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IX.

[Der Filmdarsteller]

Dem Film kommt es viel weniger darauf an, daß der Darsteller dem Publikum einen anderen, als daß er der Apparatur sich selbst darstellt. Einer der ersten, der diese Umänderung des Darstellers durch die Testleistung gespürt hat, ist Pirandello gewesen. Es beeinträchtigt die Bemerkungen, die er in seinem Roman »Es wird gefilmt« darüber macht, nur wenig, daß sie sich darauf beschränken, die negative Seite der Sache hervorzuheben. Noch weniger, daß sie an den stummen Film anschließen. Denn der Tonfilm hat an dieser Sache nichts Grundsätzliches geändert. Entscheidend bleibt, daß für eine Apparatur — oder, im Fall des Tonfilms, für zwei — gespielt wird. »Der Filmdarsteller«, schreibt Pirandello, »fühlt sich wie im Exil. Exiliert nicht nur von der Bühne, sondern von seiner eigenen Person. Mit einem dunklen Unbehagen spürt er die unerklärliche Leere, die dadurch entsteht, daß sein Körper zur Ausfallserscheinung wird, daß er sich verflüchtigt und seiner Realität, seines Lebens, seiner Stimme und der Geräusche, die er verursacht, indem er sich rührt, beraubt wird, um sich in ein stummes Bild zu verwandeln, das einen Augenblick auf der Leinwand zittert und sodann in der Stille verschwindet ... Die kleine Apparatur wird mit seinem Schatten vor dem Publikum spielen; und er selbst muß sich begnügen, vor ihr zu spielen.«1 Man kann den gleichen Tatbestand folgendermaßen kennzeichnen: zum ersten Mal — und das ist das Werk des Films — kommt der Mensch in die Lage, zwar mit seiner gesamten lebendigen Person aber unter Verzicht auf deren Aura wirken zu müssen. Denn die Aura ist an sein Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr. Die Aura, die auf der Bühne um Macbeth ist, kann von der nicht abgelöst werden, die für das lebendige Publikum um den Schauspieler ist, welcher ihn spielt. DasEigentümliche der Aufnahme im Filmatelier aber besteht darin, daß sie an die Stelle des Publikums die Apparatur setzt. So muß die Aura, die um den Darstellenden ist, fortfallen — und damit zugleich die um den Dargestellten.

Daß gerade ein Dramatiker, wie Pirandello, in der Charakteristik des Films unwillkürlich den Grund der Krise berührt, von der wir das Theater befallen sehen, ist nicht erstaunlich. Zu dem restlos von der technischen Reproduktion erfaßten, ja — wie der Film — aus ihr hervorgehenden Kunstwerk gibt es in der Tat keinen entschiedeneren Gegensatz als das der Schaubühne. Jede eingehendere Betrachtung bestätigt dies. Sachkundige Beobachter haben längst erkannt, daß in der Filmdarstellung »die größten Wirkungen fast immer erzielt werden, indem man so wenig wie möglich ›spielt‹ ... Die letzte Entwicklung« sieht Arnheim 1932 darin, »den Schauspieler wie ein Requisit zu behandeln, das man charakteristisch auswählt und ... an der richtigen Stelle einsetzt.«2 Damit hängt aufs Engste etwas anderes zusammen. Der Schauspieler, der auf der Bühne agiert, versetzt sich in eine Rolle. Dem Filmdarsteller ist das sehr oft versagt. Seine Leistung ist durchaus keine einheitliche, sondern aus vielen einzelnen Leistungen zusammengestellt. Neben zufälligen Rücksichten auf: Ateliermiete, Verfügbarkeit von Partnern, Dekor usw., sind es elementare Notwendigkeiten der Maschinerie, die das Spiel des Darstellers in eine Reihe montierbarer Episoden zerfallen. Es handelt sich vor allem um die Beleuchtung, deren Installation die Darstellung eines Vorgangs, der auf der Leinwand als einheitlicher geschwinder Ablauf erscheint, in einer Reihe einzelner Aufnahmen zu bewältigen zwingt, die sich im Atelier unter Umständen über Stunden verteilen. Von handgreiflicheren Montagen zu schweigen. So kann ein Sprung aus dem Fenster im Atelier in Gestalt eines Sprungs vom Gerüst gedreht werden, die sich anschließende Flucht aber gegebenenfalls wochenlang später bei einer Außenaufnahme. Im übrigen ist es ein Leichtes, noch weit paradoxere Fälle zu konstruieren. Es kann, nach einem Klopfen gegen die Tür, vom Darsteller gefordert werden, daß er zusammenschrickt. Vielleicht ist dieses Zusammenfahren nicht wunschgemäß ausgefallen. Da kann der Regisseur zu der Auskunft greifen, gelegentlich, wenn der Darsteller wieder einmal im Atelier ist, ohne dessen Vorwissen in seinem Rücken einen Schuß abfeuern zu lassen. Das Erschrecken des Darstellers in diesem Augenblick kann aufgenommen und in den Film montiert werden. Nichts zeigt drastischer, daß die Kunst aus dem Reich des »schönen Scheins« entwichen ist, das solange als das einzige galt, in dem sie gedeihen könne.


  1. Luigi Pirandello: On tourne, cit. Leon Pierre-Quint: Signification du cinéma, in: L'art cinématographique II, 1. c, p. 14/15.
  2. Rudolf Arnheim: Film als Kunst. Berlin 1932, p. 176/177. — Gewisse scheinbar nebensächliche Einzelheiten, mit denen der Filmregisseur sich von den Praktiken der Bühne entfernt, gewinnen in diesem Zusammenhang ein erhöhtes Interesse. So der Versuch, den Darsteller ohne Schminke spielen zu lassen, wie unter anderen Dreyer ihn in der Jeanne d'Arc durchführt. Er verwendete Monate darauf, die einigen vierzig Darsteller ausfindig zu machen, aus denen das Ketzergericht sich zusammensetzt. Die Suche nach diesen Darstellern glich der nach schwer beschaffbaren Requisiten. Dreyer verwandte die größte Mühe darauf, Ähnlichkeiten des Alters, der Statur, der Physiognomie zu vermeiden, (cf. Maurice Schultz: Le masquillage, in: L'art cinématographique VI. Paris 1929, p. 65/66.) Wenn der Schauspieler zum Requisit wird, so fungiert auf der andern Seite das Requisit nicht selten als Schauspieler. Jedenfalls ist es nichts Ungewöhnliches, daß der Film in die Lage kommt, dem Requisit eine Rolle zu leihen. Anstatt beliebige Beispiele aus einer unendlichen Fülle herauszugreifen, halten wir uns an eines von besonderer Beweiskraft. Eine in Gang befindliche Uhr wird auf der Bühne immer nur störend wirken. Ihre Rolle, die Zeit zu messen, kann ihr auf der Bühne nicht eingeräumt werden. Die astronomische Zeit würde auch in einem naturalistischen Stück mit der szenischen kollidieren. Unter diesen Umständen ist es für den Film höchst bezeichnend, daß er bei Gelegenheit ohne weiteres eine Zeitmessung nach der Uhr verwerten kann. Hieran mag man deutlicher als an manchen anderen Zügen erkennen, wie unter Umständen jedes einzelne Requisit entscheidende Funktionen in ihm übernehmen kann. Von hier ist es nur ein Schritt bis zu Pudowkins Feststellung, daß »das Spiel des Darstellers, das mit einem Gegenstand verbunden und auf ihm aufgebaut ist, ... stets eine der stärksten Methoden filmischer Gestaltung« ist. (W. Pudowkin: Filmregie und Filmmanuskript. [Bücher der Praxis, Bd. 5] Berlin 1928, p. 126.) So ist der Film das erste Kunstmittel, das in der Lage ist zu zeigen, wie die Materie dem Menschen mitspielt. Er kann daher ein hervorragendes Instrument materialistischer Darstellung sein.