war fest überzeugt, daß es bei uns um eines jeden Zehnfrancstücks willen eine hitzige Schlacht setzen werde. Auf jeden meiner Angriffe, die sie mit Sicherheit erwartete, hatte sie sich schon im voraus eine Erwiderung zurechtgelegt; aber da sie von meiner Seite keine Angriffe erfolgen sah, machte sie selbst mit ihren Erwiderungen den Anfang. Manchmal begann sie sehr hitzig; wenn sie dann aber sah, daß ich schwieg (ich rekelte mich meist auf einer Chaiselongue und blickte, ohne mich zu rühren, nach der Zimmerdecke), da wunderte sie sich schließlich doch. Anfangs dachte sie, ich sei einfach dumm, „un outchitel“, und brach einfach ihre Erklärungen ab, weil sie sich wahrscheinlich sagte: „Er ist ja dumm; es hat keinen Zweck, ihn erst auf etwas zu bringen, wenn er es nicht von selbst versteht. “Es kam jedoch vor, daß sie aus dem Zimmer ging, aber nach zehn Minuten wieder zurückkehrte und ihr Thema wieder aufnahm. Das folgende Gespräch begab sich in einem solchen Fall zur Zeit ihrer sinnlosen Ausgaben, Ausgaben, die weit über unsere Mittel hinausgingen: so gab sie zum Beispiel unsere Pferde weg und kaufte für sechzehntausend Franc ein anderes Paar.
„Na, also du bist nicht böse darüber, bibi?“ fragte sie, zu mir herantretend.
„Nein, nein, wozu redest du noch?“ antwortete ich gähnend und schob sie mit der Hand von mir weg. Aber dieses Benehmen von meiner Seite war ihr so merkwürdig, daß sie sich sofort neben mich setzte.
„Siehst du, wenn ich mich entschlossen habe, so viel dafür zu bezahlen, so habe ich es nur deswegen getan, weil es ein Gelegenheitskauf war. Wir können sie für zwanzigtausend Franc wieder verkaufen.“
„Ich glaube es, ich glaube es; es sind schöne Pferde, und wenn du jetzt ausfährst, wird es sich sehr gut ausnehmen; das wird dir für deine weitere Karriere zustatten kommen. Na, nun genug davon!“
„Also du bist nicht böse?“
„Warum sollte ich böse sein? Du handelst sehr verständig, wenn du dir einiges anschaffst, was du notwendig brauchst. All das wird dir später von Nutzen sein. Ich sehe ein, daß du dir in der Tat eine solche Stellung in der Gesellschaft schaffen mußt; sonst wirst du nie eine Million erwerben. Da sind unsere hunderttausend Franc nur der Anfang, nur ein Tropfen im Meer.“
Blanche, die von mir alles andere eher erwartet hatte als solche Anschauungen (sie hatte gemeint, ich würde ein großes Geschrei erheben und ihr Vorwürfe machen), fiel aus den Wolken.
„Also so einer … also so einer bist du! Mais tu as l'esprit pour comprendre. Sais-tu, mon garçon, du bist zwar ein outchitel, aber du hättest als Prinz auf die Welt kommen müssen! Also es tut dir nicht leid, daß das Geld bei uns schnell davongeht?“
„Laß es in Gottes Namen davongehen; so schnell wie es will!“
„Mais … sais-tu … mais dis donc, bist du denn reich? Mais sais-tu, du schätzt denn doch das Geld gar zu gering. Qu'est-ce que tu feras après, dis donc?“
„Après? Ich werde nach Homburg fahren und wieder hunderttausend Franc gewinnen.“
„Qui, oui, c'est ça, c'est magnifique! Und ich weiß, du wirst bestimmt gewinnen und mir das Geld herbringen. Dis donc, du bringst es noch dahin, daß ich dich wirklich liebgewinne. Eh bien, zum Lohn dafür, daß du so bist, werde ich dich auch diese ganze Zeit über lieben und dir kein einziges Mal untreu werden. Siehst du, diese ganze Zeit her habe ich dich allerdings nicht geliebt, parce que je croyais, que tu n'es qu'un outchitel (quelque chose comme un laquais, n'est-ce pas?); aber ich bin dir trotzdem treu gewesen, parce que je suis bonne fille.“
„Na, na, rede mir nichts vor! Habe ich dich nicht das vorige Mal mit Albert, diesem kleinen, brünetten Offizier, zusammen gesehen?“
„Oh, oh, mais tu es …“
„Na, nur nicht schwindeln, nur nicht schwindeln! Aber denkst du denn, daß ich darüber böse bin? Mir ganz gleichgültig; il faut que jeunesse se passe. Du kannst ihn doch nicht wegjagen, wenn du ihn vor meiner Zeit gehabt hast und ihn liebst. Nur gib ihm kein Geld, hörst du?“
„Also auch darüber bist du nicht böse? Mais tu es un vrai philosophe, sais-tu? Un vrai philosophe!“ rief sie ganz entzückt. „Eh bien, je t'aimerai, je t'aimerai — tu verras, tu seras content!“
Und wirklich bewies sie mir seitdem eine Art von Anhänglichkeit, ja Freundschaft, und so vergingen unsere letzten zehn Tage. Die ‚Sterne‘, die sie versprochen hatte mir zu zeigen, habe ich freilich nicht gesehen; aber in mancher Beziehung hielt sie tatsächlich Wort. Auch machte sie mich mit Hortense bekannt, die eine in ihrem Genre sehr bemerkenswerte Dame war und in unserm Kreis „Thérèse philosophe“ genannt wurde …
Aber es hat keinen Zweck, darüber ausführlicher zu handeln; alles dies könnte eine besondere Erzählung abgeben; eine Erzählung mit besonderem Kolorit, die ich in die hier vorliegende nicht einschieben will. In summa: ich wünschte von ganzem Herzen, daß alles recht bald zu Ende sein möchte. Aber unsere hunderttausend Franc reichten, wie schon gesagt, fast einen Monat lang — worüber ich wirklich erstaunt war: denn für mindestens achtzigtausend Franc von diesem Geld hatte Blanche sich allerlei angeschafft, und wir hatten für unsern Lebensunterhalt nicht mehr als zwanzigtausend Franc verbraucht — und es hatte doch gereicht. Blanche, die gegen Ende unseres Zusammenseins mir gegenüber beinah aufrichtig war (wenigstens in manchen Dingen belog sie mich nicht), rühmte sich, daß ich wenigstens nicht für die Schulden würde einzustehen haben, die sie genötigt gewesen sei zu machen. „Ich habe“, sagte sie zu mir, „dich keine Rechnungen und Wechsel unterschreiben lassen, weil du mir leid tatest; eine andere hätte das unbedingt getan und dich ins Schuldgefängnis gebracht. Da siehst du, wie ich dich geliebt habe, und wie gut ich bin! Was wird mich schon allein diese verwünschte Hochzeit kosten!“
Es wurde bei uns wirklich Hochzeit gehalten. Sie fiel bereits ganz an das Ende unseres Monats, und es war anzunehmen, daß für sie der letzte Rest meiner hunderttausend Franc draufgehen werde; damit war denn auch die Sache zum Abschluß gelangt, das heißt unser Monat war zu Ende, und ich trat nun in aller Form in den Ruhestand.
Das trug sich folgendermaßen zu. Eine Woche, nachdem wir uns in Paris niedergelassen hatten, kam der General angereist. Er begab sich direkt zu Blanche und blieb von seinem ersten Besuch an fast dauernd bei uns. Allerdings hatte er irgendwo in der Nähe auch eine eigene Wohnung. Blanche begrüßte ihn freudig, mit Lachen und Ausrufen des Entzückens, und umarmte ihn sogar stürmisch; das Verhältnis gestaltete sich dann so, daß sie selbst ihn gar nicht mehr von sich fortlassen wollte und er sie überallhin begleiten mußte: auf den Boulevard, bei Spazierfahrten, ins Theater und zu Bekannten. Für diese Verwendung war der General ganz wohl brauchbar; er war eine stattliche, vornehme Erscheinung von mehr als Mittelgröße, mit gefärbtem Backenbart und gefärbtem, gewaltigem Schnurrbart (er hatte seinerzeit bei den Kürassieren gedient) und mit einem angenehmen, wenn auch etwas aufgedunsenen Gesicht. Er besaß vortreffliche Manieren und trug seinen Frack mit vielem Anstand. In Paris legte er auch seine Orden wieder an. Mit einem solchen Mann auf dem Boulevard zu gehen war nicht nur möglich, sondern, wenn ich mich so ausdrücken darf, sogar eine Empfehlung. Der gutmütige, einfältige General war mit alledem höchst zufrieden; er hatte darauf gar nicht gerechnet, als er nach seiner Ankunft in Paris zu uns kam. Er hatte damals beinah gezittert vor Angst, er hatte gedacht, Blanche würde ihn anschreien und ihm die Tür weisen; da er nun einen so ganz anderen Empfang gefunden hatte, war er in das größte Entzücken geraten und befand sich nun diesen ganzen Monat über in dem Zustand eines sinnlosen Wonnerausches; in diesem Zustand verließ ich ihn auch.
Erst hier habe ich genauer erfahren, daß ihm damals nach unserer plötzlichen Abreise aus Roulettenburg an demselben Vormittag etwas in der Art eines Schlaganfalls zugestoßen war. Er war besinnungslos niedergestürzt und war dann eine ganze Woche lang wie ein Wahnsinniger gewesen und hatte lauter törichtes Zeug geredet. Er war ärztlich behandelt worden, hatte aber auf einmal alles stehen und liegen lassen, sich auf die Bahn gesetzt und war nach Paris gefahren. Natürlich erwies sich der freundliche Empfang, den er bei Blanche fand, für ihn als das beste Heilmittel; aber Spuren seiner Krankheit blieben bei ihm noch lange Zeit zurück, trotz seiner frohen, seligen Gemütsstimmung. Etwas zu überlegen oder auch nur ein einigermaßen ernstes Gespräch zu führen war er völlig unfähig, in solchem Fall sagte er nur zu jedem Satz des andern: „Hm!“ und nickte mit dem Kopf — auf weiteres ließ er sich nicht ein. Er lachte oft; aber es war ein nervöses, krankhaftes Lachen, als könnte er sich gar nicht genug tun; ein andermal saß er ganze Stunden lang da, mit einem Gesicht finster wie die Nacht, die buschigen Augenbrauen mürrisch zusammengezogen. Für viele Dinge war ihm das Gedächtnis ganz abhanden gekommen; seine Zerstreutheit ging über alles Maß, und er hatte sich angewöhnt, mit sich selbst zu reden. Nur Blanche vermochte ihn zu beleben, und diese Anfälle von Trübsinn und Schwermut, bei denen er sich in eine Ecke verkroch, traten auch nur dann ein, wenn er Blanche lange nicht gesehen hatte oder sie weggefahren war, ohne ihn mitzunehmen, oder sie beim Wegfahren ihm keine Liebkosung hatte zuteil werden lassen. Dabei hätte er selbst nicht sagen können, was er eigentlich wollte, und wußte selbst nicht, daß er finster und traurig war. Nachdem er eine oder zwei Stunden so dagesessen hatte (ich beobachtete das mehrere Male, als Blanche für den ganzen Tag weggefahren war, vermutlich zu Albert), begann er auf einmal sich nach allen Seiten umzusehen und unruhig hin und her zu laufen; es war, als ob ihm eine Frage eingefallen wäre und er jemand suchen wollte. Aber wenn er dann niemand sah und sich auch nicht mehr besinnen konnte, wonach er hatte fragen wollen, so sank er wieder in sein Dahinbrüten zurück, bis auf einmal Blanche erschien, heiter, ausgelassen, in eleganter Toilette, mit ihrem hellen Lachen; sie lief auf ihn zu, zupfte und schüttelte ihn; manchmal, wiewohl dies nur selten, küßte sie ihn sogar. Einmal freute sich der General darüber dermaßen, daß er in Tränen ausbrach. Ich war ganz verwundert.
Gleich von der Zeit an, wo der General bei uns eingetroffen war, begann Blanche ihn mir gegenüber wie ein Advokat zu verteidigen. Sie bediente sich dabei sogar aller möglichen rednerischen Kunstgriffe: sie erinnerte mich daran, daß sie dem General nur um meinetwillen untreu geworden sei, daß sie beinah schon seine Braut gewesen sei, ihm ihr Wort gegeben habe; daß er um ihretwillen seine Familie im Stich gelassen habe, und daß ich doch eigentlich bei ihm in Dienst gestanden hätte und ihn deswegen immer noch respektieren müsse, und ich solle mich schämen, jetzt über ihn zu lachen … Ich schwieg bei solchen Reden immer; aber ihr Mundwerk konnte gar nicht zur Ruhe kommen. Zuletzt pflegte ich in ein Gelächter auszubrechen, und damit war dann die Sache beendet, das heißt in der ersten Zeit hielt sie mich für einen Dummkopf, und in der letzten Zeit war sie der Ansicht, daß ich ein sehr guter, vernünftiger Mensch sei. Kurz, gegen das Ende unseres Zusammenwohnens hatte ich das Glück, mir das Wohlwollen dieses achtbaren Fräuleins erworben zu haben. (Übrigens war Blanche wirklich ein sehr gutes Mädchen — selbstverständlich nur in ihrer Art; ich hatte sie anfangs nicht richtig beurteilt.) „Du bist ein verständiger, guter Mensch“, sagte sie in der letzten Zeit manchmal zu mir, „und … und … es ist nur schade, daß du so dumm bist! Du wirst nie ordentlich Geld verdienen. Un vrai Russe, un calmouk!“
Mitunter schickte sie mich aus, um den General in den Straßen spazierenzuführen, ganz wie einen Diener mit einem Windspiel. Ich führte ihn auch ins Theater und nach dem Bal-Mabille und in Restaurants. Dazu gab Blanche sogar Geld her, obgleich der General auch eigenes Geld hatte und mit besonderem Vergnügen vor den Augen anderer Leute seine Brieftasche hervorholte. Einmal mußte ich beinahe Gewalt anwenden, um ihn davon abzuhalten, für siebenhundert Franc im Palais-Royal eine Brosche zu kaufen, die er schön fand und durchaus Blanche zum Geschenk machen wollte. Na, was hätte sie sich aus einer Brosche für siebenhundert Franc gemacht! Und dabei besaß der General an Geld nicht mehr als tausend Franc. Ich habe nie in Erfahrung bringen können, wo er diese Summe her hatte. Ich denke mir aber, von Mister Astley, und dies um so mehr, da dieser im Hotel für den General und die Seinen bezahlt hatte. Was nun die Meinung anlangt, die der General die ganze Zeit über von mir hatte, so glaube ich, daß er meine Beziehungen zu Blanche nicht im entferntesten ahnte. Er hatte zwar dunkel davon gehört, daß ich ein Kapital gewonnen hätte, nahm aber aller Wahrscheinlichkeit nach trotzdem an, daß ich bei Blanche so eine Art von Privatsekretär oder vielleicht sogar nur Diener sei. Jedenfalls redete er zu mir stets in der früheren Weise von oben herab, im Ton des Vorgesetzten, und verstieg sich sogar zuweilen dazu, mich energisch auszuschelten. Einmal versetzte er mich und Blanche in die größte Heiterkeit; es war in unserer Wohnung, beim Morgenkaffee. Er war sonst nicht besonders empfindlich; aber damals fühlte er sich auf einmal von mir beleidigt; wodurch, das weiß ich noch heute nicht. Und er selbst hätte es damals auch nicht sagen können. Kurz, er redete und redete das sinnloseste Zeug, à bâtons rompus, schrie, ich sei ein Grünschnabel, er werde mich lehren … er werde es mir schon zeigen usw. Aber keiner konnte von dem, was er sagte, das geringste verstehen. Blanche wollte sich ausschütten vor Lachen; endlich gelang es uns, ihn einigermaßen zu beruhigen, und ich führte ihn spazieren. Nicht selten aber bemerkte ich an ihm, daß er traurig wurde, daß ihm irgend jemand oder irgend etwas leid tat, und daß ihm, sogar wenn Blanche anwesend war, jemand fehlte. In solchen Augenblicken begann er ein paarmal von selbst mit mir zu reden, war aber nie imstande, sich verständlich auszudrücken; er sprach von seiner Dienstzeit, von seiner verstorbenen Frau, von der Landwirtschaft und von seinem Gut. Kam ihm dabei zufällig irgendein Wort in den Mund, das ihm Eindruck machte, so hatte er an ihm eine kindliche Freude und wiederholte es des Tags wohl hundertmal, obgleich es in Wirklichkeit weder seine Gefühle noch seine Gedanken wiedergab. Ich versuchte es, ein Gespräch mit ihm über die Kinder in Gang zu bringen; aber er machte sich davon in seiner alten Manier frei, indem er eilig ein paar Worte sagte und dann schnell zu einem andern Gegenstand überging: „Ja, ja! Die Kinder, die Kinder, Sie haben recht, die Kinder!“ Nur einmal ließ er ein tieferes Empfinden erkennen (ich war gerade mit ihm auf dem Weg ins Theater), indem er plötzlich anfing: „Es sind unglückliche Kinder; ja, mein Herr, ja, es sind unglückliche Kinder!“ Und nun wiederholte er an diesem Abend mehrmals die Worte: „Unglückliche Kinder!“ Als ich einmal von Polina zu sprechen anfing, geriet er geradezu in Wut: „Das ist ein undankbares Frauenzimmer!“ rief er. „Sie ist boshaft und undankbar! Sie hat Schande über die Familie gebracht! Wenn es hier Gesetze gäbe, so würde ich sie gehörig fassen! Jawohl, jawohl!“ Was de Grieux betrifft, so konnte er es nicht einmal ertragen, dessen Namen zu hören: „Dieser Mensch hat mich ruiniert“, sagte er; „er hat mich bestohlen, er ist mein Halsabschneider gewesen! Ganze zwei Jahre lang habe ich das Verhältnis zu ihm wie ein Alpdrücken empfunden. Monatelang habe ich jede Nacht von ihm geträumt! Das ist … das ist … Oh, erwähnen sie ihn nie wieder mir gegenüber!“
Ich sah, daß zwischen ihm und Blanche eine Verständigung zustande kam; aber ich schwieg nach meiner Gewohnheit. Eine Mitteilung darüber machte mir zuerst Blanche; es war genau eine Woche, bevor wir uns trennten. „Il a de la chance“, sagte sie in ihrer flinken Redeweise. „Seine Tante ist jetzt wirklich krank und wird bestimmt nächstens sterben. Mister Astley hat ein Telegramm geschickt. Trotz allem Geschehenen wird er sie beerben; daran ist wohl kein Zweifel. Und selbst wenn das nicht eintritt, wird er mir in keiner Weise lästig fallen. Erstens hat er seine Pension, und zweitens wird er in einer Hinterstube wohnen und sich dabei höchst glücklich fühlen. Ich werde madame la générale werden. Ich werde in die gute Gesellschaft eintreten“ (das war das Ziel, von dem Blanche immer träumte und schwärmte), „und später werde ich eine russische Gutsbesitzerin werden, j'aurai un château, des moujiks, et puis j'aurai toujours mon million.“
„Na, aber wenn er eifersüchtig wird und von dir verlangt, daß du … du verstehst?“
„O nein, non, non, non! Wie sollte er das wagen! Dem habe ich vorgebeugt; da brauchst du dich nicht zu beunruhigen. Ich habe ihn schon veranlaßt, einige Wechsel mit Alberts Namen zu unterschreiben. Sowie er unangenehm werden sollte, wird er sofort wegen Wechselfälschung bestraft; aber er wird es ja nicht wagen!“
„Nun, dann heirate ihn …“
Die Hochzeit fand ohne besonderen Prunk still im Familienkreise statt. Eingeladen waren Albert und noch ein paar Bekannte. Hortense, Cléopâtre und andere Damen dieser Art wurden von diesem Fest absichtlich ferngehalten. Der Bräutigam war sehr stolz auf seine neue Würde. Blanche band ihm eigenhändig die Krawatte und pomadisierte ihm selbst das Haar; er sah in seinem Frack und in seiner weißen Weste très comme il faut aus.
„Il est pourtant très comme il faut“, äußerte Blanche mir gegenüber selbst, als sie aus dem Zimmer des Generals herauskam; daß der General très comme il faut war, schien für sie selbst eine überraschende Entdeckung zu sein. Ich kümmerte mich bei dieser Hochzeit sehr wenig um die Einzelheiten und nahm an dem ganzen Fest nur als müßiger Zuschauer teil; infolgedessen weiß ich heute nur noch mangelhaft, wie es dabei zuging. Ich erinnere mich nur, daß Blanche, wie jetzt auf einmal bekannt wurde, gar nicht de Cominges hieß (ebenso wie ihre Mutter keine veuve Cominges war), sondern du Placet. Warum die beiden sich bisher de Cominges genannt hatten, weiß ich nicht. Aber der General war auch hiermit sehr zufrieden, und der Name du Placet gefiel ihm sogar noch besser als der Name de Cominges. Am Morgen des Hochzeitstages ging er, schon vollstämdig festlich gekleidet, immer im Salon auf und ab und sagte fortwährend mit überaus ernster, würdevoller Miene vor sich hin: „Mademoiselle Blanche du Placet! Blanche du Placet, du Placet! Jungfrau Blanka du Placet! …“ und dabei strahlte sein Gesicht von Eitelkeit. In der Kirche, beim Maire und zu Hause beim Frühstück war er nicht nur heiter und zufrieden, sondern sogar stolz. Mit ihm sowie mit seiner jungen Frau ging etwas Besonderes vor. Blanche hatte sogar eine Art von würdigem Aussehen angenommen.
„Ich muß mir jetzt ein ganz anderes Betragen zu eigen machen“, sagte sie zu mir mit großem Ernst; „mais vois-tu, an einen häßlichen Umstand hatte ich nicht gedacht: denk dir nur, ich kann immer noch nicht meinen neuen Familiennamen im Kopf behalten: Sagorjanski, Sagosianski, madame la générale de Sago … Sago … ces diables de noms russes, enfin madame la générale a quatorze consonnes! Comme c'est agréable, n'est-ce pas?“
Endlich trennten wir uns, und Blanche, diese dumme Blanche, fing beim Abschied von mir sogar an zu weinen. „Tu étais bon enfant“, sagte sie schluchzend. „Je te croyais bête et tu en avais l'air, aber das steht dir gut.“ Und als sie mir schon zum letzten Male die Hand gedrückt hatte, rief sie plötzlich: „Attends!“ lief in ihr Boudoir und brachte mir einen Augenblick darauf von dort zwei Tausendfrancscheine. So etwas hätte ich nie für möglich gehalten! „Das wird dir zustatten kommen; du bist vielleicht ein sehr gelehrter outchitel, aber ein schrecklich dummer Mensch. Mehr als zweitausend gebe ich dir auf keinen Fall; denn du verspielst es doch nur. Nun adieu! Nous serons toujours bons amis, und wenn du wieder gewinnst, dann komm unter allen Umständen zu mir, et tu seras heureux.“
Ich besaß selbst noch fünfhundert Franc, und außerdem habe ich noch eine prachtvolle Uhr im Wert von tausend Franc, Hemdknöpfe mit Brillanten und mehr dergleichen, so daß ich noch ziemlich lange Zeit leben kann, ohne mir Sorgen zu machen. Ich habe mich absichtlich in diesem kleinen Städtchen niedergelassen, um mich zu sammeln, und, was die Hauptsache ist, ich erwarte Mister Astley.
Ich habe aus guter Quelle gehört, daß er hier durchkommen und sich in Geschäften einen Tag hier aufhalten wird. Von dem werde ich über alles, was mich interessiert, Auskunft erhalten … und dann, dann sofort nach Homburg! Nach Roulettenburg will ich diesmal nicht fahren; vielleicht tue ich es im nächsten Jahr. Es soll ein böses Omen sein, wenn man sein Glück zweimal hintereinander an ein und demselben Tisch versucht. Und dann ist auch in Homburg das wahre Spiel, das Spiel, wie es sein muß.