Die Panne
Nein, nicht jene – wo Vorübergehende mit der verbreitetsten deutschen Regung: der Schadenfreude, auf den schraubenlockernden Automann sehen, in jenem Vollgefühl, wozu doch der Nichtbesitz eines Autos gut ist … diese Panne nicht. Lasset uns von der Licht-Panne sprechen, die immer, immer aktuell ist.
Knips. »Mama! Kein Licht!« – »Wie? Überall? Probier mal!« Knips. Knips. Überall: kein Licht. Was nun?
Na, Krach natürlich. »Skandal. Unerhört! Wirklich – immer geht das Licht aus! Möchte mal wissen, wozu man eigentlich die teuren Rechnungen … « Irony begins at home – ich weiß nicht, wie ihr seid – ich bin genauso:
Jedesmal, wenn das Licht nicht funktioniert, steigt eine dunkle, magische Wut in mir auf. Warum, weiß ich nicht. Ich schicke meine schönsten Flüche durch die blaue Nacht – an die Adresse des zuständigen Elektrizitätswerkes, dessen Mannen ich mir gern frühstückend, saufend, grölend, in den Armen von Buhldirnen vorstelle – mit allem möglichen beschäftigt, nur nicht damit, ihre Panne zu reparieren. Der Ingenieur ist in diesem Augenblick ein sorgloser Familienvater, der seinem Fritzchen die Briefmarken klebt – aber kümmert er sich vielleicht um meine Panne? Mitnichten. Es ist ein †. Fauchend wird die alte Petroleumlampe hervorgeholt. Da brennt sie. Leise Lyrik zittert über ihrem Zylinder; eigentlich ist dieses alte, gute, gelbe Licht viel schöner als elektrisch, wie? Der Docht knistert, wird, mit Verlaub zu sagen, beschnitten, dann brennt er ruhig, fast unhörbar zieht er das Öl aus der bauchigen Mulde des Glasbehälters … nun ist es friedlich hell. Diese Lampe – das ist die alte Zeit. Leider stinkt die alte Zeit ein wenig, was man erst merkt, wenn man nach einem Gang ins Freie wieder ins Zimmer kommt. Puh … ! Auch muß ich dabei immer an jenes Liebespaar denken, das unter den traulichen Strahlen der alten Zeit einschlief und als Negerpaar wieder erwachte; die Lampe hatte geblakt, die ganze Nacht hindurch, war dann ausgegangen, und der Ruß hatte sich auf Bett, Gesichter, Nachttisch und Zimmerdecke abgesetzt …
Dankbar ist man der alten Reserve-Lampe. Das Leben fließt auf einmal friedlicher dahin; die Wut auf die Elektrizitäts-Leute ist halb verglommen; die Arbeit geht wie mit Petroleum geölt, die Uhr tickt langsamer …
»Licht!« ruft Senta. Nun könnte man doch die Lampe ruhig weiterbrennen lassen – aber es gehört zu den eisernsten Gesetzen der Zivilisation, dass sie dann sofort auszupusten ist; es gibt kein Beispiel in der Geschichte der Völker, wo jemand seine Petroleumlampe noch hat weiterbrennen lassen, wenn er das elektrische Licht anknipsen kann. Knips – ah!
Vergessen Arger, Fluch und Kriegserklärung an die Elektrischen. Na, eine kleine Panne … das kann ja vorkommen … Immerhin: dass das Licht brennt, scheint uns eine Selbstverständlichkeit, denn ein Wunder ist es schon lange nicht mehr, höchstens eine etwas ärgerliche Überraschung, wenn der Mann mit den bunten Zetteln kommt, um einzukassieren, was wir verbrannt haben. So viel?
Gottes Wege sind wunderbar, und ein Elektrizitätswerk ohne eine gesunde Panne im Monat gibt es wohl kaum. Merk: je kleiner das Werk, desto zahlreicher die Pannen. W : W2 = 1 : 976. Ja, das ist so – man kann es nicht beweisen; auf dem Lande pannt das Licht noch viel öfter als in Berlin.
Woran liegt es ?
Als einmal in einem berliner Stadtviertel der Strom aussetzte und alle elektrischen Bahnen auf der Straße stehenblieben wie gelähmte Elefanten, da stand ich neben dem Fahrer und sah ihn fragend an. »I«, sagte der; »wat en Inschehnjör is, da in die Zentrale – der will doch auch mal einen kippen!«
Daran liegt es.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 08.12.1929, Nr. 287.