Kraft
Kraft (lat. vis, gr. dynamis) heißt, allgemein gefaßt, jede Ursache der Einwirkung eines Körpers auf einen ändern und noch allgemeiner die Bedingung für die Wirklichkeit einer Wirkung oder das innere Prinzip der Wirklichkeit der Erscheinungen. Kraft ist also nur eine andere Bezeichnung für eine bestimmte Art der Ursachen. Das Wesen der Kraft vermögen wir objektiv nicht zu erkennen; wir müssen uns an ihre Wirkungen im Stoffe halten. Kraft und Stoff sind Korrelate und fordern sich gegenseitig so, daß die Wissenschaft zur Aufstellung einer dynamistischen Atomistik genötigt erscheint. Da nun von jeder Wirkung das Postulat gilt, daß sie mit Notwendigkeit aus ihrer Ursache hervorgeht, so berechnen wir diese aus jener, und es gilt der Grundsatz, daß beide einander proportional sind. Freilich wirken bei jeder Erscheinung fast immer mehrere Ursachen zusammen, daher können wir nur da, wo die Erscheinungen nach allen Seiten unseren Beobachtungen und Messungen zugänglich sind, eine genauere Kenntnis der Kräfte erwarten. Wo wir uns wissenschaftlicher Begriffsbestimmung bedienen, verstehen wir unter (mechanischer) Kraft eine Bewegung bewirkende Ursache; die Wissenschaft von den Kräften ist die Dynamik. Wo die Kräfte ihre Wirkung auf größere, leicht meßbare Entfernungen hin erstrecken, wie die Schwerkraft, kann man beobachten, daß sie, wenn sie zwischen zwei Punkten auftreten, genau in geraden Linien zwischen diesen wirken, also die Entfernung zwischen ihnen zu vermehren oder zu vermindern streben, und daß die Größe ihrer gegenseitigen Einwirkung im umgekehrten Verhältnis der Quadrate ihrer Entfernungen steht. Suchen die Kräfte die Entfernung der beiden Punkte zu vergrößern, so heißen sie abstoßende; suchen sie sie zu vermindern, so heißen sie anziehende. Wo sie anders als in der sie verbindenden Linie zu wirken scheinen, hat man eine Mehrheit von Kräften vorauszusetzen. Eine Kraft heißt gegeben, sobald man ihre Richtung, Größe und ihren Angriffspunkt kennt. Ihre Richtung ist die gerade Linie, in welcher sie ihre Wirkung äußert oder eine Bewegung hervorzubringen bestrebt ist; ihre Größe findet man durch Vergleichung mit einer bekannten, als Einheit angenommenen Kraft; ihr Angriffspunkt heißt der Punkt, in welchem sie als unmittelbar wirkend gedacht wird. Wirken zwei Kräfte auf einen Körper, so kann man sie durch ihre resultierende Diagonalkraft ersetzen, indem man aus den beiden als Seiten ein Parallelogramm konstruiert und die Diagonale von dem Angriffspunkt nach dem Scheitel des gegenüberliegenden Winkels zieht; umgekehrt kann man eine Kraft in zwei andere zerlegen. Liegen die gegebenen Kräfte in einer Linie, so ist das Resultat gleich ihrer Summe, wenn sie nach derselben Richtung, gleich ihrer Differenz, wenn sie nach entgegengesetzter wirken. Bei mehreren Kräften hat man jene Vereinfachung mehrmals vorzunehmen. Ist die Resultierende aus mehreren Kräften gleich Null, so heben sie sich auf, und der Körper, auf den sie wirken, ist in Ruhe; sonst bewegt er sich nach der Richtung der überwiegenden Kraft. Die Einwirkung der Kräfte ist entweder momentan (Stoß) oder dauernd. Lebendige Kraft heißt das halbe Produkt aus der Masse eines Körpers und dem Quadrat seiner Geschwindigkeit (1/2mv²). Die Arbeit einer Kraft ist das Produkt aus der Kraft in den Weg des Angriffspunktes (Q·h). Energie heißt die Fähigkeit eines Körpers, mechanische Arbeit zu leisten, mag sie in einem ruhenden Körper ruhend, potentiell, oder in einem bewegten tätig, aktuell, kinetisch sein. Die potentielle Energie einer aufgezogenen Uhrfeder setzt sich bei Auslösung allmählich in die Bewegungsenergie der sich drehenden Räder um. Umgekehrt geht die Bewegungsenergie eines emporgeworfenen Steines in Energie der Lage über; fällt er, so tritt wieder der umgekehrte Prozeß ein. Die Gesamtenergie des Steins aber bleibt immer dieselbe. Schlägt derselbe zuletzt am Boden auf, so verwandelt sich seine Bewegungsenergie in Wärme, ohne Verlust oder Gewinn. Die gesamte im Weltall vorhandene Energiemenge ist unveränderlich. Nach diesem Prinzip von der Erhaltung der Energie gehen sämtliche Energien (Schall, Licht, Wärme, Elektrizität, chemische Trennung und Verbindung, mechanische Energie) ineinander über und stellen nur verschiedene Erscheinungen desselben Wesens dar. Psychologisch erklärt sich der Kraftbegriff wohl zuletzt mit dem Begriff der Ursache als eine Übertragung des Ichs als Wille auf die objektive Welt. Vgl. v. Helmholtz „Über die Erhaltung der Kraft“. Berlin 1847 u. ö. Julius Schultz, Die Bilder von der Materie. Göttingen 1905. Siehe Energie, Trägheit, Materie.