§ 13. Notwendigkeit, die Probleme der Tragweite transzendentaler Erkenntnis zunächst auszuschalten
Das wirklich herauszustellen, wäre die große Aufgabe einer Kritik der transzendentalen Selbsterfahrung nach ihren sich miteinander verflechtenden Einzelformen und ihrer durch die universale Verflechtung sich vollziehenden Gesamtleistung. Offenbar wäre das eine Aufgabe höherer Stufe, die schon voraussetzte, daß wir, zunächst der in gewisser Weise naiv fungierenden Evidenz der einstimmig fortschreitenden transzendentalen Erfahrung folgend, uns in ihren Gegebenheiten umgetan, sie nach ihren Allgemeinheiten umschrieben hätten.
Die soeben vollzogene Erweiterung der Cartesianischen Meditationen wird unser weiteres Vorgehen in Absicht auf eine Philosophie (in dem oben beschriebenen Cartesianischen Sinne) entsprechend motivieren. In zwei Stufen müssen, das sehen wir voraus, die wissenschaftlichen Arbeiten verlaufen, für die sich der Gesamttitel der transzendentalen Phänomenologie dargeboten hat.
In der ersten wird das, wie sich alsbald zeigt, ungeheure Reich der transzendentalen Selbsterfahrung durchwandert werden müssen, und zunächst in bloßer Hingabe an die ihr im einstimmigen Verlauf innewohnende Evidenz, also unter Zurückstellung der Fragen einer letzten, auf apodiktische Prinzipien der Tragweite bedachten Kritik. Wir verfahren also in dieser noch nicht im vollen Sinne philosophischen Stufe ähnlich wie der Naturforscher in seiner Hingabe an die Evidenz der naturalen Erfahrung, wobei für ihn als Naturwissenschaftler Fragen einer prinzipiellen Erfahrungskritik überhaupt außerhalb seines Themas verbleiben.
Die zweite Stufe phänomenologischer Forschung beträfe dann eben die Kritik der transzendentalen Erfahrung und daraufhin der transzendentalen Erkenntnis überhaupt.
Eine unerhört eigenartige Wissenschaft tritt in unseren Gesichtskreis, eine Wissenschaft von der konkreten transzendentalen Subjektivität als in wirklicher und möglicher transzendentaler Erfahrung gegebenen, die den äußersten Gegensatz bildet zu den Wissenschaften im bisherigen Sinne, den objektiven Wissenschaften. Unter diesen findet sich zwar auch eine Wissenschaft von der Subjektivität, aber von der objektiven, animalischen, der Welt zugehörigen Subjektivität. Jetzt aber handelt es sich um eine sozusagen absolut subjektive Wissenschaft, eine Wissenschaft, deren Gegenstand in seinem Sein von der Entscheidung über Nichtsein oder Sein der Welt unabhängig ist. Aber noch mehr. Es scheint so wie ihr erster, so ihr einziger Gegenstand mein, des Philosophierenden, transzendentales Ego zu sein und nur sein zu können. Sicherlich liegt im Sinne der transzendentalen Reduktion, daß sie zu Anfang als seiend nichts anderes setzen kann als das Ego und was in ihm selbst beschlossen ist, und zwar mit einem Horizont unbestimmter Bestimmbarkeit. Sicherlich fängt sie also als reine Egologie an, und als eine Wissenschaft, die uns, wie es scheint, zu einem, obschon transzendentalen, Solipsismus verurteilt. Es ist ja noch gar nicht abzusehen, wie in der Einstellung der Reduktion andere Ego — nicht als bloß weltliche Phänomene, sondern als andere transzendentale Ego — als seiend sollen setzbar werden können, und damit zu mitberechtigten Themen einer phänomenologischen Egologie.
Wir dürfen uns durch solche Bedenken als anfangende Philosophen nicht schrecken lassen. Vielleicht, daß die Reduktion auf das transzendentale Ego nur den Schein einer bleibend solipsistischen Wissenschaft mit sich führt, während ihre konsequente Durchführung gemäß ihrem eigenen Sinne zu einer Phänomenologie der transzendentalen Intersubjektivität überleitet, und mittels ihrer sich entfaltend zu einer Transzendentalphilosophie überhaupt. In der Tat wird sich zeigen, daß ein transzendentaler Solipsismus nur eine philosophische Unterstufe ist und als solche in methodischer Absicht abgegrenzt werden muß, um die Problematik der transzendentalen Intersubjektivität als eine fundierte, also höherstufige in rechter Weise ins Spiel setzen zu können. Doch darüber ist an der jetzigen Stelle unserer Meditationen nichts Bestimmtes auszumachen, wie denn überhaupt die gegebenen Vordeutungen erst in ihrer Fortführung ihre volle Bedeutung erweisen können.
Bestimmt bezeichnet ist jedenfalls eine wesentliche Abweichung vom Cartesianischen Gang, die hinfort für unser ganzes weiteres Meditieren entscheidend sein wird. Im Gegensatz zu Descartes vertiefen wir uns in die Aufgabe der Freilegung des unendlichen Feldes transzendentaler Erfahrung. Die Cartesianische Evidenz, die des Satzes „Ego cogito, ego sum“, bleibt ohne Frucht, weil er es nicht nur versäumt, den reinen methodischen Sinn der transzendentalen epoché abzuklären, sondern auch versäumt, das Augenmerk darauf zu lenken, daß das Ego sich selbst ins Unendliche und systematisch durch transzendentale Erfahrung auslegen kann und somit als ein mögliches Arbeitsfeld bereit liegt, ein völlig eigenartiges und abgesondertes, sofern es sich zwar auf alle Welt und alle objektiven Wissenschaften mitbezieht, und doch ihre Seinsgeltung nicht voraussetzt, und sofern es damit von allen diesen Wissenschaften gesondert ist, und doch an sie in keiner Weise angrenzt.