Briefmarkenschwindel
Ich spreche von einer Sache, in der auch die allergelehrtesten und klügsten Briefmarkenkenner nicht auslernen: vom Schwindel. Vom Schwindel mit Briefmarken. Seitdem im Jahre 1840 Rowland Hill, bis dahin ein einfacher Schullehrer, für seine Erfindung der Briefmarke von der englischen Regierung zum Generalpostmeister von England ernannt, geadelt und mit einer Nationalspende von 400 000 Mark beschenkt wurde, sind Millionen und Abermillionen an diesen kleinen Fetzchen Papier verdient worden. Viele Leute haben seitdem mit Marken ihr Vermögen gemacht. Was eine einzige von ihnen unter Umständen wert sein kann, wißt ihr ja alle aus eurem Senff oder Michel oder Kohl. Die teuerste unter allen ist nicht, wie man meist glaubt, die 2 Penny »Post office« von Mauritius sondern eine 1-Cent-Marke von British Guayana, eine provisorische Marke aus dem Jahre 1856, von der anscheinend nur ein einziges Exemplar erhalten ist. Man druckte sie in der Zeitungsdruckerei mit demselben rohen Klischee, das das Lokalblatt vor die Inserate von Schiffskompagnien zu setzen pflegte. Dies einzig bekannte Exemplar wurde vor Jahren von einem jungen Sammler aus Guayana unter alten Familienpapieren entdeckt. Dann kam es in die Sammlung La Renotière in Paris, die die größte Markensammlung der Welt war. Wieviel ihr Besitzer für diese Marke gezahlt hat, das weiß man nicht, ihr heutiger Katalogpreis beträgt 100 000 Mark. Die Sammlung aber, in die sie gekommen ist, umfaßte schon 1913 über 120 000 Marken, und man schätzte sie damals auf weit über 10 Millionen. Natürlich konnte sich nur ein Millionär den Spaß machen, solche Sammlung sich anzulegen. Aber ob es nun seine Absicht gewesen ist oder nicht, er hat noch Millionen an seiner Sammlung verdient. Ihre Anfänge gehen auf das Jahr 1778 zurück. Die Anfänge des Briefmarkensammelns überhaupt freilich sind noch gute 15 Jahre älter. Damals war das Sammeln natürlich leichter als heute. Nicht nur weil es noch viel weniger Marken gab, nicht nur weil Dinge, die heute unerschwinglich sind, damals noch leicht zu bekommen waren, nicht nur weil man viel leichter komplett werden konnte, sondern auch aus dem Grunde, weil es damals noch keine Fälschungen gab, wenigstens keine, die hergestellt wurden, um die Sammler irrezuführen. Wer von euch eine Briefmarkenzeitung hält, der weiß ja, daß dort ganz regelmäßig über neue Fälschungen wie über etwas ganz Ordnungsmäßiges, mit dem jeder rechnet, berichtet wird. Und wie könnte es anders sein? Da sich an Marken so viel verdienen läßt und da außerdem das Gebiet so unübersehbar groß wurde, daß niemand ganz darin beschlagen sein kann. Bis 1914, also ehe die unzähligen Kriegs- und Besatzungsmarken erschienen, zählte man schon 64268 verschiedene Werte.
Da wären wir also bei den Fälschungen angelangt. Ihr wißt, daß es Fälschungen auf allen Sammelgebieten, ohne Ausnahme, gibt und neben solchen, die für die Dummen bestimmt sind, sehr groben und flüchtigen, solche, an denen die größten Sachverständigen sich die Zähne ausbeißen, solche, von denen es erst nach Jahrzehnten, manchmal vielleicht überhaupt nicht, zutage kommt, daß es Fälschungen waren. Bei Briefmarken glauben nun viele Sammler, vor allem Anfänger, gegen Fälschungen sich zu schützen, indem sie sich nur mit gebrauchten Marken befassen. Ursprünglich kommt das daher, daß eine Anzahl von Staaten, besonders der Kirchenstaat, Sardinien, Hamburg, Hannover, Helgoland, Bergedorf, von selten gewordenen Sätzen Neudrucke anfertigen ließen, die nicht mehr in den Gebrauch kamen und an Sammler direkt abgegeben wurden. Diese Neudrucke oder, wenn man will, Fälschungen zeichnen sich nun allerdings wirklich dadurch aus, daß sie ungestempelt sind. Das ist aber ein Sonderfall, den man durchaus nicht verallgemeinern darf. »Diese Marke ist falsch, weil sie nicht gestempelt ist« – so zu denken, ist das Unsinnigste, was es gibt. Dann wäre es noch viel richtiger zu sagen: diese Marke ist gestempelt, weil sie falsch ist. Denn es gibt in der Tat nur ganz außerordentlich wenig gefälschte Briefmarken, die nicht gestempelt sind. Im großen und ganzen nur die, bei denen der Fälscher – wenn man ihn so nennen will – der Staat ist. Der private Fälscher aber, der sich an die fein ausgeführte Marke heranwagt, kann natürlich auch den rohen Stempel nachmachen. Und wenn er seine Fälschung nun fertig hat, dann besieht er sie noch einmal ganz genau, und die doch immer vorhandene schwache Stelle sucht er durch einen aufgedrückten Stempel zu verdecken. Kurz, nur gestempelte Marken zu sammeln, das würde einen vor ganz wenigen Neudrucken schützen, nicht im mindesten aber vor der großen Menge gefälschter Marken. Die wenigsten Sammler werden wissen, welches Land unter den Briefmarkenfälschern das größte Ansehen hat, aus welchem die gelungensten Fälschungen kommen. Das ist Belgien. Und zwar fälschen die Belgier nicht etwa nur ihre eigenen Freimarken – am berühmtesten die Fälschung der belgischen Fünf-Franc-Marke – sondern ebensogern ausländische, wie z.B. die Deutsche Marokko zu 1 Peseta. Um ihre Erzeugnisse loszuwerden, haben die Fälscher einen großartigen Trick gefunden, der ihnen erstens größere Umsätze erlaubt und sie zweitens gegen Bestrafung sichert. Sie zeigen nämlich ihre Fälschungen ausdrücklich als solche an. Damit verzichten sie natürlich auf Phantasiegewinne, indem sie ja die gefälschten Marken nicht als echte verkaufen. Da aber ihre Abnehmer zum größten Teil Leute sind, welche sich mit der sauberen Absicht tragen, ihrerseits dies zu tun, so können die Hersteller sich für ihre angeblich nicht gefälschten, sondern, wie sie sagen, nur zu wissenschaftlichen Zwecken nachgebildeten Marken ganz anständige Preise bezahlen lassen. Sie verschicken an kleine Briefmarkenhandlungen Angebote, in denen sie ihre tadellose Nachahmung von Marken außer Kurs, ihre bewundernswürdige Ausführung nach einem ganz neuen Verfahren, ihre mathematisch getreuen Markenbilder, Aufdrucke, Farben, Papiere, Wasserzeichen, Zähnungen und – nicht zu vergessen – Abstempelungen rühmen. Um sich vor solchen Erzeugnissen zu schützen, haben die großen Briefmarkenhändler für besondere Seltenheiten eine sogenannte Garantie oder Echtheitsabstempelung vorgeschlagen, aus der ersichtlich sein sollte, daß eine angesehene Firma, und welche, für die Echtheit der Marke einsteht. Andere aber haben den sehr vernünftigen Einwand gemacht, warum man denn das Bild der echten Marke mit so einem, wenn auch winzigen Firmenstempel entstellen solle? Lieber solle man doch den durchschauten Fälschungen wertvoller Marken von Fall zu Fall einen Fälschungsstempel, gewissermaßen als Brandmal, aufdrücken. Nebenbei gesagt ist doch nicht alles, was so unter dem Namen ›Nachbildung‹ geht, ohne weiteres als Fälschung geplant. Die berühmte schwarze englische 1 Penny von 1864 z.B. ist von der Staatsdruckerei in ein paar Exemplaren für die Sammlung einiger englischer Prinzen nachgedruckt worden. Wenn es unter euch welche gibt, die späterhin noch beim Briefmarkensammeln bleiben werden, dann werden sie sich ja selbst mit Fälschungen genügend herumzuschlagen haben, dabei viel mehr lernen, als ich euch heute erzählen kann, und auch allmählich auf die Hilfsmittel stoßen, die man im Kampfe gegen die Fälschungen hat. Heute nenne ich nur ein einziges, aber wichtiges Buch, das sogenannte »Handbuch der Fälschungen« von Paul Ohrt. Es gibt aber noch mancherlei Sammlerschwindel, mancherlei private und staatliche Ausnutzung der Briefmarkensammler, die nicht durch Fälschung geschieht. Vor allem muß man da an die Länder denken, die sozusagen vom Briefmarkenhandel leben. Eine ganze Menge kleiner Staaten rechneten, zumal früher, für die Verbesserung ihrer Finanzen auf die Taschen der Briefmarkensammler. Die Entdeckung dieser sonderbaren Einnahmequelle könnte man einem erfinderischen Einwohner der Cook-Inseln zuschreiben. Die 10 000-12 000 Einwohner dieser Insel waren vor noch nicht allzu langer Zeit Menschenfresser. Mit den ersten Geräten und Gebrauchsgegenständen der Zivilisation kamen auch Briefmarken zu ihnen, die man aus Neuseeland bestellt hat. Es waren ganz einfache Marken, deren gummiertes Papier eine einfache Umrahmung von Druckbuchstaben zeigte. Nichtsdestoweniger hatten die großen Markenhändler Amerikas und Europas für diese Ausgabe sehr viel Interesse und bezahlten sie ziemlich hoch. Niemand war erstaunter als die Leute von den Cook-Inseln, da sie sich plötzlich eine so leichte und reichliche Einnahmequelle eröffnet sahen. Sie ließen sich sofort neue Markensätze in Australien drucken, die von den ersten in Zeichnung und Farbe verschieden waren. Ähnliche Geschichten wären von vielen südamerikanischen Staaten, besonders von Paraguay, ebenso von den kleinen indischen Fürstentümern Faridkot, Bengalen, Bamra zu erzählen. Noch schlauer aber als die Herrscher, die auf solche Weise Geschäfte machen wollten, waren manchmal Privatleute wie jener Ingenieur, der sich verpflichtete, an Guatemala umsonst zwei Millionen neue Marken zu liefern, und dafür nichts erbat als alle Serien der alten Marken, die sich noch in der Staatsdruckerei befanden. Es läßt sich denken, ein wie gutes Geschäft er späterhin damit machte. Als es gegen Ende des Krieges Deutschland sehr schlecht ging, ist sogar die Reichspost dem Beispiel dieser exotischen Königs- und Fürstentümer gefolgt und hat ihre Vorräte an Kolonialmarken unmittelbar an Privatsammler abgegeben. – Soll ich nun noch eine ganz andere Art Schwindelgeschichte erzählen, die eigentlich mit Briefmarkensammeln direkt nichts zu tun hat? Sie gehört aber zu den raffiniertesten, die sich je einer erdachte. Und da in ihrem Mittelpunkt eine Briefmarkensammlung steht, so kann ich es vielleicht wagen. Die Sache spielte 1912 in Wilhelmshaven. Ein wohlhabender Bürger der Stadt verkaufte seine schöne, in jahrelanger Mühe aufgebaute Briefmarkensammlung für 17 000 Mark an einen Berliner Herren und sandte sie unter Nachnahme ab. Der Käufer hatte inzwischen eine angeblich mit Büchern gefüllte Kiste unter der gleichen Signatur nach Wilhelmshaven abgesandt. Diese Kiste beorderte er kurz darauf telegrafisch nach Berlin zurück. Beide Kisten trafen nun richtig in Berlin ein, und dem Schwindler gelang es, die Kiste mit der Markensammlung auf der Berliner Güterabfertigung ohne Nachnahmezahlung, da er sich ja für den Absender ausgab, der sie zurückbeordert hatte, zu erhalten. Die angeblich mit Büchern gefüllte Kiste enthielt nur Papierschnitzel, und der Empfänger blieb auf ewig verschwunden.
So viel von Briefmarkenschwindel, soweit er den Briefmarkensammler selber näher angeht. Aber es gibt ja noch einen ganz anderen, viel mächtigeren Interessenten für Briefmarkenschwindel und besonders für Briefmarkenfälschungen als die Sammler; das ist die Post. Man hat berechnet, daß der jährliche Verbrauch an Briefmarken in Deutschland ungefähr 6 Milliarden = 6000 Millionen, der Weltverbrauch aber 30 Milliarden Stück beträgt. Dabei hat man den Geldwert der in Deutschland verwendeten Marken auf rund 5 Milliarden Mark errechnet. Für 5000 Millionen Mark jährlich wird also von der Post sozusagen Kleinpapiergeld hergestellt und verbraucht. Man kann ja die Briefmarken als kleine Banknoten ansehen, da sie ja nicht nur zur Frankierung von Briefen sondern oft auch für Zahlungen bis zu einer gewissen Höhe gebraucht werden. Nur in einem unterscheiden sie sich ganz und gar vom Papiergeld. Um 10- oder 100-Mark-Scheine nachzumachen, muß man sehr viel vom Druckerhandwerk verstehen und braucht man teure, komplizierte Instrumente. Briefmarken nachzudrucken aber ist außerordentlich leicht, und je roher der Druck der echten Stücke ist, desto schwerer lassen sich manchmal die gefälschten von ihnen unterscheiden. So ist es vor mehreren Jahren vorgekommen, daß deutsche Zehn-Pfennig-Marken von sehr sachverständigen Briefmarkensammlern für Fälschungen erklärt wurden, während die Reichspost der Meinung war, daß sie echt seien. Wie häufig Briefmarkenfälschungen dieser Art sind, eigentlich kann man ›Banknotenfälschungen‹ sagen, und sie werden auch vom Gesetz so bestraft – das kann man nicht feststellen, weil die Post zwar darüber Buch führt, für wieviel Millionen Mark im Jahre sie Marken verkauft, aber nicht für wieviel Millionen Mark aufgeklebte Marken im Jahre sie entwertet. So gibt es Leute, die behaupten, daß die Postverwaltungen jährlich um Hunderte von Millionen Mark betrogen werden. Man kann das, wie gesagt, nicht nachweisen, aber wenn man bedenkt, daß sie auf noch viel einfachere Weise als durch gefälschte Briefmarken dadurch betrogen werden können, daß man von den entwerteten den Stempel wieder sauber entfernt, dann kann die Ansicht dieser Leute einen nachdenklich machen. Sie behaupten sogar, man könne eine Vorliebe für die verschiedenen Arten von Schwindel in den verschiedenen Gegenden erkennen, und es würden z.B. die Fälschungen im großen durch Druck hauptsächlich im Süden Europas, die im kleinen durch Waschen und Reinigen im Norden geübt. Das alles erzähle ich, weil das, worauf diese Leute hinauswollen, jeden Briefmarkensammler angeht. Sie wollen die Abschaffung der Marken und ihren Ersatz durch Stempel erreichen. Daß für Massensendungen heute schon das Porto nicht mit Briefmarken sondern mit Stempeln quittiert wird, habt ihr ja alle beobachtet. Dieses Verfahren, so meinen die Feinde der Briefmarke, soll nun auch für private Postsendungen angewandt werden, indem man z.B. Briefkästen einführt, die mit Automaten verbunden sind. Da gäbe es denn also 5, 8, 15, 25 Pfennig-Briefkästen usw., je nach dem Porto, das für einen Brief zu bezahlen wäre. Und damit sich der Schlitz öffne, müßte man vorher den entsprechenden Betrag in Münzen in den Briefkasten werfen. Vorläufig aber ist es noch nicht so weit, und die Sache hat noch verschiedene Schwierigkeiten. Vor allem erkennt der Weltpostverein nur Briefmarken, keine Stempel an. Aber daß im Zeitalter der Mechanisierung und Technisierung die Briefmarke kein sehr langes Leben mehr hat, ist bei alledem doch wahrscheinlich. Und wer von euch sich frühzeitig darauf einrichten will, der wird vielleicht klug tun, sich zu überlegen, wie er sich eine Stempelsammlung einrichtet. Wir können ja heute schon sehen, wie die Stempel immer mannigfacher und reicher werden, wie sie mit Worten oder Bildern Reklamen anzeigen, und die Feinde der Briefmarke haben schon, um die Sammler für sich zu gewinnen, versprochen, man werde Stempel mit Landschaften, mit historischen Bildern, mit Wappen usw. genauso schön schmücken, wie es früher bei den Marken der Fall war.