Reflexion
Reflexion (lat. reflexio v. reflecto = zurückbeugen), eigtl. Zurückbeugung, bezeichnet im allgemeinen das Denken, im besonderen die auf den eigenen Bewußtseinsinhalt gerichtete Aufmerksamkeit, die innere Wahrnehmung, die Vergleichung, Bestimmung und Verknüpfung der Vorstellungen. Ihr Inhalt ist so mannigfaltig, wie die Vorstellungen selbst und deren Beziehungen. Durch sie hat der Mensch die Innerlichkeit und Besonnenheit, die ihn vom Tier unterscheidet. – Schon Platon (427-347) spricht von einem Wissen des Wissens noêsis noêseôs und der Vorstellung von der Lust, ohne welche diese gar nicht sei. Aristoteles (384-322) hat zuerst den Gemeinsinn tôn koinôn aisthêsis als das Organ der Reflexion aufgestellt, dessen Objekt die einzelnen Sinnesempfindungen sind, ohne daß dieser sensus communis usw. als besonderer Sinn zu denken wäre. Bei Thomas v. Aquino (1225-1274) wird dem inneren Sinne alles beigelegt, was nicht dem Intellekt zukommt. Descartes (1596-1650) hat sogar zwei innere Sinne, einen für die Triebe, den anderen für die Affekte, angenommen, während Hobbes (1688-1679) unter dem inneren Sinn nur das Gedächtnis versteht. Der engere Begriff der „Reflexion“ rührt von Locke (1632-1704) her, nach ihm gibt es zwei Quellen der Erkenntnis: Sensation und Reflexion. Durch jene erfahren wir von den Außendingen, diese ist dagegen die Wahrnehmung der Tätigkeiten unseres Geistes in uns; jene hat die äußeren Sinne zur Voraussetzung, diese den inneren. Leibniz (1646-1716) setzt an Stelle von Lockes Begriffspaar den Gegensatz Perzeption und Apperzeption; jene nimmt die Außendinge wahr, diese ist die Erkenntnis und Aneignung dieser Wahrnehmung durch schon vorhandene Vorstellungsmassen. Dadurch aber wird die Perzeption zu etwas Unbewußtem und die Apperzeption mit dem Bewußtsein, identifiziert. Kant (1724-1804) vermittelt zwischen beiden Philosophen. Er subsumiert den objektlosen inneren Sinn unter die Sinnlichkeit, während er die allgemeinen Erkenntnisbegriffe dem Verstande als apriorische Formen zuschreibt. Die Überlegung (reflexio) ist nach ihm „der Zustand des Gemütes, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis untereinander richtig erkannt werden kann“. (Kant, Kr. d. r. Vernunft, S. 260.) Die Reflexionsbegriffe sind nach Kant Einerleiheit und Verschiedenheit; Einstimmung und Widerstreit; Inneres und Äußeres; Materie und Form. (Vgl. Amphibolie.) Fichte (1762-1814) schreibt dem Ich Produktion und Reflexion zu. Hegel (1770-1831) faßt die Reflexion als „Akt, durch den das Ich, nachdem es seine Natürlichkeit abgestreift hat und in sich selbst zurückgekehrt ist, sich seiner Subjektivität an der gegenübergesetzten Objektivität bewußt wird und sich von ihr mit Feststellung dieser Beziehung unterscheidet“ (Enzykl. § 413). Ulrici (1806-1884) hat als Grundtatsache des Geistes das Sichunterscheiden aufgestellt, während Überweg (1826-1871) der inneren Wahrnehmung die Fähigkeit zuschreibt, ihr Objekt mit materieller Wahrheit aufzufassen. Nach Wundt (geb. 1832) beruht die Reflexion auf Apperzeption. Grundr. d. Psychol. § 17, S. 307. Vgl. Bewußtsein, Ich, Apperzeption, Wahrnehmung. – M. Droßbach, Genesis d. Bewußtseins 1860. Die Objekte der sinnl. Wahrnehmung 1865.