Behandlung des Scheintodes im Allgemeinen
Behandlung des Scheintodes im Allgemeinen. Licht, Luft und Wärme sind die Hauptbedingungen des Lebens, daher auch die kräftigsten Mittel, das schwache Leben des Scheintoten anzufachen und zu stärken. Man sorge daher
1) für Lebensluft (Sauerstoff). Diese ist allenthalben umsonst zu haben, indem sie einen Anteil der atmosphärischen Luft ausmacht. Der Kranke muss gleich entkleidet, in ein geräumiges Zimmer mit geöffneten Fenstern oder nach Umständen in die freie Luft gebracht werden; man verhüte alle unnütze Anfüllung der Menschen im Zimmer, mau heize es im Winter nicht stark, — man öffne die Luftwege, entferne alles Fremdartige (Kot, Schlamm) aus ihnen, man mache eine künstliche In- und Exspiration durch Einblasen der Luft mittelst eines Blasebalgs, wobei man darnach zu sehen hat, dass während des Einblasens die Nasenlöcher und der Mund zusammen gehalten werden, und hinterher durch einen Druck mit den Händen auf den Bauch, von unten nach oben zu, die eingeblasene Luft wieder ausgepresst, also ein künstliches Atmen bewerkstelligt wird. Man blase aber die Luft nur sanft und vorsichtig ein, sonst können die Lungenzellen zerreißen. Das Röhrchen des Blasebalgs muss mit einem feuchten Läppchen umwickelt und in das eine Nasenloch gebracht werden, darauf bläst man die Luft ein, während ein Gehilfe das andere Nasenloch und den Mund des Scheintoten zuhält. Noch besser ist es, wenn ein Sachverständiger ein mit dem Blasebalg in Verbindung stehendes Röhrchen von Gummi elasticum durch die Nase oder durch den Mund in die Luftröhre bringt. Während nun ein Gehilfe zur Seite des Brustkastens mit beiden Händen zuerst für das Einatmen und ein anderer etwas später für das Ausatmen auf die Mitte des Bauchs einen Druck appliziert, muss der Mund des Verunglückten bei dem letzteren Manöver offen stehen, damit die eingeblasene Luft wieder ausströmen kann. Oft ist der abwechselnde Druck auf die Brust und den Bauch, neben sanftem Klopfen auf das Brustbein, allein zur Wiederbelebung hinreichend, so dass es keines Lufteinblasens bedarf. Kommt aber durch dieses künstliche Atmen das natürliche nicht bald in Gang, so bleibt das Lufteinblasen mittelst des Blasebalgs durchaus erforderlich; fehlt selbst der Blasebalg, so muss ein Mensch seinen Mund auf den des Kranken legen und Luft einblasen, wobei aber gleichfalls jedesmal nach dem Einblasen der Druck auf den Unterleib appliziert werden muss.
Die Entkleidung des Kranken ist notwendig, damit man Sauerstoff durch Luft und Säuren nach der Haut bringen könne. Man wasche und reibe dem Kranken Kopf, Brust und Glieder mit Essig, mit verdünnter oxygenierter Salzsäure, man mache alle zehn Minuten ein Tropfbad von kaltem Wasser auf die Herzgrube; man reize die innere Fläche der Nase mit Schnupftabak, Essigsäure, auch vorsichtig auf Augenblicke mit Salmiakgeist und anderen stark riechenden Dingen: gebrannten Federn u. s. w. Mit allen diesen Mitteln muss unausgesetzt fortgefahren werden, und von den äußeren Reizmitteln muss man bei den gelindem anfangen und, wenn das Leben noch nicht zurückkehrt, zu den stärkern allmählich übergehen.
2) Eine zweite Hauptbedingung ist Wärme. Sie muss so angebracht werden, dass sie den Sauerstoff, die frische Luft, nicht zugleich abhält. Bäder von warmem Wasser oder gar Sand schaden zu Anfang, sind erst nach einigen fruchtlos verflossenen Stunden nützlich, das beste ist Reiben mit warmen Tüchern, mit Bürsten, mit Flanell und warmem Essig, und abwechselnd mit trocknen Tüchern. Das Reiben geschieht aufwärts von den Gliedern nach dem Stamme zu, und muss auch an dem Rückgrat, dem Unterleibe, der Brust und der Magengegend stattfinden. Hierzu sind vier Menschen notwendig, wovon ein jeder ein Glied handhabt, von unten bis oben. Sind die Menschen müde, so müssen sie durch vier andere abgelöst werden. Kommt der Mensch wieder zu sich, so lege man ihn in ein warmes Bett, gebe ihm etwas Liquor mit Melissentee und Zimt, oder etwas Wein, oder Branntwein, nach einiger Zeit etwas Fleischbrühe mit Eidotter, und überlasse ihn der Ruhe.
Sind alle Lebensversuche mehrere Stunden fruchtlos fortgesetzt worden, so versuche man starke Reize: glühendes Eisen auf die Fußsohlen, Siegellack angezündet und auf die Haut getröpfelt, ein Bad von warmem Sande; man lasse dann den Scheintoten bewachen, bis Fäulnis eintritt. — Wendet man aber diese starken Reize zu früh an, was leider bei Scheintoten so oft von unerfahrenen Laien, selbst von manchen Ärzten und Wundärzten geschieht, so tötet man dadurch gerade den letzten Funken des Lebens; denn so wie sich das Licht einer Öllampe, die zu verlöschen im Begriff ist, nur durch allmähliches Hinzutun des Öls erholt, durch zu plötzliches aber erlischt, eben so ist es auch hier der Fall.
Die Grade und die Dauer des Scheintodes sind sehr verschieden, von einer bald vorübergehenden Ohnmacht bis zu einer mehrere Tage, ja mehrere Wochen dauernden todesähnlichen Erstarrung, wobei selbst die heftigsten Reizmittel keine bemerkbare Empfindung zu erregen im Stande sind, und dennoch kann das Leben wieder zurückkehren. Ein solcher Zustand des Scheintodes ist wahrlich nicht selten, und es gibt schauderhafte Beispiele genug, dass man aus Unwissenheit solche scheintote Menschen für wirklich tot hielt und sie sogar begrub. Oft rettete noch die zweckmäßige Anwendung der Elektrizität und des Galvanismus solche Unglückliche, daher man dieses Mittel billig noch bei jedem Scheintoten, an dem schon die übrigen Mittel vergebens angewandt worden, als das letzte versuchen sollte. Es gehört indessen zur Anwendung dieser großen Reizmittel technische Kenntnis, die leider oft selbst manchen Ärzten und Wundärzten mangelt.
Jeder Mensch ist verpflichtet, Scheintoten im Notfall mit eigener Hand Hilfe zu leisten; dies gebietet die Religion und das Gesetz (allgem. Preuss. Landrecht, Thl. 2, Tit. 2, §. 782), und deswegen ist es auch die Pflicht eines jeden Menschen, sich die ersten und notwendigsten Kenntnisse über die Behandlung Scheintoter zu verschaffen. Zu allererst ist es notwendig, schleunigst zu einem Arzt oder Wundarzt zu senden, und anzuordnen, dass Folgendes herbeigeschafft werde:
1) Ein Blasebalg, den man rein ausbläst, damit sich kein Staub darin befinde. Sehr zweckmäßig und mit einer Vorrichtung zur Applikation von Sauerstoffgas versehen ist der Blasebalg von Chaussier, der in keinem Rettungsapparate fehlen sollte. Das Sauerstoffgas, welches sehr wohlfeil auf jeder Apotheke bereitet werden kann, lässt sich in gereinigten Rindsblasen, welche mit Kautschukfirnis überzogen, Jahre lang konservieren. An der Öffnung der Blase ist ein kurzes hölzernes Mundstück, welches man auf die seitliche Ventilkanäle des Blasebalgs aufsetzt.
2) Einige wollene Decken und wollene Tücher.
3) Eine Klistierspritze.
4) Warmes und kaltes Wasser.
5) Etwas Wein, Branntwein und Essig.
6) Salmiakspiritus für ein bis zwei Groschen.
7) Mehrere weiche und scharfe Bürsten.
8) Etwas Kamillen- und Fliederblumen und etwas Pfefferminzkraut zum Tee.
9) Eine Badewanne. Unter der Zeit, dass diese Dinge herbeigeholt werden, behandle man vorläufig den Scheintoten nach den hier näher erörterten allgemeinen und speziellen Grundsätzen der Kunst.