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Es ist heiß in Hamburg

Hamburg, du schönste deutsche Stadt! – »Den zuckenden Fisch an der Nordsee« hat dich Larissa Reissner genannt; Hamburg, Stadt für Männer, Stadt der kraftvollen Arbeit, Stadt auch für Liebende – wie ein kleines Meer lag die Alster (Ozean privat) morgens um halb fünf in der hellblauvioletten Stunde, Mona Lisa stand schon oder noch am Fenster und sah hinaus … Guten Tag, Hamburg.

Es ist heiß in Hamburg. Aber weil hier die Sonne nur auf Abzahlung scheint und immer ein frischer Wind von der See her weht, ist es doch nicht zu heiß. Jakopp stöhnt vor Hitze.

Jakopp ist mir seit alters befreundet; Etappe an Etappe haben wir die große Zeit durchgestanden, und nun ist er irgend etwas Hervorragendes im hamburger Wasserwerk. Wenn es heiß ist, tut er so, als müsse er selber das Wasser für die ganze Stadt aus dem Boden pumpen – er hat so viel zu tun! Jakopp wohnt am Harvestehuder Weg, der ohne die Rs auszusprechen ist, und durch eine in der Bodenkammer sinnreich angebrachte Hühnerleiter, Symbol des Lebens, kann man ihm aufs Dach steigen. Da sitzen wir denn abends auf dem flachen Haus und sehen in das blaue Bassin und in den altgoldenen Whisky, den Jakopp vermittels eines weiten Havelocks in Helgoland einzukaufen pflegt … Ein rascher Seitenblick belehrt mich, dass Jakopp nicht weit von jenem Stadium ist, wo er glaubt, das Alsterbassin selber angelegt zu haben. Er stöhnt vor Hitze.

Es ist heiß in Hamburg, und vor Hitze gerinnen auch unsere Gespräche. Es ist eine jener hamburger Unterhaltungen, die, besonders wenn der Stoff peinlich ist, im Schlicksand verlaufen, die Worte fließen spärlich wie Jakoppens Wasser im Sommer, und auf einmal ist es aus. »Wie geht es denn Ihrer Tante?« – »Tje … der Doktor meint, es wäre ja nu nich mehr so … und da wäre es ja denn besser, wenn sie nu gleich … « Aus. Das Wort ›Tod‹ wird taktvoll vermieden, wie überhaupt der Hamburger auch die pathetischen Vorgänge immer ins ›Faine‹ umbiegt. Fein und unerbittlich diesseitig, so ist Hamburg. (Erster Akt ›Hamlet‹. Eine hamburgische Dame zur andern: »Bis schetzt gar kein Sinn in.« Erledigt, Herr Shakespeare!) Vorläufig ist es aber mal bannig heiß.

»Weißt du«, sagt Jakopp plötzlich, »dass morgen Onkel Ulrich begraben wird?« Ich weiß es. Onkel Ulrich ist kein betrüblicher Onkel, sondern ein gleichgültiger Onkel – vererbt wird hier nichts, wir haben ihn beide kaum gekannt, und unsere Trauer ist artigkonventionell. »Ich muß hin«, sagt Jakopp. »Bei dieser Hitze – «

Was wird das geben? denke ich. Denn Jakopp neigt, wenn er mit dem Leben zusammenstößt, zu seltsamen Eskapaden; er ist der Mann, der im vorigen Jahr nach Italien nicht ohne seine Bleistiftspitzmaschine reisen konnte; der italienische Zoll geriet fast aus dem Häuschen, alala! – und als schon fünfzehn Mann der Mussolini-Garde die gefährliche Zaubermaschine, Erklärungen heischend, umstanden, da nahm Jakopp einem Faschisten den Bleistift aus der Hand und begann, den Welschen einen vorzuspitzen. Da ließen sie ihn in Ruhe. Was wird das geben? denke ich.


Schon frühmorgens gärt es in Jakopps Schlafzimmer.

Zunächst erscheint er im Nachthemd und Zylinder, einem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Zylinder, Modell 1892, und verschwindet wieder. Ich höre ihn brummeln und schimpfen; es sei zu heiß, und Onkel Ulrich sterbe immer im Sommer, und ob er, Jakopp, bei dieser Hitze überhaupt hinausfahre, das sei noch gar nicht entschieden … Ich höre kaum hin. Und werde erst aufmerksam, als ich ihn zur Korridortür hinausrufen höre: »Agda – « (Jakopps Stützen heißen stets so melodisch) – »Agda! Bringen Sie den Begräbnisüberzieher!« Ich nichts wie raus. Das muß ich sehen.

Agda bringt das Ding wirklich an: es ist ein schmächtiger, schwarzer, traurig vom Bügel weinender Paletot. Jakopp zieht ihn an. Er zieht ihn an, und ich sehe zu, ich gucke einmal, ich gucke zweimal – »Jakopp«, sage ich schüchtern, »was wird das? Wo ist denn – « Jakopp antwortet gar nicht.

Er hat an:

Schwarze Hosen, Oberhemd, Kragen, schwarzen Schlips, jenen Zylinder und den Überzieher. Weiter nichts! Rock und Weste hängen im Schrank und wundern sich.

»Ja«, sagt Jakopp. »Es ist eben zu heiß. Man sieht sie ja doch nicht!« Ich halte es für einen Spaß; nein: so wahr ich Gott im Himmel bin, Jakopp geht zur Tür, markiert Frühstück im Nebenzimmer und geht dann in dieser Verfassung broschiert zu Onkel Ulrich. Ich liege auf dem Sofa und lache mir einen Bruch.

Als er wieder da ist, strahlt er bis zu seinem Zylinder, dem sich, offenbar beim Anblick der andern Zylinder, die Haare gesträubt haben. »Alle haben so geschwitzt«, sagt er. »Nur ich nicht.«

Und kleidet sich aus und um und an.


Jakopp darf sich, so seltsam das klingt, zu Beginn des nächsten Jahres verheiraten. Seine Braut ist aus Bayern – also den Anblick halb bekleideter Männer gewöhnt.

Es erhebt sich nunmehr für den Zuschauer die beklemmende Frage:

Wenn Jakopp sein System, nicht zur Sache gehörige Kleidungsstücke einfach fortzulassen, konsequent durchdenkt –: was wird er dann bei seiner Hochzeit weglassen –?

Peter Panter
Vossische Zeitung, 19.08.1928,
wieder in: Mona Lisa.