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Konfusion um Zeisig

Zu Linke Poots nächstem 50. Geburtstag

Der erste Schwerhörige:
»Gehn Sie angeln –?«
Der zweite Schwerhörige:
»Nein! Ich geh angeln –!«
Der erste Schwerhörige:
»So! Ich dachte, Sie gingen angeln –!«

Gespräch

Drei Männer, auch Herren genannt, sitzen um einen Wirtshaustisch. Der eine scheint ein lockerer Zeisig zu sein: die beiden andern sind gewöhnliche Menschen des Alltags und der Allnacht. In der Ecke druselt ein Kellner; in der Ecke steht ein Grammophon. Jetzt gehts los. Das heißt: es hat schon lange losgegangen – aber für uns gehts erst jetzt los. Jetzt gehts los.

Der Tagherr: Also noch einmal –: was wollen Sie?

Der lockere Zeisig: Ich verpflichte mich, dieses Grammophon ohne Nadel und ohne Membrane spielen zu lassen!

Der Nachtherr: Und wie erklären Sie das?

Der lockere Zeisig: Meine Herren! was sind Erklärungen! was Begründungen! Ich fragte einmal in Libau eine ältere Dame, die sich unter anderm auch einem gewissen Lebenswandel hingab, ob sie einen Eisenbahnfahrplan besäße. »Nein«, sagte sie. »Seitdem mein Großvater gestorben ist, habe ich keinen mehr.« Das ist nun zehn Jahre her … aber noch immer denke ich darüber nach, wie –

Herr Tag: Machen Sie keine Flausen, Okkultismus?

Herr Nacht: Ohne Nadel und Membrane? Spiritismus? Nicht mit uns, Herr! Geheimer Sanitätsrat Dr. medicinae Moll –

Herr Tag: Dessoir …

Der Zeisig, mit artiger Kinderstimme:

Dessoir und Lissoir gingen selband
auf ein kleines Pissoir, Hand in Hand;
aber als sie aus dem Pissauer kamen,
hießen sie Dessauer und Lissauer mit Namen!

Herr Nacht: Man kann mit ihm nicht vernünftig sprechen! Bitte – lassen Sie jetzt das Grammophon ohne Membrane und ohne Nadel spielen! Ja oder ja?

Herr Tag: Er kann es ja gar nicht! Er ist doch nicht allmächtig!

Der Zeisig: Meine Herren: nur Gott ist allmächtig. Haben Sie die neuste Nachricht vom Himmel? Heute nachmittag hat Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht heben kann.

Die Kneipe versinkt in abgrundtiefes Nachdenken. Resultatlos. Dann:

Herr Tag: Also wie ist das nun? Wird es spielen – nein oder nein?

Herr Nacht: Er kann es ja gar nicht!

Der Zeisig: Fritz! Bringen Sie mal das Grammophon!

Das Grammophon weckt den Kellner, der auffährt und das Grammophon bringt, ein höchst seltsamer Vorgang.

Herr Nacht: Also was Sie uns da zeigen wollen –: das gibt es ja gar nicht!

Herr Tag: Das gibt es ja gar nicht!

Der Zeisig: Gibt es Sie beide denn?

Herr Tag: Ich bin von Schriftsteller Hauser auf der Schreibmaschine geschrieben worden – mich wird es ja wohl geben!

Herr Nacht: Ich werde von einem Leser der ›Weltbühne‹ gelesen – mich wird es ja wohl geben!

Der Zeisig: Meine Herren, Sie haben mir zu viel Beweise dafür, dass es Sie gibt – wer so viel Hallo von seiner Existenz macht, den gibt es nicht. Nun zu unserm Grammophon!

Herr Tag: Ich glaube es einfach nicht!

Herr Nacht: Ich glaube es auch nicht!

Der Zeisig: Mit dem Glauben, meine Herren, da seien Sie mir doch ja recht vorsichtig! Kannten Sie den Malermeister Kiekut? Der pflegte zu sagen: »'s ist komisch! Wenn man den Leuten sagt, es gebe dreihundertmillionen vierhundertachtzigtausendzweihundertsiebzehn Sterne – das glauben sie. Aber wenn ich hier auf der Bank einen Zettel anmachen tue: ›Frisch gestrichen!‹ – das glaubt kein Mensch. Da setzen sie sich noch drauf –!«

Herr Tag: Unsre Wette geht um eine Flasche Wein? Wie?

Der Zeisig: Ja, um Wein. Rossini, meine Herren, hat drei Mal in seinem Leben geweint: das erste Mal bei einem Operndurchfall; das zweite Mal, als er Paganini spielen hörte – und das dritte Mal, als ihm eine getrüffelte Poularde in den Gardasee fiel …

Herr Nacht: Man kann mit ihm nicht vernünftig sprechen! Lassen Sie spielen, Mensch!

Herr Tag: Er kann es ja gar nicht!

Der Zeisig (hat am Grammophon herumgebastelt): Einen winzigen Augenblick … Erklären Sie mir dies eine – (er bastelt weiter.) Da hat gestern das hiesige Reichswehrregiment einen Regimentsbefehl herausgegeben: morgen, als wie heute, sei Besichtigung. Ich werde es in der direkten Rede sagen. Also, es ist Besichtigung. Die Mannschaften, die sich selbst rasieren können, dürfen nicht zum Regimentsbarbier gehen – die Mannschaften aber, die sich nicht selbst rasieren können, müssen zum Regimentsbarbier gehen.

Herr Tag; Und –?

Der Zeisig: Frage: Was tut der Regimentsbarbier? Kann er sich selbst rasieren: so darf er sich nicht rasieren; kann er sich aber nicht selbst rasieren: so muß er sich rasieren …

Die Herren Tag und Nacht: Er will uns foppen! Das ist ein seltenes Wort – aber wir wenden es trotzdem an. Es hat keinen Sinn. Man kann mit ihm nicht vernünftig reden. Er kann es ja auch gar nicht!

Sie schrauben sich in ihre Überzieher und verlassen die Kneipe. Man hört von draußen ihre Stimmen: » … er kann es nicht … er kann es ja gar nicht … « verhallen. Der Zeisig ist eifrig tätig. Membrane und Nadel sind entfernt, nun hat er den tiroler Kaiserjäger-Marsch aufgelegt und dreht an. Er krempelt sich die Manschette hoch, zeigt einem imaginierten Publikum die leere Handfläche sowie den Rücken seiner Hand – und stellt dann den gar nicht allzu langen Nagel des kleinen Fingers senkrecht auf die sich drehende Platte. Man hört deutlich leises Trompetengeschmetter.

Der Leser glaubt dies nicht.

Der Zeisig winkt dem Leser aufgeregt zu; er kann nicht mehr sprechen, weil ich es nicht mehr möchte – er kann nur noch winken. Er winkt: »Es ist wahr! Doch! Ja, ja! Man kann das machen!«

Der Leser schüttelt: Nein! nein!

Der Zeisig nuckelt: Ja! ja!


– Aber nun tritt er in den Whisky zurück, aus dem er gekommen ist, und nur das große, schwarze Grammophon steht noch da, dann zergeht auch es, den sanften Zischlaut eines im Falle der Isolierung lächerlichen Personal-Pronomens hinter sich lassend, zergeht auch es.

Der Leser blickt scheu auf den nicht allzu langen Nagel seines linken kleinen Fingers. Ob er mal –? Soll er mal –?

Der Zeisig sitzt selig im Whisky, kratzt sich mit der linken Poot und wartet: wann sie ihn wieder herauslassen. In fünfzig Jahren. Er hat mit Herrn Tag gesprochen, und der hat ihn nicht verstanden; er hat mit Herrn Nacht gesprochen, und der hat ihn nicht verstanden; er hat versucht, dem Leser mitzuteilen, dass man auf drehenden Grammophonplatten mit dem Fingernagel spielen kann, aber …

Der Leser ist noch nicht so ganz überzeugt, obgleich … Soll er mal –? ob er mal –?

Kaspar Hauser
Die Weltbühne, 18.09.1928, Nr. 38, S. 451.