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Kunst

Kunst (von können, lat. ars, gr. technê) bezeichnet zunächst im allgemeineren Sinne die menschliche Geschicklichkeit. Die Kunst im engeren, ästhetischen Sinne dagegen ist die schöpferische Fähigkeit des Menschen, Werke zu schaffen, die, mit den Sinnen wahrgenommen, ein geistiges Wohlgefallen hervorrufen. Sie stellt Ideen in sinnlicher Erscheinung dar. Sie richtet sich nicht auf das Nützliche, sondern auf das Wohlgefällige und ist kein Produkt verstandesmäßigen Schaffens, sondern Erzeugnis des schaffenden Volksgeistes. Sie trägt deswegen überall, wo sie original ist, nationalen, eigenartigen Charakter. Um die Götter zu verherrlichen, sich selbst zu schmücken, das Bild geliebter oder verehrter Personen in Stein, Farbe und dgl. festzuhalten, haben die Menschen Kunstwerke geschaffen. Die Kunst steht in Beziehung zur Natur. Sie ist zum Teil Nachahmung (mimêsis) der Natur; denn sie verwendet ihre Vorbilder zu Symbolen, ihre Gestalten zur Wiedergabe, ihre Stoffe zur Darstellung; doch beschränkt sie sich nicht auf die Nachahmung, sondern idealisiert die vorbildlichen Gestalten. Das Gesetz der Natur ist Notwendigkeit, das des Künstlers Freiheit. Auch hat nicht in allen Künsten das Vorbild der Natur gleiche Bedeutung. Die Architektur ist in ihrem konstruktiven Teil vorbildlos. Auch die Musik schließt sich nicht an Vorbilder der Natur an, und für das Gebiet der Lyrik innerhalb der Poesie ist der Begriff der Nachahmung viel zu eng, um ihn auf die Autorität des Aristoteles hin aufrechterhalten zu können. Lyrik ist Ausdruck der Gefühle, nicht Nachahmung. Auch die Stoffe der Natur finden nicht in allen Künsten gleiche Anwendung. In der Architektur z.B. hat der Stoff eine größere Bedeutung als in der Malerei. In der Poesie ist der Laut durch seine Bedeutung schon fast völlig vergeistigt. Mit der Wissenschaft hat die Kunst die Geistestätigkeit und das höhere Streben gemein, sie ist auch eine Sprache und hat es mit Gedanken und Ideen zu tun; aber sie schaltet nicht mit Begriffen, Urteilen und Schlüssen; ihr Organ ist vorwiegend das Gefühl und die Phantasie, nicht der Verstand. Die Kunst wächst vielfach aus dem Handwerk, der für den Nutzen schaffenden Tätigkeit des Menschen, hervor. Die Werke der Architektur haben z.B. zum größten Teil auch ihren nützlichen Zweck; aber auf Grund des menschlichen Nachahmungs- und Spieltriebes entsteht die freiere, vom Nützlichen abgewandte künstlerische Subjektivität, wenn sich Phantasie mit warmer Sinnlichkeit, schwungvoller Begeisterung und reicher Reflexion verbindet. Dazu muß dann noch die technische Schulung treten, damit die Idee ihren angemessenen Ausdruck finde, und die künstlerische Individualität, damit etwas Eigentümliches, Originelles, Klassisches entstehe. Eingeteilt werden die Künste nach den sinnlichen Mitteln, mit welchen sie darstellen. Sie zerfallen danach 1. in die wesentlich für das Auge in räumlichen Verhältnissen darstellenden bildenden Künste: Architektur, Plastik und Malerei; 2. in die wesentlich für das Ohr in zeitlichen Verhältnissen darstellenden oder tönenden: Musik und Poesie; 3. in die zugleich räumlich und zeitlich darstellenden oder mimischen Künste: Tanz, Gymnastik, Schauspielkunst. Eine andere Einteilung richtet sich nach dem dargestellten Gegenstande. In der Anlehnung an die bewußtlose rein sinnliche Formenwelt bewegt sich die Architektur, in der Darstellung der den Geist verkörpernden Gestalten des Menschen und der Natur die Plastik und Malerei, in der Betätigung des empfindenden Geistes die Musik, in der Auffassung menschlicher Taten und Charaktere die Poesie. Die Architektur gibt dem Raum feste Grenzen und macht ihn dadurch nutzbar und sichtbar. Die Plastik stellt die menschliche und die höhere Tiergestalt im Raume dar. Die Malerei umfaßt das Gebiet des Sichtbaren und verbindet die Darstellung von Scheinräumen mit Scheingestalten. Die Musik ist ganz Bewegung und verliert die räumliche Gestalt unmittelbar vollständig aus ihren Darstellungen. Die Poesie gewinnt in den Worten als Zeichen für alles, was existiert, die Fähigkeit, Zeitliches und Räumliches miteinander zu verbinden und den Kreis ihrer Darstellungen auf alles Natürliche, Menschliche und auch Gedachte auszudehnen. Ihr ist das hörbare Zeichen nicht mehr Stoff, sondern nur Vehikel des Gedankens, so daß sie die geistigste aller Künste genannt werden muß. – Tanz, Gymnastik und Schauspielkunst bleiben zwar auch nicht bei dem Nützlichen stehen, aber sie sind nicht freies Bilden, sondern nur Umbilden. Sie haben nur den Bang der Hilfskünste und können die angeborene Körperlichkeit des Künstlers nur steigern, aber nicht überspringen. Die Kunst hat ihre Bedeutung für die menschliche Kultur zuerst im alten Griechenland gefunden. Hier ist sie im Bunde mit der Religion und der Sittlichkeit organisch auf dem Boden des Volkslebens erwachsen und hat sich voll entwickelt und ausgelebt. Aber schon im Altertum sind ihr Gegner in Platon (427-347), in den Kynikern und Stoikern erwachsen. Im Mittelalter hat sie unter der Herrschaft des Christentums mit seinem Übergewicht sittlicher Prinzipien über ästhetische Ideen nur ein beschränkteres Dasein gefunden. Mit der Renaissancezeit ist sie in frischer Kraft neu hervorgebrochen. In der Zeit der klassischen Literatur Deutschlands ist sie in engste Beziehung zur Wissenschaft und zur Moral getreten und hat eine dominierende Stellung erlangt. In neuester Zeit hat sich vielfach ein Gegensatz zwischen Kunst und Moral entwickelt, und die Kunst hat sich als beherrschender Mittelpunkt des Lebens nicht behaupten können. Aber so wenig auch die Kunst unmittelbar moralisierende Tendenzen verfolgt, so sehr sind Kunst und Moral doch im modernen Geistesleben gleich unentbehrlich, beide aufeinander angewiesen und streben denselben Zwecken und Idealen zu. Vgl. Schillers Gedicht, Die Künstler (1789), Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen 1794. Eucken, Geistige Strömungen der Gegenwart, Leipzig 1904, S. 320-343. Th. Achelis, Ethik.