Universalsprache
Vor einigen Jahren drohte, wie ich zu wissen glaube, den Kindern eines deutschen Bundesstaates eine ernste Gefahr; ein hochmögender Herr in diesem Staate hatte den Entschluß gefaßt oder fassen müssen, das sogenannte Esperanto, das sich mit kluger Bescheidenheit nur eine internationale Hilfssprache nennt, zu einem Gegenstande des obligatorischen Unterrichts zu machen. Von Frankreich, wo man fremde Sprachen nur ungern lernt, wo aber der Sinn für Utopien und für Zentralisation zuhause ist, war die Agitation ausgegangen; Gelehrte von gutem Namen waren in Frankreich und Deutschland für das embryonische Monstrum Esperanto eingetreten, dann wieder für ein neues und verbessertes Esperanto. Mit der ganzen Wucht ihres Wissens mußten Brugmann und Leskien gegen die Versuche auftreten, die Spottgeburt des Esperanto für ein lebensfähiges Wesen auszugeben; Brugmann hat die neue Weltsprache mehr vom Standpunkte der Sprachphilosophie kritisiert, Leskien mehr vom Standpunkte der Phonetik; die Ergebnisse beider Forscher waren vernichtend für das Esperanto und für die Esperantisten.
Auf einem andern Wege bin ich zu einer scharfen Ablehnung dieser Bestrebungen gelangt, als sie sich anschickten, ein neues Verbrechen an den armen Schulkindern zu begehen (vgl. mein Büchlein »Die Sprache« S. 31 ff.). Ich ging davon aus, daß 1. eine Idealsprache, eine philosophische Sprache bei dem Stande unserer Naturwissenschaften heute ebenso unmöglich ist, wie sie es im siebzehnten Jahrhunderte war, weil ein logisch geordneter Weltkatalog, auf welchem die Idealsprache beruhen müßte, immer noch nicht hergestellt ist, und weil ein solcher Weltkatalog überhaupt nicht herzustellen ist, sintemal der Weltschöpfer kein Registrator gewesen ist; daß 2. jede künstliche Sprache dem Schicksal verfallen ist, überhaupt keine Sprache zu sein, sondern höchstens die Übersetzung wirklicher Sprachen in eine zum Spiele erfundene Scheinsprache, die weder dem Dichter noch dem Gelehrten genügen könnte. Ich wies ferner darauf hin, daß ein irgendwie zureichendes Wörterbuch des Esperanto nicht vorhanden, daß ein internationales Wörterbuch des Esperanto überhaupt nicht möglich ist. So wenig es eine Normalgrammatik für alle Sprachen gibt, so wenig gibt es ein Normalwörterbuch der Begriffe aller Sprachen; selbst die Grammatiken und die Wörterbücher der Kultursprachen, deren Völker noch recht ähnliche Seelensituationen haben, weisen tiefgehende innere Unterschiede auf.
Ich möchte hier die kindlichen Versuche, künstliche Sprachen aus dem Rockärmel zu schütteln, nicht noch ausführlicher kritisieren; das Esperanto wird dem verblichenen Volapük bald nachfolgen, aber neue Weltsprachen werden immer wieder erfunden werden, so lange man die Idee selbst nicht als eine unausführbare Utopie erkannt haben wird. Darum möchte ich an dieser Stelle Kritik üben an dem größten Plane, der für eine philosophische Weltsprache jemals gefaßt worden ist, an der lingua characterica universalis von Leibniz, einem Plane, an dem übrigens selbst der Scharfsinn und der Fleiß dieses seltenen Mannes gescheitert sind. Ich möchte dazu einige Proben aus der fast gleichzeitigen Weltsprache des niemals übertroffenen Bischofs Wilkins bieten. Ich halte mich dabei außer an die Schriften der beiden Männer noch an eine Abhandlung Trendelenburgs »Über Leibnizens Entwurf einer allgemeinen Charakteristik« (Berliner Akademie der Wissenschaften 1856).
Schon gegen hundert Jahre vor Leibniz war der kühne Gedanke, der Leibnizens Absicht so hoch über die Schülerarbeiten der Volapükisten und der Esperantisten erhebt, dem mathematischen Genie von Descartes entsprungen. Die unendliche Menge aller möglichen Zahlen seien durch unser Zahlensystem so geordnet, daß jeder Mensch imstande sei, an einem einzigen Tage die Kunst zu erlernen, alle Zahlen in einer ihm bisher unbekannten Sprache zu benennen; geschrieben werden sie ohnehin in allen Sprachen auf die gleiche Weise; eine wahre Philosophie müßte ebenso alle Gedanken der Menschen ordnen können: so ließe sich eine allgemeine Sprache hoffen, welche leicht zu lernen, auszusprechen und zu schreiben wäre; welche überdies die logischen Fehler und Täuschungen der vorhandenen Sprachen vermiede. Descartes scheint aber mit diesem Gedanken nur gespielt zu haben; er hielt seine Ausführung in der Idee für möglich, nicht aber in der Wirklichkeit. Die Welt hätte denn vorher in ein Paradies verwandelt werden müssen.
Männer von geringerem Scharfsinn und größerer Kritiklosigkeit gingen seit dieser Zeit an die Arbeit, die Idee einer solchen Universalsprache praktisch durchzuführen. Man halte fest, daß zwei völlig verschiedene Aufgaben mit einem Schlage gelöst werden sollten: durch ein verbessertes Begriffssystem einen systematischen Weltkatalog zu schaffen, einen durch die Begriffe selbst geordneten vollständigen Katalog aller Dinge und Gedankendinge; und zugleich einen logischen Ersatz zu schaffen für die historisch, unlogisch, zufällig gewordenen Einzelsprachen. Der Traum war: mit Hilfe der neuen internationalen und systematisch zu bezeichnenden Wörter, mit Hilfe also einer lingua characterica universalis ein unendliches Denken so bequem zu machen, wie das Sprechen und Schreiben unendlich vieler Zahlen durch das Zahlensystem bequem geworden war. Zwischen Descartes und Locke fallen, auf wenige Jahre zusammengedrängt, die bestechendsten Versuche aus den bekannten Ziffern und den Buchstaben des Alphabets, oder auch aus künstlich gebildeten Silben und einfachen geometrischen Linien die neue Sprache und die neue Schrift herzustellen. Namentlich in des Bischofs Wilkins »An Essay towards a real Character and a philosophical Language« (1668) sind schon unsere modernen Universalsprachen und viel von der modernen Algebra der Logik mitenthalten. In die gleiche Zeit zwischen Descartes und Locke, aber erst in das Jahrzehnt von 1676-1686, sind die meisten Niederschriften Leibnizens zu diesem Thema zu datieren.
Ich habe Descartes und Locke nennen müssen, weil das mathematische Genie des einen den Traum ausgelöst hatte, das sprachkritische Genie des andern wohl imstande gewesen wäre, dem Traum ein Ende zu machen. Wer damals als Weltverbesserer an einer allgemeinen Charakteristik oder an einer logischen Weltsprache arbeitete, der hoffte für alles menschliche Wissen zu erreichen, was Descartes für die analytische Geometrie vollendet hatte: Darstellung aller wißbaren Beziehungen durch Zeichen, welche Sprachzeichen schienen, weil sie – nach dem Verfahren älterer Mathematiker und besonders Vieta's – den Buchstaben der lateinischen Schrift entlehnt waren.1 Niemand bemerkte, daß die analytische Geometrie die Beziehungen, mit denen sie es zu tun hatte, durch ihre willkürlichen Zeichen nicht sprachlich ausdrückte, sondern genetisch; daß der unvergleichliche Vorzug der analytischen Geometrie sich auf die unendlich komplexen Beziehungen von Ursache und Wirkung nicht übertragen ließ, weil diese Zeichensprache einzig und allein auf den Seinsgrund, auf die immer gleichen Beziehungen des Raumes anwendbar war. Niemand war tiefer in das Wesen der Sprache eingedrungen, niemand hatte Sprachkritik getrieben, bis Locke (1690) seinen nicht genug zu schätzenden Essay über den menschlichen Verstand herausgab und da in dem herrlichen 3. Buche, beinahe gegen seine Absicht und nur so im Laufe der Untersuchung, die Mängel aller Sprache aufdeckte. Ich hoffe noch einmal dazu zu gelangen, daß ich Lockes Sprachphilosophie im Zusammenhange darstelle. Hier nur kurz die Erinnerung, daß Locke (K. 5, § 8) schon weiß, eine Sprache sei niemals in eine andere zu übersetzen; nicht das wirkliche Wesen, welches man nicht kenne, sondern das Wortwesen (K. 6, §§ 7-9) sei der Einteilungsgrund, welchem gemäß man die Dinge nach Arten ordne, daß er (K. 11) nach Mitteln gegen die Unvollkommenheit und den Mißbrauch der Sprache sucht; und daß ihm (K. 11, § 25) schon ein sprachkritisches Wörterbuch als Ideal vorschwebt. Nur daß Locke das Wesen der Sprache durchschaut hatte und darum nicht auf den verzweifelten Ausweg geriet: die Unvollkommenheiten der Sprache dadurch zu beseitigen, daß man sich zum Zwecke der Mitteilung eines Mittels bediente, das Sprache nicht war und Sprache nicht werden konnte.
Etwas ganz anderes wäre es gewesen: eine immanente Ordnung in den Dingen und Gedankendingen der Welt aufzufinden und diese Ordnung in einer ordentlichen Sprache darzustellen. Einerlei, ob man zu diesem Zwecke eine vorhandene Sprache verbesserte oder eine neue konstruierte. Daß freilich Ordnung nur ein armer Menschenbegriff ist, in der Wirklichkeitswelt nicht auffindbar, das ahnten die Männer nicht, die einen Weltkatalog zu verfassen suchten. Das ahnen auch heute noch nicht viele Menschen.
Wenn es möglich wäre, mit Hilfe einer systematischen Klassifikation aller Begriffe zu einem Weltkataloge zu gelangen, wenn dieser Weltkatalog so eingerichtet wäre, daß nicht jedes Sternlein, jedes einzelne Weizenkorn und jede einzelne gegenwärtig lebende und jemals auf der Welt gewesene Fliege einen besonderen Namen hätte, sondern so, daß mit Hilfe einer ungeheuren Systematik jedes Individuum sich durch Gruppierung von Begriffen bezeichnen ließe, so besäßen wir eine Universalsprache. Leibniz denkt bei dieser ungeheuerlichen Idee nur nebenher an den Nutzen, den eine einheitliche Menschensprache gewähren könnte; man darf seinen Plan wirklich nicht auf eine Stufe stellen mit den albernen Bestrebungen unserer kleinen Zeitgenossen, die ein Volapük oder Esperanto erfinden, wie Kinder sich eine Erbsensprache erfinden, und die damit wirklich so weit kommen, wie ein Missionar, der das Vaterunser ins Hottentottische übersetzt. Die Universalsprache von Leibniz ist eine glänzende Phantasie.
Trotzdem aber Leibniz gerade auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft ein selbständiger Anreger war, ist es ihm auch auf diesem Gebiete nicht erspart geblieben, daß man ihm die Vorgänger nachwies, denen er seinen Grundgedanken entnahm. Es fällt dadurch auf seinen berühmten Prioritätsstreit um die Erfindung der Differentialrechnung ein Licht. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Leibniz das Werk des Bischofs Wilkins über eine Zeichenschrift und eine philosophische Sprache (London 1668) gekannt habe. Es mußte ihn um so mehr fesseln, als Leibniz von Jugend auf ähnliche Pläne zu einem scholastischen Weltkatalog in seinem Geiste herumtrug. Und da die Idee von Leibniz niemals zur Ausführung kam, da dagegen das Werk des Bischofs Wilkins – dessen Titel vorhin angegeben wurde – sehr gründlich und breit ausgeführt vorliegt, so wird es sich empfehlen, die Phantasie einer Universalsprache an dem immerhin merkwürdigen Versuche von Wilkins zu kritisieren.
Dem Bischof ist zunächst die Erfindung eines Verständigungsmittels, für die Gelehrten aller Völker die Hauptsache. Es war die Zeit, wo das Latein als internationale Gelehrtensprache zu dienen aufhörte. Da mag es ein lockender Gedanke gewesen sein, wenn nicht eine gemeinsame Sprache, so doch eine gemeinsame Schrift zu erfinden, und zwar nicht etwa eine Buchstabenschrift, welche doch nur auf die einzelnen Sprachen angewandt werden konnte und darum von Volk zu Volk unverstanden bleiben mußte, sondern eine Realschrift, unmittelbare Zeichen für die Dinge. Erzählt man uns doch, daß es eine altchinesische Sprache gibt, deren literarische Denkmäler von den chinesischen Gelehrten aus den Schriftzeichen sachlich verstanden werden, trotzdem die Sprache selbst nicht mehr bekannt ist. Bischof Wilkins ging davon aus, daß wir ohnehin (in unseren mathematischen Zeichen wie + und -, wie in den astronomischen Zeichen für Sonne, Mond und die Planeten) schon ein Dutzend solcher Zeichen besäßen, welche den Gelehrten aller Länder verständlich sind und überall in einer andern Sprache ausgedrückt werden. Wenn nun jedem Dinge und Begriffe in solcher Weise ein besonderes Zeichen zugewiesen würde und durch kleinere verabredete Zeichen auch die grammatischen Formen ausgedrückt würden, so besäßen wir eine internationale sichtbare Sprache, die freilich ohne die Übersetzung in die einzelnen Volkssprachen kaum lebendig werden könnte. Diese universale Realschrift interessiert uns hier weniger. Wir haben es hier mit der Konsequenz zu tun, die Bischof Wilkins selber gezogen hat. Er fühlte, daß eine ungeheuerliche Menge von Zeichen nötig wäre, wenn man die Dinge und Begriffe (er meint eigentlich nur die Begriffe) ohne rechten innern Zusammenhang bezeichnen wollte. Gründete man aber die Zeichenschrift auf einen systematischen Weltkatalog, so konnte die Menge der Zeichen ganz bedeutend eingeschränkt werden, die Schrift wurde erlernbar, und erlernbar wurde auch eine künstliche Sprache, welche die Zeichen zugleich und ihre grammatischen Formveränderungen mit den einfachsten Lautgruppen verband und für das Gehör mitteilbar machte.
Von der Schrift nur so viel, daß sie sehr geistreich nach dem System der Notenschrift eingerichtet war. Der Erfinder versichert, daß man nur gegen zweitausend Chiffern für die Begriffe und etwa vierzig Zeichen für die grammatischen Änderungen nötig hätte. Das erreicht er damit, daß z. B. dasselbe Zeichen (in der Sprache dasselbe Wort) ein Adverb, ein Verbum, ein Adjektiv oder ein Substantiv bezeichnet, je nachdem es im Notensystem auf dem Raum für c, d, e oder f steht. Vierzig Silbenzeichen gar für das Gerippe der Grammatik sind der Gipfel der Einfachheit, wenn man an die Tausend Endungen denkt, welche in unsern Sprachen durch die verschiedenen Muster des Substantivs und Verbums und durch die vielen Ausnahmen entstehen.
Der Weltkatalog kommt aber erst zustande, wenn die Zeichen und die für sie ersonnenen Worte in eine solche logische Verwandtschaft gebracht werden, daß man den Zeichen gleich ansieht, den Worten gleich anhört, was sie bedeuten. Die Zeit des Bischofs Wilkins hatte noch keine Ahnung von moderner Sprachwissenschaft, noch weniger konnte sie wissen, wie zufällig der Bedeutungswandel der Worte vor sich gegangen ist; gerade darum schien es klar, daß eine solche künstliche Sprache jede andere Sprache an Logik ungeheuer übertreffen müßte. Keine Sprache kann logisch erlernt werden; immer ist es der Sprachgebrauch, der sinnlos erlernt werden muß. Die Universalsprache wäre also nebenbei auch die logische Idealsprache. (Vgl. M. Müller »Vorlesungen« II. 41 f.).
So schreckte denn Wilkins, um dieses hohe Ziel zu erreichen, nicht davor zurück, zunächst einen Weltkatalog aufzustellen und ihn dann zur Grundlage des neuen Lexikons zu machen. Nichts wäre törichter, als entweder über seinen Weltkatalog oder über die naive Art seiner künstlichen Wortbildung zu lachen. Sein Katalog war innerhalb seiner Weltanschauung ganz vorzüglich ersonnen und seine Wortbildung ging eben auch von der alten Anschauung aus, daß die Sprache auf einer Verabredung beruhen könne, und in soweit waren seine Vorschläge von klassischer Einfachheit.
Der Weltkatalog – ein näheres Eingehen ist überflüssig – teilt die Welt zunächst in sechs Begriffsgruppen. Die zweite bis sechste Gruppe entspricht den alten Kategorien der Substanz, der Quantität, der Qualität, der Handlung und der Beziehung, wie sie sich seit des Aristoteles »im Irrgarten der Logik umhertaumelnden« Grammatik durch das Mittelalter bis auf die Gegenwart fortgeschleppt haben. Ein heimlicher Spaß kann es für uns sein, daß die erste Gruppe des Bischofs dazu die transzendentalen Begriffe umfaßt, d. h. die alle Kategorien noch übersteigenden transcendentia, wie Einheit, Wahrheit usw. (Vgl. Art. transzendental); daß er eigentlich also sich in einem Katalog der Wirklichkeitswelt gezwungen sieht, eine besondere Rubrik für diejenigen Begriffe zu schaffen, denen in der Wirklichkeit nichts entspricht. Die Gruppen teilt Wilkins in vierzig Klassen, die Klassen in Unterabteilungen usw.
Dieser Weltkatalog ist der Realschrift und der Universalsprache gemeinsam. Zu der Universalsprache nun gelangt der Bischof so, daß er für die vierzig Klassen vierzig einfachste Lautgruppen erfindet, welche die neuere Sprachwissenschaft künstliche Wurzeln nennen müßte. Sie bestehen regelmäßig aus einem hübschen Konsonanten (B, D, G, Z, P, T, C oder S) und einem der einfachen Vokale. Die vierzig Wurzeln nach der Reihe fangen mit Ba, Be, Bi an und endigen mit Sa, Se, Si. Man braucht nur den immens schwierigen Weltkatalog im Kopfe zu haben, eine Art von logisch geordnetem Konversationslexikon, und wenn man dazu noch die vierzig künstlichen Wurzeln auswendig gelernt hat, so besitzt man in der Tat eine beneidenswerte Grundlage alles Wissens.
Die Unterabteilungen werden nun in ebenso einfacher Weise hergestellt. Für die ersten Unterabteilungen tritt an die Wurzel ein Konsonant B, D, G usw.; es entstehen die Worte Bab, Bad, Bag usw.; die zweite Unterabteilung wird wieder durch die Anfügung eines Vokals hergestellt, so daß aus dem Stammworte der ersten Unterabteilung Baba, Babe, Babi usw. entsteht. Man vergesse nicht, daß der Schüler dieser Sprache die Reihenfolge der Klassen, der Unterabteilungen und der Unterunterabteilungen genau im Kopfe behalten muß, wenn er sie erlernen will. Dann freilich wird er sich rasch berechnen können: wenn De die Klasse der Elemente bedeutet, muß Det die fünfte Unterabteilung sein, welche (nach der Weltanschauung jener Zeit) eine Himmelserscheinung bezeichnet und Deta wäre dann die zweite Unterunterabteilung und bedeutet mit auffallender Sicherheit den Hof um ein Gestirn.
Die grammatischen Formveränderungen werden nach dem Muster der flektierenden Sprachen vorgenommen. Die Umbildung eines Substantivs in ein Adjektiv oder auch die Sprachbildung eines Gegensatzes, endlich die Beugungen des Substantivs und des Verbums werden durch Veränderung oder Einfügung von Buchstaben hervorgebracht.
Ich verzichte darauf, das Kauderwelsch abzuschreiben, in welchem Bischof Wilkins eine Übersetzung des Vaterunsers als Universalsprache zum Besten gibt. Der Leser würde lachen und ohne Grund lachen. Denn nicht die Unverständlichkeit der krausen Laute ist das Bedenkliche an diesem Versuche; so komisch erscheint jede Sprache jedem, der sie nicht versteht.
Auch den Einwurf lasse ich nicht gelten, daß zur Erlernung dieser Sprache ein außerordentliches Wissen und eine seltene logische Schulung gehören. Es ist wahr, es geht nicht an, den Kindern vor den Worten Papa und Mama die Kategorientafel des Aristoteles beizubringen. Aber Wilkins könnte antworten, daß die Erlernung des Weltkatalogs der Erlernung der Sprache nicht vorauszugehen brauche. Im Gegenteil. Das Kind könnte die künstliche Sprache als seine Muttersprache erlernen wie eine andere und würde später gerade durch den künstlichen Bau der Sprache leichter als in einer der Natursprachen zum Verständnis der Weltkategorien gelangen. Ganz abgesehen davon, daß die Universalsprache auch als Gelehrtensprache neben den Volkssprachen ihre Bedeutung haben könnte. Gibt es doch ein Linnésches Pflanzensystem neben den Pflanzennamen des Volkes.
Worüber wir mit besserem Rechte lachen könnten, das ist etwas ganz anderes. Es ist auf den ersten Blick klar, daß Bischof Wilkins seine große Tafel der vierzig Klassen nur auf Grund seiner Welterkenntnis aufstellen konnte. Jede Erweiterung, namentlich jede grundsätzliche Umformung der Welterkenntnis (und jedes neue Geschlecht erkennt die Welt anders) müßte das System und damit den Wert seiner künstlichen Sprache über den Haufen werfen. Die Universalsprache würde also (auch wenn sie nicht bei den verschiedenen Völkern in divergierende Dialekte und schließlich in divergierende Sprachen auseinandergehen sollte) über kurz oder lang das Schicksal jeder natürlichen Sprache teilen und mit der Welterkenntnis neuer Zeiten nicht mehr übereinstimmen. Man stelle sich einmal die Klasse der chemischen Begriffe vor, wenn sie heute nach einem System von 1668 gebraucht werden müßte. Um die Sprache der jeweiligen Welterkenntnis anzuschmiegen, müßte alljährlich an der wissenschaftlichen Terminologie herumgeflickt werden, und jeder Flicken wäre ein Fehler im System. Jedes Wort könnte schließlich nur noch praktisch durch den Sprachgebrauch, wissenschaftlich durch seine Geschichte verstanden werden, das aber – und hier steckt der intime Humor der Sache – können wir von unsern lebendigen Sprachen ebenfalls rühmen.
- Ich glaube bewiesen zu haben, daß Zahlen keine Begriffe, daß Ziffern keine Worte sind ( Kr. d. Spr. III, 153 ff.). Auch die Buchstaben der analytischen Geometrie gehören nicht eigentlich der Sprache an; das wäre sofort deutlicher geworden, wenn die ersten Erfinder der Analysis nicht Buchstaben, sondern andere willkürliche Zeichen gewählt hätten. Dasselbe gilt von den Buchstaben- und Ziffernformeln der gegenwärtigen Chemie; auch das wäre deutlicher geworden, wenn man als Zeichen der Elemente nicht die Anfangsbuchstaben der lateinischen Namen, sondern andere willkürliche Zeichen gewählt hätte, so wie einst die Metalle durch die alten Planetenzeichen ausgedrückt worden sind. Ich mache diese Bemerkung, um durch sie psychologisch das Kuriosum zu erklären, daß damals wie heute die Chemiker am leichtesten geneigt waren, zu Schwärmern für eine allgemeine Zeichensprache zu werden. Heute ist in Deutschland ein berühmter Chemiker, Ostwald, der leidenschaftlichste Anhänger des Esperanto; im 17. Jahrhundert war der geniale Chemiker Boyle mit des Bischofs Wilkins Real Character und der Philosophical Language so vertraut, daß er – nach einem gelegentlichen Scherze von Leibniz – außer Wilkins der einzige war, welcher diese Schrift gelernt hatte.↩