§ 12. Idee einer transzendentalen Erkenntnisbegründung
Unsere Meditation bedarf nun einer weiteren Fortbildung, in der, was bisher herausgestellt wurde, erst den rechten Nutzen bringen kann. Was kann ich (der cartesianisch Meditierende) mit dem transzendentalen Ego philosophisch anfangen? Gewiß, sein Sein geht für mich erkenntnismäßig allem objektiven Sein vorher: In gewissem Sinne ist es der Grund und Boden, auf dem sich alle objektive Erkenntnis abspielt. Aber darf dieses Vorhergehen besagen, daß es im gewöhnlichen Sinne Erkenntnisgrund für alle objektive Erkenntnis ist? Nicht als ob wir den großen Cartesianischen Gedanken, die tiefste Begründung aller Wissenschaften und selbst des Seins einer objektiven Welt in der transzendentalen Subjektivität zu suchen, preisgeben wollten. Wir würden ja sonst seinen meditierenden Wegen, sei es auch unter kritischen Abwandlungen, nicht nachgehen. Aber vielleicht eröffnet sich mit der Cartesianischen Entdeckung des transzendentalen Ego auch eine neue Idee von Erkenntnisbegründung, nämlich als transzendentaler Begründung. In der Tat, anstatt das ego cogito als apodiktisch evidente Prämisse für vermeintlich zu führende Schlüsse auf eine transzendente Subjektivität verwerten zu wollen, lenken wir unser Augenmerk darauf, daß die phänomenologische epoché (mir, dem meditierenden Philosophen) eine neuartige unendliche Seinssphäre freilegt als Sphäre einer neuartigen, der transzendentalen Erfahrung. Berücksichtigen wir, daß zu jeder Art wirklicher Erfahrung und ihren allgemeinen Abwandlungsmodi: Wahrnehmung, Retention, Wiedererinnerung usw. auch eine entsprechende reine Phantasie, eine Erfahrung als ob mit parallelen Modi (Wahrnehmung als ob, Retention als ob, Wiedererinnerung als ob usw.) gehört, so erwarten wir auch, daß es eine im Reich der reinen Möglichkeit (reinen Vorstellbarkeit, Phantasierbarkeit) sich haltende apriorische Wissenschaft gibt, die statt über transzendentale Seinswirklichkeiten vielmehr über apriorische Möglichkeiten urteilt, und damit zugleich den Wirklichkeiten Regeln a priori vorzeichnet.
Doch so, wie wir in dieser Art unsere Gedanken voreilen lassen zur Konzeption einer phänomenologischen Wissenschaft, die Philosophie werden soll, kommen wir mit der methodischen Grundforderung apodiktischer Evidenz in die schon früher berührten Schwierigkeiten. Denn wie wir schon sahen: So absolut diese Evidenz für das Sein des Ego, für es selbst ist, so ist sie jedoch nicht ohne weiteres Evidenz für das Sein der mannigfaltigen Gegebenheiten der transzendentalen Erfahrung. Sind nun auch die cogitationes, die in der Einstellung der transzendentalen Reduktion als wahrgenommene, wiedererinnerte usw. gegeben sind, keineswegs schon als absolut zweifellos seiende, gewesen seiende usw. in Anspruch zu nehmen, so wird es sich doch vielleicht zeigen lassen, daß die absolute Evidenz des ego sum notwendig auch hineinreiche in die Mannigfaltigkeiten der Selbsterfahrung vom transzendentalen Leben und den habituellen Eigenheiten des Ego, obschon nur in gewissen, die Tragweite solcher Evidenzen (derjenigen der Wiedererinnerung, der Retention usw.) bestimmenden Umgrenzungen. Noch genauer angedeutet ist folgendes vielleicht zu zeigen: Nicht die leere Identität des „Ich bin“ ist der absolut zweifellose Bestand der transzendentalen Selbsterfahrung, sondern es erstreckt sich durch alle besonderen Gegebenheiten der wirklichen und möglichen Selbsterfahrung hindurch — obschon sie im einzelnen nicht absolut zweifellos sind — eine universale apodiktische Erfahrungsstruktur des Ich (z. B. die immanente Zeitform des Erlebnisstromes). Mit ihr hängt es zusammen und zu ihr selbst gehört es auch mit, daß das Ich für sich selbst apodiktisch vorgezeichnet ist als konkretes, mit einem individuellen Gehalt an Erlebnissen, Vermögen, Dispositionen seiendes, horizontmäßig vorgezeichnet als ein durch mögliche, in infinitum zu vervollkommnende und eventuell zu bereichernde Selbsterfahrung zugänglicher Erfahrungsgegenstand.