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Na, ist es denn möglich, ist es denn überhaupt möglich, daß derjenige irgendwelche Selbstachtung besitzt, der es sogar darauf anlegt, selbst in dem Gefühle seiner eigenen Erniedrigung einen Genuß zu finden? Ich rede so nicht etwa aus irgendwelchem abgeschmackten Gefühl von Reue. Es hat mir überhaupt immer widerstanden, zu sagen: „Verzeihen Sie mir, lieber Papa; ich werde es nicht wieder tun“ — nicht weil ich unfähig gewesen wäre, das zu sagen, sondern im Gegenteil vielleicht gerade deswegen, weil ich dessen gar zu fähig war; und wie fähig! Ich habe mich manchmal sogar absichtlich durch Selbstbeschuldigung in eine unangenehme Lage gebracht, in Fällen, wo mich nicht im entferntesten eine Schuld traf. Das war das Allergarstigste. Und dazu geriet ich in eine so gerührte, reuige Stimmung hinein, vergoß Tränen und betrog natürlich mich selbst, obgleich ich mich ganz und gar nicht verstellte; es war eben mein Herz, das mir solche dummen Streiche spielte … Ich konnte dabei nicht einmal die Naturgesetze beschuldigen, wiewohl doch gerade sie mich mein ganzes Leben lang beständig und am allermeisten geschädigt haben. Es ist widerwärtig, sich an all dies zu erinnern, und es war auch damals widerwärtig. Manchmal erkannte ich ja schon nach wenigen Minuten, daß das alles Unwahrhaftigkeit war, widerwärtige Unwahrhaftigkeit und Lüge, ich meine alle diese Anfälle von Reue und von Rührung, all diese Gelöbnisse einer geistigen Wiedergeburt. Nun fragen Sie vielleicht, warum ich mich so wand und krümmte und mich quälte. Darauf antworte ich: Weil es mir gar zu langweilig war, so mit den Händen im Schoße dazusitzen; so ließ ich mich denn auf solchen Hokuspokus ein. Es verhält sich wirklich so. Achten Sie einmal besser auf sich selbst, meine Herren, dann werden Sie einsehen, daß es sich so verhält. Ich habe mir sogar Abenteuer ausgedacht und mir selbst ein Leben ersonnen, um wenigstens auf diese Weise etwas zu erleben. Wie oft ist es mir begegnet, daß ich — nun, sagen wir zum Beispiel, mich beleidigt gefühlt habe, aus heiler Haut, ohne jeden Grund, absichtlich; und man pflegt dabei selbst zu wissen, daß man sich ohne Grund gekränkt fühlt und sich nur aufhetzt; man bringt sich aber doch dahin, daß man sich zuletzt wirklich und wahrhaftig beleidigt fühlt. Ich habe mein ganzes Leben lang einen eigentümlichen Drang verspürt, solche Kunststücke zu machen, so daß ich mich schließlich selbst nicht mehr in der Gewalt hatte. Einmal wollte ich mich mit aller Gewalt verlieben, sogar zweimal. Ich litt dabei, meine Herren; das kann ich Ihnen versichern. In tiefster Seele glaubt man nicht, daß man leidet; der Spott regt sich; aber dennoch leide ich, und sogar in echter, wirklicher Weise; ich werde eifersüchtig, ich gerate außer mir … Und das alles aus Langerweile, meine Herren, alles aus Langerweile; die Untätigkeit hat mich erdrückt. Denn die direkte, regelmäßige, unmittelbare Frucht der Erkenntnis ist die Untätigkeit, das heißt das bewußte Dasitzen mit den Händen im Schoße. Ich habe davon bereits oben gesprochen. Ich wiederhole es mit allem Nachdruck: Alle Männer des unmittelbaren praktischen Handelns sind eben deshalb tätig, weil sie stumpfsinnig und beschränkt sind. Wie ist das zu erklären? Nun, folgendermaßen: Infolge ihrer Beschränktheit nehmen sie die nächstliegenden Ursachen, die Ursachen zweiten Grades, für uranfangliche und gelangen auf diese Weise schneller und leichter als andere Menschen zu der Überzeugung, daß sie eine unwandelbare Grundlage für ihr Handeln gefunden haben; na, und da beruhigen sie sich denn; und das ist ja die Hauptsache. Denn wenn man anfangen soll zu handeln, so muß man vorher vollständig beruhigt sein, und es dürfen keine Zweifel mehr bei einem zurückbleiben. Na, aber wie könnte zum Beispiel ich mich beruhigen? Wo habe ich uranfangliche Ursachen, auf die ich mich stützen könnte; wo habe ich die erforderlichen Grundlagen? Woher soll ich die nehmen? Ich übe mich im Denken, und folglich zieht bei mir jede uranfangliche Ursache sofort eine andere noch tiefer liegende Ursache hinter sich her, und so weiter bis ins Unendliche. Darin besteht eben das Wesen aller Erkenntnis und allen Denkens. Da hätten wir also schon wieder die Naturgesetze. Nun, und was ist schließlich das Resultat? Das Resultat ist eben jenes selbe. Erinnern Sie sich einmal: Ich habe vorhin von der Rache gesprochen. (Sie haben das gewiß nicht verstanden.) Ich habe gesagt: Der Mensch rächt sich, weil er die Rache für einen Akt der Gerechtigkeit ansieht. Also hat er eine uranfangliche Ursache gefunden, nämlich die Gerechtigkeit. Folglich ist er nach jeder Richtung hin beruhigt; mithin rächt er sich ruhig und erfolgreich, da er davon überzeugt ist, daß er eine ehrenhafte, gerechte Handlung vollführt. Ich dagegen sehe darin keine Gerechtigkeit, und eine Tugend finde ich darin ebenfalls nicht; folglich, wenn ich anfange mich zu rächen, so tue ich es höchstens aus Bosheit. Die Bosheit könnte ja nun zwar alles überwinden, alle meine Zweifel und Bedenken, und könnte folglich mit völligem Erfolge statt einer uranfanglichen Ursache dienen, eben weil sie keine Ursache ist. Aber was soll ich machen, wenn ich nicht einmal Bosheit besitze (davon habe ich ja vorhin zu reden begonnen). Die Bosheit unterliegt bei mir, wieder infolge dieser verdammten Gesetze der Erkenntnis, einem chemischen Zersetzungsprozesse. Man sieht: Der Gegenstand verflüchtigt sich, die Gründe verdampfen, ein Schuldiger ist nicht zu finden, die Beleidigung stellt sich nicht als Beleidigung, sondern als Fatum heraus, als etwas im Genre der Zahnschmerzen, an denen niemand die Schuld trägt, und folglich bleibt wieder nur eben jener selbe Ausweg übrig, das heißt möglichst schmerzhaft die Wand zu prügeln. Na, da verzichtet man denn entsagungsvoll, weil man die uranfangliche Ursache nicht gefunden hat. Aber versuche es einmal, laß dich durch dein Gefühl blindlings ohne Überlegung und ohne uranfangliche Ursache hinreißen, jage die Erkenntnis wenigstens für diese Zeit davon, hasse oder liebe, um nur nicht mit den Händen im Schoße dazusitzen: Übermorgen (und das ist schon der späteste Termin) wirst du anfangen, dich selbst dafür zu verachten, daß du dich selbst wissentlich hinters Licht geführt hast. Das Resultat ist: eine Seifenblase und Untätigkeit. O meine Herren, vielleicht halte ich mich nur deswegen für einen klugen Menschen, weil ich mein ganzes Leben lang weder vermocht habe, etwas zu beginnen noch etwas zu beenden. Nun gut, mag ich ein Schwätzer sein, ein unschädlicher, lästiger Schwätzer wie wir alle. Aber was ist zu tun, wenn der einzig wahre Beruf jedes verständigen Menschen ist zu schwatzen, das heißt mit bewußter Absicht leeres Stroh zu dreschen?