XVI
An eine Sängerin
Als sie eine Romanze sang
Ich denke noch der Zaubervollen,
Wie sie zuerst mein Auge sah!
Wie ihre Töne lieblich klangen
Und heimlich süß in’s Herze drangen,
Entrollten Tränen meinen Wangen —
Ich wußte nicht, wie mir geschah.
Ein Traum war über mich gekommen:
Mir war, als sei ich noch ein Kind,
Und säße still, beim Lämpchenscheine,
In Mutters frommem Kämmerleine,
Und läse Märchen wunderfeine,
Derweilen draußen Nacht und Wind.
Die Märchen fangen an zu leben,
Die Ritter steigen aus der Gruft;
Bei Ronzisvall, da gibt’s ein Streiten,
Da kommt Herr Roland herzureiten,
Viel kühne Degen ihn begleiten,
Auch leider Ganelon, der Schuft.
Durch den wird Roland schlimm gebettet,
Er schwimmt in Blut, und atmet kaum;
Kaum mochte fern sein Jagdhornzeichen
Das Ohr des großen Karls erreichen,
Da muß der Ritter schon erbleichen —
Und mit ihm stirbt zugleich mein Traum.
Das war ein laut verworr’nes Schallen,
Das mich aus meinen Träumen rief.
Verklungen war jetzt die Legende,
Die Leute schlugen in die Hände,
Und riefen „Bravo!“ ohne Ende;
Die Sängerin verneigt sich tief.