Phrenologie
Die Gehirnkunde hat eine ähnliche Geschichte wie die Himmelskunde, nur daß man in der Kenntnis des Gehirns heute noch nicht so weit ist, wie in der Astronomie vor zweitausend Jahren. Wie man in der Kindheit der Astronomie eine Anzahl Sterne, um ihrer gegenseitigen, scheinbaren Nähe willen, zu einem sogenannten Bilde zusammenfaßte, das Bild auf Himmelskarten wirklich mit schematischen oder künstlerischen Linien umschrieb, dann so einer Gruppe einen besonderen abgegrenzten Einfluß auf die Schicksale der Menschen und der einzelnen zuschrieb, so bemühen sich noch jetzt Physiologen und Psychologen, das menschliche Gehirn schematisch oder malerisch zu beschreiben, und es fehlt nicht an Bildern mit hübschen, mythologisch klingenden Namen. Es gibt da einen Hippokampen, ein vorderes Segel, einen Wurm, einen Lebensbaum, einen Balken. Selbst Lücken bekommen Eigennamen, und wie berühmte Männer aus dem Altertum in einzelnen Sternchen, so wurden berühmte Zergliederer der Neuzeit bei der Taufe neuentdeckter Gehirnbilder unsterblich gemacht. Die berüchtigte Phrenologie von Gall steht noch tief unter der Astrologie, deren Berechnungen wenigstens von Kenntnissen ausgingen. Aber auch die neueste Physiologie, trotzdem sie am liebsten mit dem Mikroskop arbeitet, steht immer wieder grübelnd vor den sichtlichen Gehirnbildern, und wenn sie auch nicht mehr aus den zufälligen Linien tiefsinnige Schlüsse zieht, so kann sie es doch immer noch nicht ganz lassen, in scheinbaren, das heißt durch Form oder Zeichnung abgegrenzten Gebieten, auch besondere Provinzen der Geister zu vermuten, über welche ein abgegrenztes Kraftgespenst herrscht. Wohl werden Worte wie Kraft, Vermögen, und dergleichen vermieden, wie auch der alte Schäfer, der an Sternbilder glaubt, niemals zugeben wird, daß er abergläubisch sei.