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Die Rache am Geist und andere Hintergründe der Moral

359.

Die Rache am Geist und andere Hintergründe der Moral. — Die Moral — wo glaubt ihr wohl, dass sie ihre gefährlichsten und tückischsten Anwälte hat?... Da ist ein missratener Mensch, der nicht genug Geist besitzt, um sich dessen freuen zu können, und gerade Bildung genug, um das zu wissen; gelangweilt, überdrüssig, ein Selbstverächter; durch etwas ererbtes Vermögen leider noch um den letzten Trost betrogen, den „Segen der Arbeit“, die Selbstvergessenheit im „Tagewerk“; ein Solcher, der sich seines Daseins im Grunde schämt — vielleicht herbergt er dazu ein paar kleine Laster — und andrerseits nicht umhin kann, durch Bücher, auf die er kein Recht hat, oder geistigere Gesellschaft als er verdauen kann, sich immer schlimmer zu verwöhnen und eitel-reizbar zu machen: ein solcher durch und durch vergifteter Mensch — denn Geist wird Gift, Bildung wird Gift, Besitz wird Gift, Einsamkeit wird Gift bei dergestalt Missratenen — gerät schließlich in einen habituellen Zustand der Rache, des Willens zur Rache ... was glaubt ihr wohl, dass er nötig, unbedingt nötig hat, um sich bei sich selbst den Anschein von Überlegenheit über geistigere Menschen, um sich die Lust der vollzogenen Rache, wenigstens für seine Einbildung, zu schaffen? Immer die Moralität, darauf darf man wetten, immer die großen Moral-Worte, immer das Bumbum von Gerechtigkeit, Weisheit, Heiligkeit, Tugend, immer den Stoizismus der Gebärde (— wie gut versteckt der Stoizismus was Einer nicht hat!..), immer den Mantel des klugen Schweigens, der Leutseligkeit, der Milde, und wie alle die Idealisten-Mäntel heißen, unter denen die unheilbaren Selbstverächter, auch die unheilbar Eiteln, herum gehen. Man verstehe mich nicht falsch: aus solchen geborenen Feinden des Geistes entsteht mitunter jenes seltene Stück Menschtum, das vom Volke unter dem Namen des Heiligen, des Weisen verehrt wird; aus solchen Menschen kommen jene Untiere der Moral her, welche Lärm machen, Geschichte machen, — der heilige Augustin gehört zu ihnen. Die Furcht vor dem Geist, die Rache am Geist — oh wie oft wurden diese triebkräftigen Laster schon zur Wurzel von Tugenden! Ja zur Tugend! — Und, unter uns gefragt, selbst jener Philosophen-Anspruch auf Weisheit, der hier und da einmal auf Erden gemacht worden ist, der tollste und unbescheidenste aller Ansprüche, — war er nicht immer bisher, in Indien, wie in Griechenland, vor Allem ein Versteck? Mitunter vielleicht im Gesichtspunkte der Erziehung, der so viele Lügen heiligt, als zarte Rücksicht auf Werdende, Wachsende, auf Jünger, welche oft durch den Glauben an die Person (durch einen Irrtum) gegen sich selbst verteidigt werden müssen ... In den häufigeren Fällen aber ein Versteck des Philosophen, hinter welches er sich aus Ermüdung, Alter, Erkaltung, Verhärtung rettet, als Gefühl vom nahen Ende, als Klugheit jenes Instinkts, den die Tiere vor dem Tode haben, — sie gehen bei Seite, werden still, wählen die Einsamkeit, verkriechen sich in Höhlen, werden weise ... Wie? Weisheit ein Versteck des Philosophen vor — dem Geiste? —