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Sechstes Kapitel

Peter Stepanowitsch in geschäftiger Tätigkeit

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Der Tag, an dem das Fest stattfinden sollte, war nun endgültig festgesetzt; aber Herr v. Lembke wurde immer trüber und nachdenklicher. Er war von seltsamen, schlimmen Ahnungen erfüllt, und Julija Michailowna beunruhigte sich über ihn sehr. Allerdings befand sich nicht alles im besten Zustande. Unser früherer milder Gouverneur hatte die Verwaltung nicht ganz in Ordnung hinterlassen; zur Zeit rückte die Cholera heran; an manchen Orten waren heftige Viehseuchen aufgetreten; den ganzen Sommer über hatten in den Städten und Dörfern Feuersbrünste gewütet, und im Volke gewann das törichte Gemurmel von Brandstiftungen immer mehr an Kraft. Das Räuberwesen war im Vergleich mit früher zu doppelten Dimensionen angewachsen. Aber all das wäre selbstverständlich noch nicht so schlimm gewesen, wenn nicht noch andere, schwerer wiegende Gründe hinzugekommen wären, die die Ruhe des bisher so glücklichen Andrei Antonowitsch störten.

Am meisten befremdete Julija Michailowna der Umstand, daß er mit jedem Tage schweigsamer und, was das Sonderbarste war, verschlossener wurde. Was hatte er denn überhaupt zu verbergen? fragte sie sich. Allerdings widersprach er ihr nur selten und ordnete sich ihr größtenteils völlig unter. Auf ihr Andringen waren z. B. zwei oder drei sehr gewagte und beinah gesetzwidrige Maßregeln getroffen worden, durch die die Amtsgewalt des Gouverneurs vergrößert wurde. Mehrmals war zu demselben Zwecke eine sehr bedenkliche Nachsicht geübt worden: es waren zum Beispiel Menschen, die verdient hätten vor Gericht gestellt und nach Sibirien geschickt zu werden, einzig und allein auf ihr Verlangen zu einer Auszeichnung vorgeschlagen. Auf manche Anfragen und Beschwerden war prinzipiell keine Antwort erteilt. All dies kam erst in der Folge an den Tag. Lembke unterschrieb nicht nur alles, sondern legte sich überhaupt nicht die Frage vor, in welchem Maße seine Gemahlin seine eigenen amtlichen Obliegenheiten versah. Dafür begann er auf einmal sich ab und zu bei »reinen Lappalien“ zu sträuben und Julija Michailowna dadurch in Erstaunen zu versetzen. Er fühlte allerdings das Bedürfnis, sich für ganze Tage des Gehorsams durch kurze Augenblicke der Auflehnung zu belohnen. Unglücklicherweise vermochte Julija Michailowna trotz all ihres Scharfsinns diesen edlen Zug eines edlen Charakters nicht zu verstehen. Leider kümmerte sie sich darum nicht, und daraus entstanden viele Mißverständnisse.

Es schlägt nicht in mein Fach, und ich verstehe mich nicht darauf, gewisse Dinge zu berichten. Über Fehler in Verwaltungsangelegenheiten zu urteilen, ist nicht meine Sache, und so will ich denn dieses ganze administrative Gebiet völlig beiseite lassen. Als ich die Darstellung dieser Ereignisse begann, habe ich mir andere Aufgaben gestellt. Außerdem wird vieles durch die gerichtliche Untersuchung klargestellt werden, die jetzt in unserm Gouvernement in die Wege geleitet ist, und so braucht man nur noch ein wenig zu warten. Einige Auseinandersetzungen indessen werde ich doch nicht vermeiden können.

Aber ich fahre über Julija Michailowna fort. Die arme Dame (ich bedaure sie aufrichtig) hätte alles, was sie reizte und lockte (nämlich Ruhm und dergleichen), ganz wohl ohne die starke, exzentrische Tätigkeit erreichen können, die sie bei uns gleich vom ersten Tage an auszuüben begann. Aber ob nun infolge ihrer allzu poetischen Veranlagung oder infolge der langen, traurigen Mißerfolge in ihrer ersten Jugend: nach dem Umschwunge ihres Schicksals fühlte sie sich auf einmal als eine besonders Berufene, beinah als eine Gesalbte, über der ein feuriges Flämmchen aufzüngelte; aber gerade in diesem Flämmchen lag das Malheur: das ist eben kein Chignon, der jeden Frauenkopf bedecken kann. Aber von dieser Wahrheit eine Frau zu überzeugen, ist ganz besonders schwer; im Gegenteil, wer ihr nach dem Munde spricht, macht bei ihr Glück, und so sprachen ihr denn alle um die Wette nach dem Munde. Die Ärmste war mit einem Male ein Spielball der verschiedenartigsten Einflüsse geworden, während sie sich gleichzeitig einbildete, völlig selbständig zu sein. Viele geschickte. Menschen machten sich während der kurzen Zeit, wo sie bei uns die Frau Gouverneur war, ihre Harmlosigkeit zunutze und verstanden es, ihr Schäfchen zu scheren. Und was für ein Ragout kam bei ihr unter dem Scheine der Selbständigkeit heraus! Es gefiel ihr alles mögliche: der Großgrundbesitz, und das aristokratische Element, und die Vermehrung der Amtsgewalt des Gouverneurs, und das demokratische Element, und die neuen Einrichtungen, und die alte Ordnung, und die Freidenkerei, und die sozialistischen Ideen, und der strenge Ton des aristokratischen Salons, und die beinah wirtshausmäßige Ungeniertheit der jungen Leute in ihrer Umgebung. Sie schwärmte davon, »glücklich zu machen“ und unversöhnliche Gegensätze miteinander zu versöhnen oder, richtiger gesagt, alle und alles in der Vergötterung ihrer eigenen Person zu vereinigen. Sie hatte auch ihre Lieblinge; so gefiel ihr ganz besonders Peter Stepanowitsch, der sich unter andern Mitteln auch der gröbsten Schmeichelei bediente. Aber er gefiel ihr auch noch aus einem andern sehr wunderlichen und für die arme Dame höchst charakteristischen Grunde: sie hoffte immer, er werde ihr eine ganze politische Verschwörung aufdecken! Wie schwer es auch sein mag, sich das vorzustellen, aber es war so. Sie hatte sich aus irgendwelchem Grunde die Meinung zurechtgemacht, daß sich in dem Gouvernement bestimmt eine politische Verschwörung verberge. Durch sein Schweigen in manchen Fällen und durch Andeutungen bei anderen Gelegenheiten trug Peter Stepanowitsch dazu bei, daß sich diese seltsame Idee immer mehr bei ihr festsetzte. Sie hatte die Vorstellung, er stehe mit allem, was es in Rußland an revolutionären Elementen gebe, in Verbindung, sei aber gleichzeitig ihr selbst bis zur Vergötterung ergeben. Die Aufdeckung der Verschwörung, der Dank aus Petersburg, die künftige Karriere, die Einwirkung auf die jungen Leute durch Freundlichkeit, um sie am Rande des Verderbens zurückzuhalten: all diese Gedanken erfüllten ihren phantasievollen Kopf. Sie hatte ja Peter Stepanowitsch gerettet und überwunden (davon war sie unerschütterlich überzeugt); da war zu erwarten, daß sie auch die übrigen retten werde. Sie sagte sich, es solle keiner, keiner von ihnen zugrunde gehen; sie werde sie alle retten; sie werde sie in verschiedene Klassen sortieren und so über sie berichten; sie werde im Geiste der höchsten Gerechtigkeit verfahren, und vielleicht werde sogar die Geschichte und der ganze russische Liberalismus ihren Namen segnen; aber dabei werde doch auch eine Verschwörung aufgedeckt sein. Alle möglichen Vorteile mit einemmal.

Aber doch war es erforderlich, daß wenigstens am Tage des Festes Andrei Antonowitsch ein vergnügteres Gesicht machte. Er mußte aufgeheitert und beruhigt werden. In dieser Absicht schickte sie Peter Stepanowitsch zu ihm; sie hoffte, daß dieser durch irgendein ihm bekanntes Beruhigungsmittel, vielleicht auch durch irgendwelche Mitteilungen, sozusagen Mitteilungen aus erster Hand, die Niedergeschlagenheit ihres Mannes beheben werde. Auf seine Geschicklichkeit setzte sie volles Vertrauen. Peter Stepanowitsch war schon lange nicht in Herrn v. Lembkes Arbeitszimmer gewesen. Er kam jetzt zu ihm gerade in einem Augenblicke hereingelaufen, wo der Patient sich in besonders übler Stimmung befand.