Obdachlose in den Parks
Aber bei alledem sind diejenigen noch glücklich, die nur noch ein Obdach irgendeiner Art haben - glücklich gegen die ganz Obdachlosen. In London stehen jeden Morgen fünfzigtausend Menschen auf, ohne zu wissen, wo sie für die nächste Nacht ihr Haupt hinlegen sollen. Die glücklichsten dieser Zahl, denen es gelingt, am Abend einen oder ein paar Pence zu erübrigen, gehen in ein sogenanntes Logierhaus (lodging-house), deren es in allen großen Städten eine Menge gibt und wo sie für ihr Geld ein Unterkommen finden. Aber welch ein Unterkommen! Das Haus ist von oben bis unten mit Betten angefüllt, vier, fünf, sechs Betten in einer Stube, soviel ihrer hineingehen. In jedes Bett werden vier, fünf, sechs Menschen gestopft, ebenfalls soviel ihrer hineingehen - Kranke und Gesunde, Alte und Junge, Männer und Weiber, Trunkene und Nüchterne, wie es gerade kommt, alles bunt durcheinander. Da gibt es denn Streit, Schlägereien und Verwundungen - und wenn sich die Bettgenossen vertragen, so ist das noch schlimmer, es werden Diebstähle verabredet oder Dinge getrieben, deren Bestialität unsere menschlicher gewordenen Sprachen nicht in Worten wiedergeben wollen. Und diejenigen, die kein solches Nachtlager bezahlen können? Nun, die schlafen, wo sie Platz finden, in Passagen, Arkaden, in irgendeinem Winkel, wo die Polizei oder die Eigentümer sie ungestört schlafen lassen; einzelne kommen wohl unter in den Zufluchtshäusern, die hier und dort von der Privatwohltätigkeit errichtet wurden - andere schlafen in den Parks auf den Bänken, dicht unter den Fenstern der Königin Viktoria - hören wir, was die "Times" vom Oktober 1843 sagt:
"Aus unserm gestrigen Polizeibericht geht hervor, daß eine Durchschnittsanzahl von fünfzig menschlichen Wesen jede Nacht in den Parks schlafen, ohne anderen Schutz gegen das Wetter als die Bäume und einige Höhlungen in den Dämmen. Die meisten derselben sind junge Mädchen, die von Soldaten verführt, in die Hauptstadt gebracht und in die weite Welt hinausgestoßen sind, hinaus in all die Verlassenheit der Not in einer fremden Stadt, in all die wilde Unbekümmertheit frühreifen Lasters.
Das ist in Wahrheit schrecklich. Arme muß es überall geben. Der Mangel wird überallhin seinen Weg finden und sich mit seiner ganzen Scheußlichkeit im Herze einer großen und üppigen Stadt niederlassen. In den tausend engen Gassen und Gäßchen einer volkreichen Metropole muß es immer, fürchten wir, viel Leiden geben viel, das das Auge beleidigt - viel, das nie ans Tageslicht kommt.
Aber daß im Kreise, den sich Reichtum, Fröhlichkeit und Glanz gezogen haben, daß nahe an der königlichen Größe von St. James, hart am strahlenden Palast von Bayswater, wo das alte und das neue aristokratische Viertel sich begegnen, in eine Gegend, wo das vorsichtige Raffinement moderner Städtebaukunst sich gehütet hat, auch nur die kleinste Hütte für die Armut zu errichten, in einer Gegend, die den ausschließlichsten Genüssen des Reichtums geweiht zu sein scheint - daß da Not und Hunger und Krankheit und Laster mit all ihren verwandten Schrecken einherziehen, verzehrend Leib auf Leib, Seele auf Seele!
Es ist in der Tat ein monströser Zustand. Die höchsten Genüsse, welche körperliche Gesundheit, geistige Anregung, unschuldigere Sinnenfreuden gewähren können, in unmittelbarer Berührung mit dem härtesten Elend! Reichtum, von seinen glänzenden Salons herab lachend, mit brutaler Gedankenlosigkeit lachend bei den ungekannten Wunden des Mangels! Freude, unbewußt aber grausam verhöhnend den Schmerz der dort unten stöhnt! Alle Gegensätze im Kampf, alle im Widerstreit, nur nicht das Laster, das in Versuchung führt, und das Laster, das sich versuchen läßt ... Aber all Menschen mögen des gedenken: daß in dem glänzendsten Bezirk der reichsten Stadt auf dieser Erde, Nacht auf Nacht, Winter auf Winter, Weiber zu finden sind, Weiber jung an Jahren, alt an Sünden und Leiden, Ausgestoßene der Gesellschaft, verfaulend in Hunger, Schmutz und Krankheit. Mögen sie des gedenken und lernen, nicht zu theoretisieren, sondern zu handeln. Gott weiß, es ist viel Raum da zum Handeln heutzutage!"