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Wisst ihr auch, was ihr wollt?

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Wisst ihr auch, was ihr wollt? — Hat euch nie die Angst geplagt, ihr möchtet gar nicht dazu taugen, Das, was wahr ist, zu erkennen? Die Angst, dass euer Sinn zu stumpf, und selbst euer Feingefühl des Sehens noch viel zu grob sei? Wenn ihr einmal merktet, was für ein Wille hinter eurem Sehen waltete? Zum Beispiel, wie ihr gestern mehr sehen wolltet, als ein Anderer, heute es anders sehen wollt, als der Andere, oder wie ihr von vornherein euch sehnt, eine Übereinstimmung, oder das Gegenteil von dem zu finden, was man bisher zu finden vermeinte! Oh der schämenswerten Gelüste! Wie ihr oft nach dem Starkwirkenden, oft nach dem Beruhigenden ausspäht, — weil ihr gerade müde seid! Immer voller geheimer Vorbestimmungen, wie die Wahrheit beschaffen sein müsse, dass ihr, gerade ihr sie annehmen könntet! Oder meint ihr, heute, da ihr gefroren und trocken wie ein heller Morgen im Winter seid und euch Nichts am Herzen liegt, ihr hättet bessere Augen? Gehört nicht Wärme und Schwärmerei dazu, einem Gedankendinge Gerechtigkeit zu schaffen? — und das eben heißt Sehen! Als ob ihr überhaupt mit Gedankendingen anders verkehren könntet, als mit Menschen! Es ist in diesem Verkehre die gleiche Moralität, die gleiche Ehrenhaftigkeit, der gleiche Hintergedanke, die gleiche Schlaffheit, die gleiche Furchtsamkeit, — euer ganzes liebens- und hassenswürdiges Ich! Eure körperlichen Ermattungen werden den Dingen matte Farben geben, eure Fieber werden Ungeheuer aus ihnen machen! Leuchtet euer Morgen nicht anders auf die Dinge, als euer Abend? Fürchtet ihr nicht in der Höhle jeder Erkenntnis euer eigenes Gespenst wieder zu finden, als das Gespinnst, in welches die Wahrheit sich vor euch verkleidet hat? Ist es nicht eine schauerliche Komödie, in welcher ihr so unbedachtsam mitspielen wollt? —