Vierte Szene

Heide.

Es treten auf Lear, Kent und der Narr.


KENT.

Hier ist's, Mylord; o geht hinein, Mylord!

Die Tyrannei der offnen rauhen Nacht

Hält die Natur nicht aus.

 

Fortdauernder Sturm.

 

LEAR.

Laß mich zufrieden!

KENT.

Ich bitt' Euch, kommt!

LEAR.

Willst du das Herz mir brechen?

KENT.

Mein eignes eh'r. O geht hinein, mein König!

LEAR.

Dir dünkt es hart, daß dieser wüt'ge Sturm

Uns bis zur Haut durchdringt: so ist es dir;

Doch wo die größre Krankheit Sitz gefaßt,

Fühlt man die mindre kaum. Du fliehst den Bären;

Doch führte dich die Flucht zur brüll'nden See,

Liefst du dem Bären in den Schlund. Ist frei der Geist,

Dann fühlt der Körper zart. Der Sturm im Geist

Raubt meinen Sinnen jegliches Gefühl,

Nur das bleibt, was hier wühlt – Undank des Kindes!

Als ob der Mund zerfleischte diese Hand,

Weil sie ihm Nahrung bot! Schwer will ich strafen! –

Nicht will ich weinen mehr. In solcher Nacht

Mich auszusperrn! Gieß fort; ich will's erdulden. –

In solcher Nacht, wie die! O Regan, Gon'ril! –

Euren alten, guten Vater, des freies Herz

Euch alles gab, – oh, auf dem Weg liegt Wahnsinn! –

Nein, dahin darf ich nicht: nichts mehr davon!

KENT.

Mein guter König, geht hinein!

LEAR.

Bitt' dich, geh du hinein, sorg' für dich selbst!

Der Sturm erlaubt nicht, Dingen nachzusinnen,

Die mehr mich schmerzen. Doch ich geh' hinein,

Geh, Bursch, voran! – Du Armut ohne Dach, –

Nun, geh doch! Ich will beten und dann schlafen.

 

Der Narr geht in die Hütte.

 

Ihr armen Nackten, wo ihr immer seid,

Die ihr des tück'schen Wetters Schläge duldet,

Wie soll eu'r schirmlos Haupt, hungernder Leib,

Der Lumpen offne Blöß' euch Schutz verleihn

Vor Stürmen, so wie der? Oh, daran dacht' ich

Zu wenig sonst! – Nimm Arzenei, o Pomp!

Gib preis dich, fühl' einmal, was Armut fühlt,

Daß du hinschütt'st für sie dein Überflüss'ges

Und rettest die Gerechtigkeit des Himmels!

EDGAR drinnen.

Anderthalb Klafter! Anderthalb Klafter!

Armer Thoms!

NARR indem er aus der Hütte läuft. Geh nicht hinein, Gevatter! Hier ist ein Geist! Hülfe! Hülfe!

KENT.

Gib mir die Hand! – Wer ist da?

NARR.

Ein Geist, ein Geist! Er sagt, er heiße armer Thoms.

KENT.

Wer bist du, der im Stroh hier murmelt?

Komm heraus! –

 

Edgar tritt auf als Wahnwitziger.

 

EDGAR.

Hinweg! Der böse Feind verfolgt mich.

Durch scharfen Hagedorn saust der kalte Wind: Hu! –

Geh in dein kaltes Bett und wärme dich!

LEAR.

Wie? Gabst du alles deinen beiden Töchtern?

Und kamst du so herunter?

EDGAR. Wer gibt dem armen Thoms was? – den der böse Feind durch Feuer und durch Flammen geführt hat, durch Flut und Strudel, über Moor und Sumpf, der ihm Messer unters Kissen gelegt hat und Schlingen unter seinen Stuhl; der ihm Rattengift in die Suppe tat, der ihm Hoffart eingab, auf einem braunen, trabenden Roß über vier Zoll breite Stege zu reiten und seinem eigenen Schatten, wie einem Verräter, nachzujagen. Gott schütze deine fünf Sinne! Thoms friert. Vor Frost schaudernd. O de de de de de! – Gott schütze dich vor Wirbelwinden, vor bösen Sternen und Seuchen! Gebt dem armen Thoms ein Almosen, den der böse Feind heimsucht: hier könnt' ich ihn jetzt haben, und hier – und da, – und hier wieder, – und hier. –

 

Immerwährend Ungewitter.

 

LEAR.

Was, brachten ihn die Töchter in solch Elend?

Konnt'st du nichts retten? Gabst du alles hin? –

NARR. Nein, er behielt ein Laken, sonst müßten wir uns alle schämen.

LEAR.

Nun, jede Seuche, die die Luft zur Strafe

Der Sünder herbergt, stürz' auf deine Töchter!

KENT.

Herr! Er hat keine Töchter! –

LEAR.

Ha, Tod, Rebell! Nichts beugte die Natur

Zu solcher Schmach, als undankbare Töchter. –

Ist's Mode jetzt, daß weggejagte Väter

So wüten müssen an dem eignen Fleisch?

Sinnreiche Strafe! Zeugte doch dies Fleisch

Diese Pelikan-Töchter.

EDGAR.

Pillicok saß auf Pillicoks Berg;

Hallo, hallo, hallo!

NARR. Diese kalte Nacht wird uns alle zu Narren und Tollen machen.

EDGAR. Hüte dich vor dem bösen Feind; gehorch' deinen Eltern; halte dein Wort; fluche nicht; verführe nicht deines Nächsten verlobte Braut; stelle deine Sache nicht auf eitle Pracht; – Thoms friert! –

LEAR. Was bist du gewesen?

EDGAR. Ein Verliebter, stolz an Herz und Sinn, der sein Haar kräuselte, Handschuh' an seiner Kappe trug, den Lüsten seiner Gebieterin frönte, und das Werk der Finsternis mit ihr trieb. Ich schwur so viel Eide, als ich Worte redete, und brach sie im holden Angesicht des Himmels; schlief ein in Ge danken der Wollust und erwachte, sie auszuführen; den Wein liebte ich kräftig, die Würfel heftig, und mit den Weibern übertraf ich den Großtürken; falsch von Herz, leicht von Ohr, blutig von Hand; Schwein in Faulheit, Fuchs im Stehlen, Wolf in Gier, Hund in Tollheit, Löwe in Raubsucht. Laß nicht das Knarren der Schuhe, noch das Rascheln der Seide dein armes Herz den Weibern verraten! Halte deinen Fuß fern von Bordellen, deine Hand von Schürzen, deine Feder von Schuldbüchern, und trotze dem bösen Feind! Immer noch durch den Hagdorn saust der kalte Wind; ruft Summ, Mum: – Heinonino, Dauphin, mein Junge, hurra! Laß ihn vorbei!

 

Anhaltendes Ungewitter.

 

LEAR. Nun, dir wäre besser in deinem Grabe, als so mit unbedecktem Leib dieser Wut der Lüfte begegnen. Ist der Mensch nicht mehr als das? – Betracht' ihn recht! Du bist dem Wurm keine Seide schuldig, dem Tier kein Fell, dem Schaf keine Wolle, der Katze keinen Bisam. Ha, drei von uns sind überkünstelt: du bist das Ding selbst; der natürliche Mensch ist nichts mehr, als solch ein armes, nacktes, zweizinkiges Tier wie du. Fort, fort, ihr Zutaten! – Kommt, knöpft mich auf!

 

Er reißt sich die Kleider ab.

 

NARR. Ich bitt' dich, Gevatter, laß gut sein; das ist eine garstige Nacht zum Schwimmen. Jetzt wär' ein kleines Feuer auf einer wüsten Heide wie eines alten Buhlers Herz; ein kleiner Funke, und der ganze übrige Körper kalt. Seht, hier kommt ein wandelndes Feuer. –

EDGAR. Das ist der böse Feind Flibbertigibbet; er kommt mit der Abendglocke und geht um bis zum ersten Hahnenschrei; er bringt den Star und den Schwind, macht das Auge schielend und schickt Hasenscharten, verschrumpft den weißen Weizen und quält die arme Kreatur auf Erden:

Sankt Withold ins Feld dreimal wollt' schreiten:

Kommt die Nachtmähr' und ihre neun Füllen von weitem;

Da dräut er gleich:

Entweich'! Entweich'!

Und trolle dich, Alp, und troll' dich!

KENT.

Wie geht's, mein König?

 

Gloster kommt mit einer Fackel.

 

LEAR.

Wer ist der?

KENT.

Wer da? Wenn sucht Ihr?

GLOSTER.

Wer seid ihr? Eure Namen? –

EDGAR. Der arme Thoms, der den schwimmenden Frosch ißt, die Kröte, die Unke, den Kellermolch und den Wassermolch; der in der Wut seines Herzens, wenn der böse Feind tobt, Kuhmist für Salat ißt, die alte Ratte verschlingt und den toten Hund; den grünen Mantel des stehenden Pfuhls trinkt; gepeitscht wird von Kirchspiel zu Kirchspiel und in die Eisen gesteckt, gestäupt und eingekerkert; der drei Kleider hatte für seinen Rücken, sechs Hemden für seinen Leib, zum Reiten ein Pferd, zum Tragen ein Schwert: –

Doch Mäus' und Ratten und solch Getier

Aß Thoms sieben Jahr lang für und für.

Hütet euch vor meinem Verfolger! Still, Smolkin, still, du böser Feind! –

GLOSTER.

Wie, gnäd'ger Herr! Nicht bessere Gesellschaft?

EDGAR.

Der Fürst der Finsternis ist ein Edelmann,

Modo heißt er und Mahu.

GLOSTER.

Ach, unser Fleisch und Blut, Herr, ward so schlecht,

Daß es die haßt, die es erzeugt. –

EDGAR.

Thoms friert! –

GLOSTER.

Kommt mit mir, meine Treu' erträgt es nicht,

Zu folgen Eurer Töchter hartem Willen;

Befahlen sie mir gleich, die Tür zu schließen,

Euch preis zu geben der tyrann'schen Nacht:

Doch hab' ich's drauf gewagt, Euch auszuspähn,

Und führ' Euch hin, wo Mahl bereit und Feuer.

LEAR.

Erst red' ich noch mit diesem Philosophen:

Woher entsteht der Donner?

KENT.

Mein teurer Herr! Nehmt seinen Vorschlag an,

Geht in das Haus!

LEAR.

Ein Wort mit diesem kundigen Thebaner: –

Was ist dein Studium?

EDGAR.

Den Teufel fliehn und Ungeziefer töten.

LEAR.

Ein Wort mit Euch noch insgeheim!

KENT.

Drängt ihn noch einmal, mitzugehn, Mylord!

 

Das Ungewitter dauert fort.

 

Sein Geist beginnt zu schwärmen.

GLOSTER.

Kannst du's tadeln?

Die Töchter suchen seinen Tod. Das sagt'st du

Voraus, du guter Kent! Du armer Flüchtling!

Du fürcht'st, der König wird verrückt; glaub' mir,

Fast bin ich's selber auch: ich hatt' 'nen Sohn,

Verstoßen jetzt, er stand mir nach dem Leben

Erst neulich, eben jetzt: – ich liebt' ihn, Freund,

Mehr liebt' kein Vater je; ich sage dir,

Der Gram zerstört den Geist mir. Welche Nacht! –

Ich bitt' Eu'r Hoheit –

LEAR.

Oh, verzeiht;

Mein edler Philosoph, begleitet uns!

EDGAR.

Thoms friert.

GLOSTER.

Hinein, Bursch, in die Hütte, halt' dich warm!

LEAR.

Kommt all hinein!

KENT.

Hierher, Mylord!

LEAR.

Mit ihm;

Ich bleibe noch mit meinem Philosophen.

KENT.

Willfahrt ihm, Herr, gebt ihm den Burschen mit!

GLOSTER.

So nehmt ihn mit!

KENT.

Du folg' uns! Komm mit uns!

LEAR.

Komm, mein Athener!

GLOSTER.

Nicht viel Worte, still! –

EDGAR.

Herr Roland kam zum finstern Thurn,

Sein Wort war stets: »Seid auf der Hut,

Ich wittr', ich wittre Britenblut.« –

 

Sie gehn alle ab.

 


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