6. Frühreife
»Was meinen Sie, was wird der Doktor ihm sagen?« fragte Kolja hastig Aljoscha, als sie auf dem Flur waren. »Was hat der Mensch aber auch für eine widerwärtige Fratze, nicht wahr? Ich kann die Medizin nicht leiden!«
»Iljuscha wird sterben. Das ist, glaube ich, bereits sicher«, antwortete Aljoscha traurig.
»Diese Gauner! Die Medizin ist eine Gaunerei! Ich freue mich aber, daß ich Sie kennengelernt habe, Karamasow. Ich habe schon längst gewünscht, Sie kennenzulernen. Schade nur, daß wir uns bei so einem traurigen Anlaß begegnet sind …«
Kolja hätte gern noch etwas Wärmeres, Herzlicheres gesagt, doch es war, als ob ihm ein Krampf die Zunge lähmte. Aljoscha bemerkte das, lächelte und drückte ihm die Hand.
»Ich habe Sie schon lange als eine seltene Persönlichkeit schätzengelernt«, murmelte Kolja wieder verlegen. »Ich habe gehört, Sie sind Mystiker und waren im Kloster, aber dadurch habe ich mich nicht abhalten lassen. Die Berührung mit dem wirklichen Leben wird Sie kurieren … Bei Naturen wie Sie kann das nicht anders sein.«
»Was meinen Sie mit dem Ausdruck ‚Mystiker‘? Und wovon soll ich kuriert werden?« fragte Aljoscha einigermaßen verwundert.
»Nun, ich meine Gott und das übrige.«
»Glauben Sie etwa nicht an Gott?«
»O doch, ich habe nichts gegen Gott. Zwar ist Gott nur eine Hypothese, aber ich gestehe, daß er notwendig ist, für die Ordnung … Für die Weltordnung und so weiter … Und wenn er nicht existierte, müßte man ihn erfinden«, fügte Kolja errötend hinzu. Ihm war plötzlich der Gedanke gekommen, Aljoscha könnte glauben, er wolle nur seine Kenntnisse zur Schau stellen und zeigen, daß er schon erwachsen war. ‚Ich habe durchaus nicht die Absicht, meine Kenntnisse zur Schau zu stellen!‘ dachte Kolja empört. Und er ärgerte sich auf einmal gewaltig.
»Zugegeben, es widerstrebt mir, auf alle diese Streitigkeiten einzugehen«, sagte er abbrechend. »Man kann ja, auch ohne an Gott zu glauben, die Menschheit lieben, meinen Sie nicht auch? Voltaire zum Beispiel hat nicht an Gott geglaubt und trotzdem die Menschheit geliebt!« ‚Schon wieder, schon wieder‘, dachte er bei sich.
»Voltaire hat an Gott geglaubt, aber, wie es scheint, nur wenig. Und wie es scheint, hat er auch die Menschheit nur wenig geliebt«, versetzte Aljoscha leise, ruhig und in ganz natürlichem Ton, als spräche er mit einem Gleichaltrigen oder gar einem Älteren.
Kolja beeindruckte besonders Aljoschas scheinbare Unsicherheit in seinem Urteil über Voltaire und der Umstand, daß er ihm, Kolja, gewissermaßen die Entscheidung dieser Frage anheimgab.
»Haben Sie denn Voltaire gelesen?« schloß Aljoscha.
»Nein, eigentlich nicht … Das heißt, ‚Candide‘ habe ich gelesen, in einer russischen Übersetzung … In einer alten, gräßlichen Übersetzung …« ‚Schon wieder, schon wieder!‘
»Und haben Sie alles verstanden?«
»O ja, alles … Das heißt … Warum sollte ich es nicht verstanden haben? Es sind zwar viele Unsauberkeiten enthalten … Doch ich bin natürlich imstande zu begreifen, daß es ein philosophischer Roman ist, der geschrieben wurde um einer Idee willen …« Kolja war bereits vollständig verwirrt. »Ich bin Sozialist, Karamasow! Ich bin ein unverbesserlicher Sozialist«, fügte er plötzlich ohne verständlichen Grund übergangslos hinzu.
»Sozialist?« erwiderte lachend Aljoscha. »Wann haben Sie denn das geschafft? Sie sind doch erst dreizehn, glaube ich?«
Kolja wand sich innerlich geradezu.
»Erstens nicht dreizehn, sondern vierzehn, in zwei Wochen vierzehn«, erwiderte er mit feuerrotem Kopf. »Und zweitens verstehe ich absolut nicht, was mein Alter damit zu tun hat. Es handelt sich darum, welche Ansichten ich habe — und nicht, wie alt ich bin, nicht wahr?«
»Wenn Sie älter sind, werden Sie selbst einsehen, welche Bedeutung das Alter für die Ansichten hat. Mir schien sogar, Sie gäben die Worte anderer wieder«, antwortete Aljoscha bescheiden und ruhig; doch Kolja unterbrach ihn hitzig.
»Ich bitte Sie, Sie verlangen Gehorsam und Mystizismus! Sie müssen doch selbst zugeben, daß zum Beispiel das Christentum den Reichen und Vornehmen nur dazu gedient hat, die niedere Klasse in Sklaverei zu halten, nicht wahr?«
»Ach, ich weiß, wo Sie das gelesen haben! Oder jemand hat ihnen diese Lehren vorgetragen!« rief Aljoscha.
»Ich bitte Sie, warum soll ich das unbedingt gelesen haben? Auch hat mir niemand diese Lehren vorgetragen. Ich kann doch auch selbst … Und meinetwegen — ich bin nicht gegen Christus. Er war eine durchaus humane Persönlichkeit, und wenn er zu unserer Zeit lebte, würde er sich geradewegs den Revolutionären anschließen und vielleicht eine bedeutende Rolle spielen … Das ist sogar sicher.«
»Na, wo haben Sie denn das aufgeschnappt? Mit welchem Dummkopf haben Sie sich denn abgegeben?« rief Aljoscha.
»Ich bitte Sie, die Wahrheit kann man nicht verbergen. Ich rede allerdings aus bestimmten Gründen häufig mit Herrn Rakitin, aber, … Das soll auch schon Belinski gesagt haben.«
»Belinski, ich erinnere mich nicht. Das hat er nirgends geschrieben.«
»Wenn er es nicht geschrieben hat, war es vielleicht ein mündlicher Ausspruch von ihm. Ich habe es von jemandem gehört … Ach, weiß der Teufel …«
»Belinski haben Sie jedenfalls gelesen?«
»Sehen Sie, nein … Ich habe ihn nicht ganz gelesen … Aber die Stelle über Tatjana, warum sie nicht mit Onegin in intimen Verkehr trat, die habe ich gelesen.«
»Sie sagen: ‚Warum sie nicht mit Onegin in intimen Verkehr trat!‘ Verstehen Sie das etwa schon?«
»Ich bitte Sie! Sie scheinen mich für den kleinen Smurow zu halten!« lächelte Kolja gereizt. »Glauben Sie übrigens bitte nicht, daß ich ein allzu schlimmer Revolutionär wäre. Ich bin sehr oft anderer Meinung als Herr Rakitin. Wenn ich das über Tatjana sage, so bin ich durchaus nicht für die Emanzipation der Frau. Ich gebe zu, daß die Frau ein untergeordnetes Wesen ist und gehorchen muß. Les femmes tricotent, wie Napoleon sagte … Zumindest in diesem Punkt teile ich vollkommen die Anschauung dieses pseudogroßen Mannes. Ich glaube zum Beispiel auch, daß es eine Gemeinheit ist, aus dem Vaterland nach Amerika zu gehen, oder schlimmer als eine Gemeinheit, eine Dummheit. Warum nach Amerika gehen, wo man auch bei uns der Menschheit viel Nutzen bringen kann? Besonders jetzt. Es bietet sich einem doch eine Masse fruchtbringender Tätigkeit an. In diesem Sinne habe ich auch geantwortet.«
»Geantwortet? Wem? Hat Sie schon jemand aufgefordert, nach Amerika zu gehen?«
»Ich muß gestehen, daß man mich dazu veranlassen wollte, doch ich habe abgelehnt. Dies natürlich nur unter uns, Karamasow, hören Sie! Davon zu niemandem ein Wort! Das sage ich nur ihnen. Ich habe kein Verlangen, in die Klauen der Dritten Abteilung zu fallen und Lektionen an der Kettenbrücke zu nehmen.
Das Bauwerk an der Kettenbrücke vergißt,
wer drinnen war, nicht leicht!
Erinnern Sie sich an die Stelle? Großartig gesagt! Worüber lachen Sie? Sie denken doch wohl nicht, daß ich Ihnen das alles vorgeschwindelt habe?« ‚Wie, wenn er erfährt, daß im Bücherschrank meines Vaters nur diese eine Nummer des »Kolokol« vorhanden ist und ich weiter nichts davon gelesen habe?‘ ging es Kolja flüchtig durch den Kopf; und er zuckte bei diesem Gedanken zusammen.
»O nein, ich lache nicht und glaube durchaus nicht, daß Sie mit etwas vorgeschwindelt haben. Und zwar deshalb nicht, weil das alles leider tatsächlich wahr ist! Aber sagen Sie mal, Puschkin haben Sie doch gelesen, den Onegin? Sie sprachen ja soeben von Tatjana?«
»Nein, ich habe ihn noch nicht gelesen, ich will ihn lesen. Ich bin frei von vorgefaßten Meinungen, Karamasow. Ich will die eine wie die andere Partei hören. Warum haben Sie danach gefragt?«
»Ich fragte nur so.«
»Sagen Sie, Karamasow, Sie verachten mich wohl sehr?« sagte Kolja unvermittelt und richtete sich vor Aljoscha auf, als wollte er sich in Kampfpositur stellen. »Tun Sie mir den Gefallen und antworten Sie ohne Umschweife?«
»Ich soll Sie verachten?« fragte Aljoscha verwundert. »Warum sollte ich das tun? Es tut mir nur leid, daß eine prächtige Natur wie Sie schon von diesem groben Unsinn verdorben ist, ehe sie richtig angefangen hat zu leben.«
»Wegen meiner Natur machen Sie sich bitte keine Sorgen!« unterbrach ihn Kolja nicht ohne Selbstgefälligkeit. »Und daß ich mißtrauisch bin, das ist nun einmal so. Das ist eine Dummheit von mir, eine Grobheit. Sie lächelten eben, und da schien es mit, als ob Sie …«
»Ach, ich lächelte über etwas ganz anderes. Ich will ihnen sagen, worüber. Ich las kürzlich einen Ausspruch, den ein in Rußland lebender Deutscher über unsere heutige Schuljugend getan hat. ‚Zeigen Sie‘, schreibt er, ‚einem russischen Schüler eine Karte des Sternenhimmels, von der er bisher nicht die geringste Kenntnis gehabt hat, und er wird ihnen morgen diese Karte korrigiert zurückgeben.‘ Keine Kenntnisse und ein grenzenloses Selbstbewußtsein — das ist es, was dieser Deutsche über den russischen Schüler aussagen wollte.
»Aber das ist ja vollkommen richtig!« rief Kolja lachend. »Bravo, Deutscher! Nur hat der Deutsche die gute Seite übersehen, meinen Sie nicht auch? Selbstbewußtsein, das mag sein, das kommt von dem jugendlichen Alter, das bessert sich, wenn eine Besserung überhaupt erforderlich ist. Aber dafür haben wir die Unabhängigkeit des Denkens gleich von Kindheit an, dafür haben wir die Kühnheit der Ideen und der Anschauungen, und nicht den deutschen Geist sklavischer Kriecherei vor Autoritäten … Trotzdem hat der Deutsche das gut gesagt! Bravo, Deutscher! Allerdings muß man die Deutschen trotzdem erwürgen. Mögen sie auch in der Wissenschaft stark sein, erwürgen muß man sie trotzdem …«
»Wofür muß man sie denn erwürgen?« fragte Aljoscha lächelnd.
»Na, ich habe vielleicht Unsinn geschwatzt, ich gebe es zu. Ich bin manchmal ein schrecklicher Kindskopf, und wenn ich mich über etwas freue, kann ich mich nicht beherrschen und fange an, Unsinn zu schwatzen … Hören Sie mal, wir schwatzen hier beide dummes Zeug, aber dieser Doktor hält sich schon ziemlich lange auf. Womöglich untersucht er noch das ‚Mamachen‘ und die gelähmte Ninotschka. Wissen Sie, diese Ninotschka hat mir gefallen. Als ich hereinkam, flüsterte sie mir zu: ‚Warum sind Sie nicht früher gekommen?‘ Und so vorwurfsvoll! Ich glaube, sie hat ein sehr gutes Herz und verdient das größte Mitleid.«
»Ja, ja! Und wenn Sie nun öfter kommen, werden Sie sehen, was für ein herrliches Wesen sie ist! Es wird für Sie sehr nützlich sein, solche Wesen kennenzulernen, damit Sie auch vieles andere schätzenlernen, was Sie aus dem Umgang mit ihnen erfahren«, sagte Aljoscha warm. »Das wird am meisten zu ihrer Wandlung beitragen.«
»Oh, wie sehr ich es bedauere und mit mir schimpfe, daß ich nicht früher gekommen bin!« rief Kolja aufrichtig betrübt.
»Ja, das ist sehr schade. Sie haben selbst gesehen, wie sehr sich der arme Kleine über ihr Kommen freute. Wie hat er sich gequält, als er auf Sie wartete!«
»Sprechen Sie nicht weiter! Sie zerreißen mir das Herz. Aber es geschieht mir ganz recht! Ich blieb fern aus egoistischem Ehrgeiz und gemeiner Herrschsucht, von der ich mich einfach nicht frei machen kann, obgleich ich mich mein Leben lang bemühe. Ich sehe jetzt ein, daß ich in vieler Hinsicht ein Schuft bin, Karamasow!«
»Nein, Sie sind eine prächtige Natur, allerdings verdorben, und ich begreife durchaus, warum Sie einen solchen Einfluß auf diesen empfindsamen Jungen gewinnen konnten!« antwortete Aljoscha eifrig.
»Und das sagen Sie mir, Sie!« rief Kolja. »Stellen Sie sich vor, ich habe gedacht, gerade jetzt mehrere Male gedacht, Sie verachten mich! Wenn Sie wüßten, welchen großen Wert ich auf ihr Urteil lege!«
»Sind Sie wirklich so mißtrauisch? In ihrem Alter? Denken Sie: Als ich Sie dort im Zimmer ansah, habe ich gedacht, Sie müßten wohl sehr mißtrauisch sein.«
»Sie haben das schon gedacht? Was haben Sie für gute Augen, sehen Sie mal! Ich möchte wetten, daß es an der Stelle war, wo ich von der Gans erzählte. An dieser Stelle schien es mir, als ob Sie mich tief verachteten, weil ich mich als forschen Kerl hinzustellen suchte! Ich hatte sogar plötzlich einen Haß auf Sie und begann Unsinn zu reden. Später, als wir schon hier draußen waren, an der Stelle, wo ich sagte: ‚Wenn Gott nicht existierte, müßte man ihn erfinden‘, da schien es mir, als sei ich zu sehr bemüht, meine Bildung herauszukehren, zumal ich diese Phrase in einem Buch gelesen habe! Aber ich versichere ihnen, ich versuchte nicht aus Eitelkeit meine Bildung herauszukehren, sondern nur so, ich weiß nicht weshalb, vor Freude, weiß Gott, sozusagen vor Freude … Obgleich das auch wieder ein beschämender Charakterzug ist, wenn sich jemand allen Leuten vor Freude an den Hals wirft. Ich weiß das. Dafür bin ich nun aber überzeugt, daß Sie mich nicht verachten und ich mir das alles nur eingebildet habe … Oh, Karamasow, ich bin sehr unglücklich! Ich stelle mir manchmal Gott weiß was vor: daß alle Leute über mich lachen, daß die ganze Welt über mich lacht, und dann möchte ich am liebsten die ganze Weltordnung vernichten!«
»Und dann quälen Sie die Menschen ihrer Umgebung«, bemerkte Aljoscha lächelnd.
»Und dann quäle ich die Menschen meiner Umgebung, besonders meine Mutter … Sagen Sie mal, Karamasow, bin ich jetzt sehr lächerlich?«
»Denken Sie doch nicht so etwas!« rief Aljoscha. »Und was hat es denn auf sich, wenn man lächerlich ist? Als ob es so selten vorkäme, daß ein Mensch lächerlich ist oder lächerlich scheint! Heutzutage haben fast alle befähigten Menschen eine große Furcht, lächerlich zu erscheinen, und werden dadurch unglücklich. Ich wundere mich nur, daß Sie so früh dahin gekommen sind, so zu fühlen; allerdings bemerke ich das schon länger an jungen Leuten, nicht an ihnen allein. Heutzutage leiden sogar viele, die fast noch Kinder sind, unter dieser Furcht. Das ist beinahe eine Manie … In diesem Ehrgeiz hat sich der Teufel verkörpert und in die ganze Generation eingeschlichen, jawohl der Teufel!« fügte Aljoscha hinzu, ohne das geringste Lächeln, das Kolja eigentlich erwartet hatte. »Sie sind eben wie alle«, schloß Aljoscha. »Das heißt wie sehr viele. Man muß aber nicht so sein wie alle: darum geht es!«
»Obwohl alle so sind?«
»Ja, obwohl alle so sind. Seien Sie doch der einzige, der nicht so ist! Sie sind doch in der Tat anders als alle: Sie haben sich nicht geschämt zu bekennen, daß Sie schlecht und sogar lächerlich sind. Wer gesteht denn heutzutage so etwas ein? Niemand, die Menschen fühlen nicht einmal mehr das Bedürfnis nach Selbstkritik. Seien Sie anders als alle! Und wenn Sie der einzige sind, der anders ist — seien Sie anders!«
»Großartig! Ich habe mich in ihnen nicht getäuscht! Sie sind imstande, einen zu trösten. Oh, wie es mich zu ihnen hingezogen hat, Karamasow! Wie lange habe ich mir schon eine Begegnung mit ihnen gewünscht! Hatten Sie auch schon an mich gedacht? Vorhin sagten Sie, Sie hätten auch schon an mich gedacht.«
»Ja, ich hatte von ihnen gehört und habe ebenfalls an Sie gedacht … Wenn es auch zum Teil Ehrgeiz ist, was Sie jetzt zu dieser Frage veranlaßt, das macht nichts.«
»Wissen Sie, Karamasow, unsere Aussprache hat Ähnlichkeit mit einer Liebeserklärung«, sagte Kolja verschämt. »Ist das auch nicht lächerlich, nein?«
»Das ist ganz und gar nicht lächerlich. Und selbst wenn es lächerlich wäre, würde das nichts schaden, weil es gut ist und schön«, erwiderte Aljoscha heiter.
»Wissen Sie, Karamasow, geben Sie doch zu, daß Sie sich jetzt auch ein bißchen schämen … Ich sehe ihnen das an den Augen an«, sagte Kolja mit einem schlauen, aber beinahe glückseligen Lächeln.
»Weswegen sollte ich mich denn schämen?«
»Warum sind Sie denn rot geworden?«
»Daran sind Sie schuld, daß ich rot geworden bin!« erwiderte Aljoscha lachend und errötete wirklich über das ganze Gesicht. »Nun ja, ein bißchen schäme ich mich, Gott weiß weswegen, ich weiß es nicht …«, murmelte er, auch ein wenig verlegen.
»Oh, wie ich Sie in diesem Moment mag und verehre — eben dafür, daß Sie sich auch ein bißchen schämen! Denn Sie sind von derselben Art wie ich!« rief Kolja in heller Begeisterung.
Seine Backen glühten, und seine Augen leuchteten.
»Hören Sie, Kolja, Sie werden allerdings im Leben ein sehr unglücklicher Mensch sein«, sagte Aljoscha auf einmal ohne ersichtlichen Zusammenhang.
»Das weiß ich, das weiß ich. Wie Sie das alles im voraus wissen!« stimmte ihm Kolja sogleich zu.
»Aber im ganzen werden Sie das Leben doch als einen Segen empfinden.«
»Gewiß! Hurra! Sie sind ein Prophet! Oh, wir werden uns näherkommen, Karamasow. Wissen Sie, am meisten begeistert mich, daß Sie mit mir wie mit ihresgleichen verkehren. Und doch sind wir einander nicht gleich, nein, wir sind einander nicht gleich, Sie stehen über mir! Aber wir werden uns näherkommen. Wissen Sie, ich habe mir den ganzen letzten Monat gesagt: Entweder werden wir gleich Freunde fürs Leben — oder gleich von der ersten Begegnung an Feinde bis zum Grab!«
»Und als Sie sich das sagten, da mochten Sie mich natürlich schon!« sagte Aljoscha und lachte fröhlich.
»Ja, ich mochte Sie, ich mochte Sie sehr und malte mir unsere Freundschaft aus! Wie können Sie bloß alles vorher wissen? … Ah, da ist ja der Doktor! Herrgott, was wird er sagen? Sehen Sie doch, was er für ein Gesicht macht!«