Landluft
Landluft. Welch große Vorzüge das Landleben, der Genuss der Landluft und die tägliche Bewegung durch Spazierengehen und Körperanstrengung, durch Landarbeit im Garten und auf dem Felde vor dem Leben in Städten, zumal in großen bevölkerten Städten mit engen Strassen habe, um die Gesundheit zu erhalten und das Leben zu verlängern, — dieses ist allgemein bekannt. Aber auch zur Heilung schlimmer, oft langwieriger Leiden ist das Landleben vor großem Nutzen:
1) Gegen allgemeine Körperschwäche junger, durch Onanie, sitzende Lebensweise und sonst durch schwere Krankheiten (Nervenfieber, Pocken, Masern, Scharlach etc.), durch Säfteverlust, deprimierende Leidenschaften geschwächter Personen.
2) In Verbindung mit der Milch- und Molkenkur bei Schwindsüchtigen (s. oben Andorn, weißer).
3) Bei der Bleichsucht des weiblichen Geschlechts, verbunden mit mangelnder Monatszeit, großer Mattigkeit etc.
4). Gegen Skrofeln und englische Krankheit der Stadtkinder ist der Aufenthalt auf dem Lande in Verbindung mit Bädern, vieler Bewegung im Freien und einer recht sonnigen Wohnung oft besser, als alle Arznei. Osiander (l. c. p. 349) sagt sehr wahr: „Jedes Rezept für Skrofelkranke sollte mit der Verordnung anfangen: die Luft und den bisher gewohnten Aufenthalt zu verändern, wo möglich aus der Stadt aufs Land zu ziehen und täglich regelmäßig sich Bewegung im Freien zu machen. Es ist jedoch nicht nötig, dass der Kranke gerade die Himmelsgegend verändere, aus einem kalten Klima in ein wärmeres sich begebe, da die Skrofeln in nördlichen europäischen Ländern keineswegs häufiger vorkommen, als in südlichen; sondern es kommt dabei nur auf Vertauschung einer eingeschlossenen Stadt- oder Stubenluft mit der freien Luft, und auf Bewegung und Zerstreuung in der heitern, sonnigen, überall schönen und erquickenden freien Natur an. Dass Drüsenanschwellung, Krankheiten des Lymphsystems, Skrofeln, durch den schädlichen Einfluss gewisser Luftverderbnis, namentlich durch den anhaltenden Aufenthalt in dumpfer Stubenluft, erzeugt werden, sehen wir deutlich, teils an der furchtbaren Frequenz dieser Übel in großen, überfüllten Städten, wie London, Wien, Paris, teils an den zur Schau eingesperrten Tieren, die fast alle skrofulös sterben. Ich habe bei Sektionen von solchen in Menagerien gehaltenen Tieren (Affen, Kamele, Fasanen) die unzweideutigsten Spuren der Skrofelseuche, in den vergrößerten und degenerierten Drüsen der Lungen und des Mesenteriums, wahrgenommen. Kühe und Ziegen, die beständig im Stall gehalten werden, werden skrofulös und ihre Milch ekelhaft und ungesund. — Bei Anlage zur skrofulösen Lungenschwindsucht, bei habituellen Brustschmerzen, trocknem Husten, öfteren Anfällen von Lungenentzündung, ja wenn der zerstörende Vereiterungsprozess und die Dekomposition des ganzen Organismus durch hektisches Fieber und Auswurf schon angefangen hat, leistet eine Luftveränderung zuweilen noch Wunder. Eine nur vierwöchige Entfernung vom Hause, eine Badereise, wirkt da sehr oft mehr, als pharmazeutische Mittel. — Sogar im warmen Klima von Otaheite ist die Skrofelkrankheit eines der häufigsten Übel, und die Einwohner kennen die Heilsamkeit der Luftveränderung in dieser Krankheit sehr wohl. — Skrofulöse Geschwüre, die jeder Behandlung widerstanden, habe ich in kurzer Zeit heilen sehen, wenn die Kranken sich entschlossen, ihren gewohnten Aufenthaltsort mit einem anderen zu vertauschen, aus der Stadt aufs Land, oder auch aus einer Stadt in eine andere zu ziehen. — Die Kur aller skrofulösen Zufälle wird zweckmäßig unterstützt: durch Reinlichkeit, warme Flanellkleidung, warme Bäder, täglich trockne Friktionen der ganzen Oberfläche, leicht verdauliche, frische, animalische und vegetabilische Kost und etwas Wein. Ferner durch Vermeidung des zu langen Aufenthaltes im Bett, und durch aktive Beschäftigung in freier Luft. Für Kinder ist das Herumfahren im Freien, in einem Kinderwagen, schon ein sehr heilsames Antiscrophulosum.“
5) Für alle Personen, welche durch ihre sitzende Lebensweise am Schreibtisch, im Staatsdienst, durch Nahrungssorgen und widrige Schicksale, durch die wirklichen und eingebildeten Bedürfnisse des Lebens und der durch Mode und Gewohnheit, Verzärtelung und Verweichlichung an Gesundheit und Leben, an Willenskraft und moralischer Freiheit gelitten, ist nichts wohltätiger und besser, als eine Reise aufs Land, und ein Aufenthalt daselbst von mehreren Wochen, wobei frühes Aufstehen, viele Bewegung im Freien, das Verscheuchen aller Sorgen, aller Gedanken an die drückenden häuslichen und Berufsgeschäfte, die Zerstreuung durch Garten- und Feldarbeit, durch das Vergnügen der Jagd und der Streifereien durch Wald und Flur, endlich eine einfachere Lebensweise: der tägliche Gebrauch von Erdbeeren, Kirschen, frischer Buttermilch, neben gänzlicher Enthaltung der früher gewohnten reizenden und erhitzenden Fleischspeisen, Weine und Gewürze, die Kur ungemein unterstützen. Den eben genannten Dingen ist die Heilung mancher hartnäckigen Hypochondrie und sonstigen eingewurzelten Krankheiten: der Gicht, des Rheumatismus, mehr zuzuschreiben, als dem Bad oder Brunnen, dessen Ruf der Kranke folgte, und dessen Wasser er die Heilung mit Unrecht allein zu verdanken glaubt.