Auf den unbekannten Soldaten
von J.-René Darnys
Soldat! Du weißt doch, wo du liegst!
Der kalte Stein, wo du dich schmiegst,
ist so ein Ort, wohin man geht,
wenn man nicht weiß, was anzufangen.
Da kommen deine Freunde an in langen
und dichten Scharen. Regenwolken ziehn –
heut ist nichts mit den Tuilerien.
Na, gehn wir hierher …
Ins Kino gingen sie, du armer Junge,
wärs da umsonst … Sieh! Sie ziehn Trauerfalten.
Für dich. Und weil auf ihrer Zunge
sich noch von Mittag her ein schlechter Nachgeschmack erhalten.
An manchen Tagen wirst du schön bepredigt
von großen Tieren, Herrn vom Parlament –
(und alle Welt ist froh, wenn das erledigt).
Die Flamme brennt …
Du bist der ihre, armer Junge!
Dich mit dem einen Bein, mit etwas Lunge,
dich, Opfer, namenlose Nummer:
dich brauchen sie – und desto stummer
du bist, je besser ists.
Für ihr Geschäft, Soldat:
Dich brauchen sie als ein Plakat –!
Du bist ihr Mann – der Mann der Generale!
Du bist ihr Mann – der Mann der Finanziers!
Du bist ihr Mann – der Mann der Prinzipale,
der Hausbesitzer und der Ehrenkomitees!
Sie stehn umher auf deinen Knochen.
Weit öffnet sich der Rednermund.
Tagsüber kommt das angekrochen
und schreit sich seine Kehle wund.
Minister, Offiziere, Grafen …
Du hast die Nächte nur zum Schlafen.
Und kommt die Nacht, gehn sie mit schnellen Beinen
in ihre Kneipe, nehmen einen …
Nachtschatten steigt. Du liegst allein.
So still ist es hier nie gewesen.
Schon kann man nicht mehr alle Namen lesen:
Eylau und Wagram – da im Stein …
Auch da ist so viel Blut geflossen.
Für wen verströmt? Für wen vergossen?
Dunkel um dich. Und endlich hast du Ruh.
Alles ist fort. Die Schwärze deckt dich zu.
Es ging in blauer Dämmerung Schwaden
der letzte Kunde aus dem Laden …
Für heute ist dein Leidenstag geendet.
Im Sternenlicht
unhörbar spricht
ein toter Mann:
»Ich hab vollendet.«
Die Weltbühne, 17.02.1925, Nr. 7, S. 245.