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Wandel der Lautelemente

Die Tragweite dieser Anschauung ist nicht gering. Der Begriff Lautwandel bekommt durch sie einen ganz neuen Sinn. Was man gewöhnlich unter Lautwandel versteht, das ist der Übergang eines Buchstabenlauts in einen anderen Buchstabenlaut. Die Unwandelbarkeit dieses mehr oder minder reich angenommenen Alphabets wird dabei unklar vorausgesetzt. Man kann diese unbewußte Beschränkung auf das immerhin erweiterte Alphabet der modernen Phonetik wahrnehmen an den Versuchen, die mit Pott begonnen haben, die Wurzeln des Sanskrit in ihre weiteren Bestandteile aufzulösen, indem man die buchstabenreichern Wurzeln auf gut Glück für zusammengesetzte Wurzeln erklärt. Das heißt wahrlich mit dem Spiele spielen. Unser erweiterter Begriff des Lautwandels müßte zu einer neuen Phonetik führen, freilich leider zu einer Phonetik, die sich niemals wissenschaftlich herstellen ließe.

Noch eine andere historische Tatsache kann uns in dem Glauben bestärken, dass dieser weitere Lautwandel sich vollzogen hat, dass die Lautelemente der Sprache selbst sich verändert haben. Ich denke an die höchst wahrscheinliche Tatsache, dass die früher literarisch fixierten Sprachen, das Sanskrit und das Griechische, Laute besitzen, welche in den später literarisch fixierten Sprachen, dem Deutschen und Slawischen, gar nicht oder abgeschwächt vorhanden sind. Man braucht an keine Abstammung zu denken, man kann mit mir die ähnlichen Worte für entlehnt halten, und wird dennoch die Tatsache eines Lautwandels (in weiterem Sinne) annehmen können. Der direkten Beobachtung steht im Wege, dass durch die literarische und grammatische Fixierung einer Sprache, durch die Herrschaft einer Schriftsprache der Wandel der elementaren Sprachlaute verlangsamt worden ist. Es ist doch klar, dass eine neue Kindergeneration anders sprechen lernt, wenn in jeder Kinderstube eine Individualsprache sich bilden kann, und wieder anders, wenn in einem ganzen Lande die in bestimmten Seminaren gedrillten Schulmeister die gleiche Aussprache nach Kräften zu lehren suchen. Vollständig freilich kann dieser Wandel der Elementarlaute nicht verschwinden. Wir würden wahrscheinlich höchst überrascht sein, wenn wir plötzlich die hochdeutsche Aussprache von vor hundert, vor zweihundert und vor dreihundert Jahren vernehmen könnten. In Zukunft wird der Phonograph das Studium dieses höheren Lautwandels einigermaßen gestatten.