Religionsphilosophie
Religionsphilosophie ist die philosophische Wissenschaft von der Religion; sie hat deren Ursprung, Wesen, Inhalt und Bedeutung zu untersuchen. Als denkende, wissenschaftliche Betrachtung der Religion faßt sie dieselbe im Zusammenhang mit allen übrigen Erscheinungen des Menschengeistes auf. Sie will nicht bloß eine Phänomenologie des religiösen Bewußtseins, d.h. eine Übersicht der verschiedenen Religionen sein, sondern sie will begreifen lehren, was und warum Religion ist, wie dieselbe mit der Natur des Menschen und seiner Stellung im Weltall zusammenhängt, wie und weshalb sie bei diesem Volke so, bei jenem anders wurde. Als spekulative Religionserkenntnis will sie den religiösen Erfahrungsstoff durch logische Bearbeitung desselben mit der Vernunft durchdringen und zu einem begriffenen Inhalt unseres Denkens erheben. – Hieraus ergibt sich ihre Methode: Sie versucht von der historischen Überlieferung auszugehn und von dort aus die Entstehung, Fortbildung und Wandlung der religiösen Vorstellungen und Bräuche zu verfolgen. Da sie aber nicht bloß Religionsgeschichte ist, sucht sie das allgemeine Wesen, das innere Prinzip der Religion, den religiösen Geist zu erkennen. Dieser aber stellt sich sowohl in den objektiven Religionen als auch im religiösen Leben des einzelnen Subjekts dar. Beider Seiten bedarf der Religionsphilosoph zur gegenseitigen Vergleichung. Daher hat die Religionsphilosophie nach möglichst inniger Durchdringung der psychologischen, spekulativen und historischen Untersuchung zu streben. Nachdem sie das religiöse Bewußtsein und die religiöse Erkenntnisart analysiert hat, betrachtet sie die geschichtlichen Einzelerscheinungen, aber so, daß sie das ihnen zugrunde liegende geistige Prinzip aus den Zufälligkeiten herausschält. So gewinnt sie ohne subjektive Dialektik durch sachgemäßes Vorgehen allmählich, also auf genetisch-spekulativem Wege den Wahrheitskern der Religionen. Nichts liegt ihr ferner, als an Stelle der Religion etwa ein philosophisches System abstrakter metaphysischer Begriffe setzen zu wollen. Das philosophische Denken kann die Religion weder erzeugen noch ersetzen; denn beide sind ganz verschiedene Funktionen. Weder die Fähigkeit noch das Bedürfnis, religiös zu empfinden, wird durch das philosophische Wissen alteriert, sondern nur die Art, wie sich die religiöse Empfindung in der theoretischen Weltansicht reflektiert.
Die Geschichte der Religionsphilosophie geht mit derjenigen der Philosophie überhaupt Hand in Hand. Im engeren Sinne beginnt sie mit Fichtes „Kritik aller Offenbarung“ 1792 und Kants „Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ 1793. Dann folgt Schleiermacher mit seinen „Reden“ 1799 und Schellings, „Philosophie und Religion“ 1804, ferner F. H. Jacobis, „Von den göttlichen Dingen“ 1811, Hegels, „Philosophie der Religion“ 1831. Vgl. Biedermann, „Die freie Theologie“ 1844. Pfleiderer, Religionsphilosophie. 3. Aufl. Berl. 1896. E. v. Hartmann, „Das religiöse Bewußtsein“ 1881; „Die Religion des Geistes“ 1882. Vgl. auch Goethes Gedicht „Die Geheimnisse“ 1784.