Hlonipa
Die Sachlage, dass der Bedeutungswandel in "der" Sprache oder in irgend einer Sprache nicht nach "Gesetzen" vor sich geht, sondern historisch, also zufällig entsteht, das heißt jedesmal seine zureichende Ursache hat, nicht aber Gesetzen gehorcht, wird eigentümlich beleuchtet durch die Erscheinung des Hionipa, die bei so vielen abergläubischen Völkern von Australien, der Südseeinseln, Südafrikas und Südamerikas beobachtet worden ist, dass man sie wohl als eine allgemeine Einrichtung unkultivierter Völker betrachten kann; um so mehr als der Hionipa auch unter uns besteht, und um so mehr als wir wirklich glauben müssen, dass der Aberglaube in Urzeiten doch noch sinnloser war als heute. Der Hionipa, wie er besonders bei den Zulukaffern zu Hause ist, von wo auch, wenn ich nicht irre, das Wort stammt, besteht darin, dass nach dem Tode eines Stammesgenossen der Name dieses Toten und alle zufällig ähnlich klingenden Worte aus dem Sprachgebrauch verschwinden müssen. Ist z. B. der König oder die Königin Pomare auf der Insel Tahiti gestorben, so wird mit dem Worte Pomare auch das Wort Po (Nacht) für den Umkreis der Insel verpönt. Wir wollen dahingestellt sein lassen, ob in der Tat diese Laute vermieden wurden, damit der Tote nicht gerufen werde und sich nicht als Geist bei den Mahlzeiten einstelle; wir wollen nicht fragen, ob wirklich, wie es von da und dort berichtet wird, die Frauen des Stammes herkömmlich die Aufgabe gehabt hätten, neue Worte zu erfinden. Wir wollen nur festhalten, dass in alten Zeiten ganz gewiß jede Sprache auf kleine Stämme oder gar auf Familien beschränkt war und dass nun dort, wo der Hionipa herrschte, nach einigen Generationen das geringe Sprachgut allmählich einem neuen Platz machen mußte.
Es liegt auf der Hand, dass im Verfolge der Zivilisation, als eine Sprache weitere Stämme und größere Völkerschaften umfaßte, der Hionipa seine Wirksamkeit verlieren mußte; gerade aber in uralten Zeiten konnte er in kurzer Zeit den Wortbestand einer Familiensprache teilweise ausrotten.