Unwahrheit
Wenn das den Menschen klar geworden wäre, den Menschen und ihrer gemeinsamen Sprache, von welcher der einzelne sich schwer emanzipieren kann, so würde es auch einleuchten, daß man keine Negation dieses undefinierbaren Begriffes bilden dürfe. Es kann keine Negation der metaphysischen oder objektiven Wahrheit geben; wir wissen nicht, was Unwahrheit sein könne, weil wir nicht wissen, was Wahrheit ist. Was wir unwahr oder falsch nennen, ist nur entweder eine Negation der armen logischen Wahrheit oder die Negation von angeblichen Tatsachen oder Sinneseindrücken, also von Erscheinungen unseres Innenlebens. Wohl gibt es jedoch eine Negation der subjektiven Wahrheit oder der Gewißheit, und diese Negation, die Ungewißheit, steht in einem Gegensatze zu der bestimmten Behauptung, man könne einen Satz für eine Unwahrheit erklären.
Zu dieser Gruppe von notwendigen, unserem Denken oder unserer Sprache wesentlichen Begriffsverwirrungen gehört aber auch das eben gebrauchte Wort Negation selbst. Es kann die Existenz einer Tatsache oder aber eines Dings absolut oder relativ negiert werden, was schon vier verschiedene Bedeutungen des Wörtchens "nicht" in sich schließt. Das Wörtchen "nicht" ändert seine intime Bedeutung in der Logik, je nachdem es sich auf das Subjekt, auf das Prädikat oder auf die Kopula bezieht. Endlich kann sich die Negation der Wirklichkeit gegenüberstellen als Behauptung der Unmöglichkeit oder als Behauptung der Möglichkeit. Und selbst diese Begriffe sind nicht so scharf zu trennen, wie man glaubt. Wenn die Furcht vor etwas Möglichem (das übrigens objektiv vielleicht unmöglich ist) einen ängstlichen Menschen krank oder blaß werden läßt, so wird eine Möglichkeit wirksam oder wirklich.
Alle diese Gefahren des Negationsbegriffes werden in unserer Kritik der Logik und Grammatik hoffentlich deutlicher werden.
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