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Ich möchte Ihnen jetzt erzählen, meine Herren (mögen Sie nun Lust haben, es anzuhören, oder nicht), warum ich nicht einmal ein Wurm zu werden verstanden habe. Ich sage Ihnen in allem Ernste, daß ich oftmals den Wunsch gehabt habe, ein Wurm zu werden. Aber auch dessen bin ich nicht gewürdigt worden. Ich versichere Ihnen mit aller Bestimmtheit, meine Herren, daß zuviel Erkenntnis eine Krankheit ist, eine wirkliche, reguläre Krankheit. Für den menschlichen Bedarf wäre eine gewöhnliche menschliche Erkenntnis vollkommen ausreichend, das heißt die Hälfte oder ein Viertel derjenigen Portion, die auf einen geistig entwickelten Menschen unseres unglücklichen neunzehnten Jahrhunderts entfällt, der obendrein noch das doppelte Unglück hat, in Petersburg zu wohnen, derjenigen Stadt des ganzen Erdballs, in der das abstrakte Denken am meisten im Schwange ist. (Es gibt Städte, in denen abstrakt gedacht wird, und solche, in denen das nicht geschieht.) Ganz ausreichend würde zum Beispiel eine solche Erkenntnis sein wie die, mit der alle Männer des unmittelbaren praktischen Handelns leben. Ich möchte darauf wetten, Sie glauben, daß ich das alles aus Renommage schreibe, um über die Männer des praktischen Lebens zu witzeln und außerdem mit meinem schlechten Tone zu renommieren, und daß ich gleichsam wie mein Offizier mit dem Säbel rassele. Aber, meine Herren, wer kann denn auf seine Krankheiten stolz sein und gar noch mit ihnen renommieren?

Aber was rede ich da? Das tun ja doch alle; gerade auf ihre Krankheiten sind sie stolz, und ich vielleicht in höherem Grade als alle andern. Wir wollen darüber nicht streiten: Ich gebe zu, daß mein Einwand absurd war. Dennoch aber bin ich fest davon überzeugt, daß nicht nur sehr viel Erkenntnis, sondern sogar jede Erkenntnis eine Krankheit ist. Dabei bleibe ich. Aber lassen wir auch dieses Thema ein Weilchen beiseite! Sagen Sie mir bitte einmal folgendes: Wie ging es zu, daß ich gerade in denselben Minuten, ja, gerade in denselben Minuten, in denen ich am fähigsten war, alle Feinheiten „alles Schönen und Erhabenen“ zu erkennen, wie man sich bei uns ehemals ausdrückte, wie ging es zu, daß ich da so garstige Dinge nicht nur dachte, sondern auch tat, Dinge, wie sie … na ja, kurz gesagt, Dinge, die zwar vielleicht alle Menschen begehen, die mir aber, wie ausgerechnet, gerade dann passierten, wenn ich am klarsten erkannte, daß man sie überhaupt nicht tun dürfe? Je mehr ich das Gute und all dieses „Schöne und Erhabene“ erkannte, um so tiefer versank ich in meinen Sumpf und um so fähiger war ich, vollständig in ihm stecken zu bleiben.

Aber der wichtigste, charakteristischste Zug bestand darin, daß das alles sich in meinem Innern nicht zufällig zutrug, sondern gewissermaßen als ob es mit Notwendigkeit so sein müßte. Wie wenn das mein durchaus normaler Zustand wäre und keineswegs eine Krankheit, eine sittliche Verderbtheit, so daß mir schließlich die Lust verging, gegen diese sittliche Verderbtheit anzukämpfen. Es endete damit, daß ich beinah glaubte (und vielleicht glaubte ich es tatsächlich), daß dies wohl wirklich mein normaler Zustand sei. Aber zuerst, am Anfang, wieviel Qualen hatte ich da bei diesem Kampfe auszuhalten! Ich glaubte nicht, daß es anderen ebenso ginge, und verbarg daher mein ganzes Leben lang diesen Vorgang wie ein Geheimnis. Ich schämte mich (ja, vielleicht schäme ich mich auch jetzt noch); es kam so weit, daß ich manchmal eine Art von geheimem, unnatürlichem, gemeinem Genusse darin empfand, so in einer besonders ekelhaften Petersburger Nacht zu mir nach Hause in mein Stübchen zurückzukehren und mir mit Gewalt dessen bewußt zu werden, daß ich auch jetzt wieder eine Schändlichkeit begangen hätte, eine nie wieder rückgängig zu machende Schändlichkeit, und dann innerlich deswegen im geheimen an mir herumzunagen, herumzusägen, herumzusaugen, bis die Bitterkeit sich schließlich in eine Art von schmählicher, nichtswürdiger Süße verwandelte und zuletzt in einen ausgesprochenen, wirklichen Genuß! Ja, in einen Genuß, in einen Genuß! Ich bleibe dabei. Eben deswegen habe ich hiervon zu sprechen angefangen, weil ich gern zuverlässig in Erfahrung bringen möchte, ob bei anderen solche Genußempfindungen ebenfalls vorkommen. Ich werde Ihnen den Kausalzusammenhang erklären: Der Genuß rührte hier gerade von einer besonders klaren Erkenntnis der eigenen Erniedrigung her, von der Empfindung, daß man bis an die letzte Mauer gelangt sei, daß diese Handlungsweise schändlich sei, aber doch eben nicht anders sein könne, daß man keinen Ausweg mehr habe und niemals ein anderer Mensch werden werde, daß, selbst wenn man Zeit zu einer Umwandlung hätte und an die Möglichkeit einer solchen glaubte, man doch zu einer derartigen Umwandlung selbst keine Lust haben würde, und wenn man Lust dazu hätte, auch dann nichts ausrichten würde, weil es vielleicht tatsächlich nichts gebe, in was man sich umwandeln könnte. Die Hauptsache aber und das letzte Ende ist, daß sich dies alles nach den normalen Fundamentalgesetzen der gesteigerten Erkenntnis und auf Grund des Beharrungsvermögens vollzieht, welches direkt auf diesen Gesetzen beruht; infolgedessen aber ist nicht nur eine Umwandlung unmöglich, sondern man richtet einfach überhaupt nichts aus. Es ergibt sich zum Beispiel aus der gesteigerten Erkenntnis der Satz: „Du hast recht; du bist ein Schuft“, als ob das für einen Schuft ein Trost wäre, wenn er nunmehr selbst die Empfindung hat, daß er tatsächlich ein Schuft ist. Aber genug … Ach, ich habe da viel zusammengeschwatzt; aber was habe ich deutlich gemacht? Wodurch wird hierbei der Genuß erklärt? Aber ich werde mich schon verständlich machen. Ich werde diesen Gegenstand schon zu Ende fuhren! Zu diesem Zwecke habe ich ja auch die Feder zur Hand genommen …

Ich besitze zum Beispiel eine gewaltige Eigenliebe. Ich bin mißtrauisch und empfindlich wie ein Buckliger oder ein Zwerg; aber ungelogen, ich habe Augenblicke gehabt, wo ich, wenn mir jemand eine Ohrfeige gegeben hätte, mich vielleicht sogar darüber gefreut hätte. Ich rede im vollen Ernste: Sicherlich hätte ich verstanden, auch darin einen eigenartigen Genuß zu finden, selbstverständlich den Genuß der Verzweiflung; aber gerade in der Verzweiflung liegen die stärksten Genußempfindungen, besonders wenn man seine Rettungslosigkeit bereits sehr genau kennt. Hier aber, bei der Ohrfeige, da erdrückt einen ja ordentlich die Erkenntnis, zu was für einer schmierigen Masse man zerrieben worden ist. Die Hauptsache aber ist dies: Wie auch immer ich es überlegen mag, es ergibt sich doch stets als Resultat, daß in erster Linie immer ich selbst an allem schuld bin, und zwar, was das Schmerzlichste ist, unschuldigerweise daran schuld bin, sozusagen nach den Naturgesetzen. Erstens trage ich deswegen Schuld, weil ich klüger bin als alle, die mich umgeben. (Ich habe mich von jeher für klüger gehalten als alle, die mich umgeben, und mich manchmal — sollten Sie es glauben? — sogar deswegen geschämt. Wenigstens habe ich mein ganzes Leben lang gleichsam zur Seite geblickt und den Leuten nie gerade in die Augen sehen können.) Ferner trage ich insofern Schuld, als, selbst wenn ich auch Hochherzigkeit besäße, doch infolge der Erkenntnis der ganzen Nutzlosigkeit dieser Hochherzigkeit meine eigenen Qualen nur um so größer sein würden. Ich würde ja sicherlich mit meiner Hochherzigkeit nichts anzufangen wissen; ich könnte weder mit ihr verzeihen, weil der Beleidiger mich vielleicht nach den Naturgesetzen geschlagen hat und man den Naturgesetzen nichts zu verzeihen hat, noch auch könnte ich mit ihr vergessen, weil es doch immer eine Beleidigung bleibt, mag sie auch nach den Naturgesetzen erfolgt sein. Und endlich, selbst wenn ich überhaupt nicht hochherzig sein wollte, sondern vielmehr den Wunsch hätte, mich an dem Beleidiger zu rächen, so würde ich mich doch an niemandem und für nichts rächen können, weil ich mich sicherlich nicht dazu entschließen würde, etwas zu tun, selbst wenn ich es könnte. Warum würde ich mich nicht dazu entschließen? Darüber möchte ich ein paar Worte besonders sagen.