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3. Schüler

Doch Kolja hörte schon nicht mehr. Endlich konnte er gehen. Als er aus dem Tor trat, blickte er sich um, schüttelte die Schultern und sagte: »Kalt!« Dann ging er die Straße hinunter und danach rechts durch eine Seitengasse auf den Marktplatz zu. Am Torweg des letzten Hauses blieb er vor dem Platz stehen, zog eine kleine Pfeife aus der Tasche und pfiff darauf aus Leibeskräften, als gäbe er ein verabredetes Signal. Er brauchte nicht länger als eine Minute zu warten; dann kam plötzlich ein rotbackiger Junge herausgerannt. Er mochte etwa elf Jahre alt sein und trug ebenfalls einen warmen, sauberen und sogar eleganten kleinen Überzieher. Es war der kleine Smurow, der die Vorbereitungsklasse besuchte (während Kolja Krassotkin schon zwei Klassen höher saß), der Sohn eines wohlhabenden Beamten. Seine Eltern hatten ihm offenbar den Umgang mit Krassotkin verboten, da der allgemein als verwegener Unfugtreiber bekannt war; Smurow hatte daher das Haus offenbar heimlich verlassen. Dieser Smurow war, vielleicht erinnert sich der Leser, einer von den Jungen, die vor zwei Monaten mit Steinen nach Iljuscha geworfen hatten; er war es gewesen, der Aljoscha Karamasow damals etwas über Iljuscha erzählt hatte.

»Ich warte schon eine ganze Stunde auf dich, Krassotkin«, sagte Smurow streng, dann gingen sie zum Marktplatz.

»Ja, ich habe mich verspätet«, antwortete Krassotkin. »Aber das hat seine Gründe. Kriegst du nicht Prügel, wenn du mit mir gehst?«

»Was redest du da? Als ob ich überhaupt Prügel bekomme! Du hast Pereswon bei dir?«

»Ja.«

»Willst du ihn auch mitnehmen?«

»Ja.«

»Ach, wenn es doch Shutschka wäre!«

»Das ist unmöglich. Shutschka existiert nicht mehr, Shutschka ist verschwunden. Wo er geblieben ist, das ist ein dunkles Rätsel.«

»Könnten wir es nicht so machen«, sagte Smurow und blieb plötzlich stehen. »Iljuscha sagt ja, Shutschka ist auch so struppig gewesen und so dunkelgrau wie Pereswon. Könnten wir da nicht sagen, daß es jener Shutschka ist? Vielleicht wird er es glauben.«

»Schüler, verabscheue die Lüge! Numero eins. Sogar zu einem guten Zweck; Numero zwei. Aber was die Hauptsache ist: ich hoffe, du hast dort nichts von meinem Besuch erwähnt?«

»Gott behüte, ich weiß doch, worum es sich handelt. Mit Pereswon wirst du ihn aber nicht trösten«, sagte Smurow seufzend. »Weißt du was? Sein Vater, der Bastwisch, hat gesagt, er will ihm heute einen jungen Hund bringen, einen echten Bullenbeißer mit schwarzer Nase. Er meint, daß er Iljuscha damit trösten wird, aber das wird ihm wohl kaum gelingen.«

»Wie geht es denn ihm selbst, ich meine Iljuscha?«

»Ach, schlecht! Ich glaube, er hat die Schwindsucht. Er ist bei vollem Bewußtsein, aber wie er atmet, wie er atmet! Neulich bat er, sie möchten ihn ein bißchen im Zimmer herumführen. Sie zogen ihm seine Stiefel an, und er versuchte zu gehen, aber er fiel hin. ‚Ach, Papa‘, sagte er, ‚ich habe dir ja gesagt, daß die Stiefel, die ich früher hatte, nichts taugen! In denen war es auch früher unbequem zu gehen.‘ Er dachte, die Stiefel seien daran schuld, daß er umgefallen war. Dabei ist es einfach aus Schwäche geschehen. Er wird keine Woche mehr leben. Doktor Herzenstube besucht ihn. Sie sind jetzt wieder reich, sie haben viel Geld.«

»Schwindler sind sie.«

»Wen meinst du?«

»Die Ärzte und das ganze medizinische Gesindel. Ich bin gegen die Medizin. Sie ist eine nutzlose Einrichtung. Ich werde das übrigens alles noch näher untersuchen. Was ist denn jetzt für ein gefühlvolles Treiben bei euch? Ich glaube, eure ganze Klasse geht da immer hin?«

»Die ganze Klasse nicht, sondern etwa zehn von uns gehen hin. Immer, jeden Tag. Weiter nichts.«

»Ich wundere mich nur über die Rolle, die Alexej Karamasow dabei spielt. Morgen oder übermorgen findet die Gerichtsverhandlung gegen seinen Bruder wegen dieses großen Verbrechens statt, und er hat noch Zeit zu rührenden Szenen mit Jungen?«

»Rührende Szenen gibt es da überhaupt nicht. Du gehst ja jetzt selber hin, um dich mit Iljuscha zu versöhnen.«

»Um mich mit ihm zu versöhnen? Lächerlich! Ich erlaube übrigens niemandem, meine Handlungen zu kritisieren.«

»Aber wie sich Iljuscha freuen wird! Er hat keine Ahnung, daß du kommst. Warum hast du denn so lange nicht kommen wollen? Warum nicht?« rief Smurow.

»Lieber Junge, das ist meine Sache und nicht deine. Ich gehe aus eigenem Antrieb hin, weil das so mein Wille ist. Aber euch hat alle Alexej Karamasow hingeschleppt, das ist der Unterschied. Und woher weißt du das? Vielleicht gehe ich überhaupt nicht hin, um mich mit ihm zu versöhnen? Ein dummer Ausdruck!«

»Karamasow hat uns überhaupt nicht hingeschleppt, ganz und gar nicht. Die von uns gingen einfach von selbst hin, allerdings zuerst mit Karamasow. Erst ging einer hin, dann ein anderer. Der Vater freute sich schrecklich darüber. Weißt du, er wird glattweg den Verstand verlieren, wenn Iljuscha stirbt. Aber wie er sich freut, daß wir uns mit Iljuscha versöhnt haben! Iljuscha hat nach dir gefragt, aber dann kein Wort weiter gesagt. Er fragte nur und schwieg dann. Aber sein Vater wird den Verstand verlieren oder sich aufhängen. Er hat sich ja auch früher schon wie ein Geistesgestörter benommen. Weißt du, er ist ein anständiger Mensch, und das damals war ein Fehler. An allem ist dieser Vatermörder schuld, der ihn damals geschlagen hat.«

»Trotzdem ist Karamasow für mich ein Rätsel. Ich hätte schon längst mit ihm bekannt sein können, aber ich bin in manchen Fällen gern stolz. Außerdem habe ich mir über ihn eine gewisse Meinung gebildet, die ich erst noch überprüfen und klären muß.«

Kolja schwieg würdevoll, Smurow ebenfalls. Smurow empfand Kolja Krassotkin gegenüber die größte Ehrfurcht und wagte nicht im entferntesten sich mit ihm zu vergleichen. Jetzt aber war sein Interesse lebhaft geworden, weil Kolja erklärt hatte, er gehe aus eigenem Antrieb hin, es steckte gewissermaßen ein Rätsel darin, daß Kolja gerade heute auf den Gedanken gekommen war hinzugeben. Sie gingen über den Marktplatz, wo diesmal viele Fuhren von auswärts standen und viel Geflügel angeboten wurde. Die Marktweiber handelten unter ihren Zeltdächern mit Kringeln, Zwirn und so weiter. Solche Sonntagsmärkte wurden bei uns naiverweise Jahrmärkte genannt, und solche »Jahrmärkte« gab es viele im Jahr. Pereswon lief in der vergnügtesten Stimmung mit, bog jedoch unaufhörlich nach rechts und links ab, um irgendwo an etwas zu riechen. Begegnete er anderen Hunden, beschnüffelte er sich mit ihnen nach allen Regeln der Hunde-Etikette.

»Ich beobachte gern das wirkliche Leben, Smurow«, begann Kolja plötzlich. »Hast du bemerkt, wie die Hunde sich beriechen, wenn sie einander begegnen? Dem liegt ein allgemeines Naturgesetz zugrunde.«

»Ja, ein lächerliches.«

»Lächerlich ist es eigentlich nicht, da hast du unrecht. In der Natur gibt es nichts Lächerliches, wenn es dem Menschen mit seinen Vorurteilen auch so scheinen mag. Könnten die Hunde philosophieren und kritisieren, dann würden sie in den gegenseitigen sozialen Beziehungen ihrer Gebieter, der Menschen, sicher ebensoviel finden, was ihnen lächerlich erscheint, wenn nicht weit mehr. Wenn nicht weit mehr, ich wiederhole das, weil ich fest überzeugt bin, daß die Dummheiten bei uns weit zahlreicher sind. Das ist ein Gedanke von Rakitin, ein beachtenswerter Gedanke. Ich bin Sozialist, Smurow.«

»Was ist das, Sozialist;« fragte Smurow.

»Das ist, wenn alle gleich sind und alle dieselbe Meinung haben, wenn es keine Ehre gibt und die Religion und alle Gesetze so sind, wie es jedem beliebt — na und anderes mehr. Du bist noch nicht alt genug, für dich ist das noch zu früh … Oh, es ist aber kalt!«

»Ja, zwölf Grad. Mein Vater hat vorhin nach dem Thermometer gesehen.«

»Hast du schon bemerkt, Smurow, daß es einem mitten im Winter, bei fünfzehn oder gar achtzehn Grad, nicht so kalt vorkommt wie zum Beispiel jetzt zu Anfang des Winters, wenn plötzlich die Kälte einsetzt wie jetzt mit zwölf Grad und wenn noch wenig Schnee gefallen ist? Das kommt daher, daß sich die Menschen noch nicht daran gewöhnt haben. Bei den Menschen ist alles Gewohnheitssache, in jeder Hinsicht, sogar in ihren staatlichen und politischen Beziehungen. Die Gewohnheit ist die wichtigste Triebkraft … Was ist denn das für ein komischer Bauer?«

Kolja zeigte auf einen hochgewachsenen Bauern mit gutmütigem Gesicht, der in einem Schafpelz neben seiner Fuhre stand und seine in Fausthandschuhen steckenden Hände aneinanderschlug, um sich zu erwärmen. Sein langer blonder Bart war von der Kälte ganz bereift.

»Dem Bauern ist der Bart gefroren!« sagte Kolja tiefsinnig mit lauter Stimme, als sie an ihm vorbeigingen.

»Das ist heute vielen passiert«, antwortete der Bauer ruhig und bedächtig.

»Zieh ihn bloß nicht auf!« bemerkte Smurow.

»Das tut nichts, er wird es nicht übelnehmen, er ist ein guter Mensch. Lebe wohl, Matwej!«

»Lebe wohl!«

»Heißt du denn Matwej?«

»Ja. Hast du das nicht gewußt?«

»Nein, ich hab es aufs Geratewohl gesagt.«

»Na, sieh mal an! Du bist wohl Schüler?«

»Ja.«

»Kriegst du auch Prügel?«

»Nicht allzuviel, nur manchmal.«

»Tut das weh?«

»Ohne das geht es nicht!«

»Ja, ja, so ist es im Leben!« seufzte der Bauer aus tiefstem Herzen.

»Lebe wohl, Matwej!«

»Lebe wohl! Du bist ein liebes Kerlchen, jawohl.« Die Jungen gingen weiter.

»Der war freundlich«, sagte Kolja zu Smurow. »Ich rede gern mit einfachen Leuten, und es macht mir immer Freude, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«

»Warum hast du ihm vorgelogen, daß bei uns geschlagen wird?« fragte Smurow.

»Ich mußte ihm doch ein Vergnügen machen.«

»Inwiefern denn?«

»Siehst du, Smurow, ich kann es nicht leiden, wenn mich jemand nicht gleich versteht und Fragen stellt. Manches kann man einfach nicht klarmachen. Nach Meinung des Bauern bekommt ein Schüler Schläge und muß Schläge bekommen. Was wäre das für ein Schüler, der keine Schläge bekommt, denkt er. Und wenn ich ihm nun auf einmal sage, daß bei uns nicht geschlagen wird, würde ihn das betrüben. Aber du hast dafür kein Verständnis. Man muß es verstehen, mit den einfachen Leuten zu reden.«

»Fang bloß keinen Streit an, sonst kommt am Ende wieder so eine Geschichte heraus wie damals mit der Gans.«

»Hast du Angst?«

»Lach mich nicht aus, Kolja, aber ich habe wirklich Angst. Mein Vater wäre furchtbar böse. Er hat mir streng verboten, mit dir zu gehen.«

»Keine Sorge, diesmal wird nichts passieren … Guten Tag, Natascha«, rief er einer Händlerin zu, die unter ihrer Markise saß.

»Wie kannst du mich denn Natascha nennen? Ich heiße Marja! schrie die Händlerin, eine ziemlich junge Frau, ärgerlich zurück.

»Das ist schön, daß du Marja heißt. Lebe wohl!«

»Ach, du Taugenichts! So ein Dreikäsehoch, und schon so unverschämt!«

»Ich habe keine Zeit für dich. Nächsten Sonntag kannst du es mir erzählen«, sagte Kolja und winkte ab, als ob sie mit ihm angebunden hätte und nicht er mit ihr.

»Was soll ich dir denn Sonntag erzählen? Du hast selber angefangen, nicht ich, du Rotznase!« kreischte Marja. »Durchprügeln müßte man dich, daß du es weißt! Ein stadtbekannter Frechdachs bist du, daß du es weißt!«

Die anderen Händlerinnen, die mit ihren Waren neben Marja saßen, fingen an zu lachen. Doch plötzlich stürzte aus dem Bogengang, an dem die Läden lagen, ein aufgeregter Mensch mit einem langschößigen, blauen Kaftan und Schirmmütze, jung, mit blondem, lockigem Haar und einem langen, blassen, pockennarbigen Gesicht, wohl eine Art Ladendiener, aber kein einheimischer, sondern einer von auswärts. Er schien ebenso dumm wie aufgeregt zu sein und drohte Kolja sofort mit der Faust.

»Ich kenne dich!« schrie er wütend. »Ich kenne dich!«

Kolja musterte ihn. Er konnte sich nicht erinnern, wann er mit diesem Menschen Streit gehabt haben sollte. Er hatte freilich unzählige Streitereien auf der Straße gehabt; die alle im Gedächtnis zu behalten war unmöglich.

»Du kennst mich?« fragte er ihn ironisch.

»Ja, ich kenne dich! Ich kenne dich!« wiederholte der Ladendiener wie ein Verrückter.

»Na, dann kannst du dich freuen. Aber ich habe keine Zeit, lebe wohl!«

»Was treibst du für Unfug?« rief der Ladendiener. »Willst du wieder Unfug treiben? Ich kenne dich! Willst du wieder Unfug treiben?«

»Das geht dich gar nichts an, lieber Freund, ob ich Unfug treibe«, erwiderte Kolja, blieb stehen und musterte ihn wieder.

»Wieso soll mich das nichts angehen?«

»Ganz einfach, es geht dich nichts an.«

»Aber wen geht es denn an? Wen geht es an? Na, wen geht es an?«

»Das geht Trifon Nikititsch etwas an, aber nicht dich.«

»Was für einen Trifon Nikititsch?« fragte der Bursche und glotzte Kolja mit dummer Verwunderung und immer noch wütend an. Kolja maß ihn mit seinem würdevollen Blick.

»Bist du zur Himmelfahrt gegangen?« fragte er ihn auf einmal in strengem, nachdrücklichem Ton.

»Zu was für einer Himmelfahrt? Warum? Nein, dahin bin ich nicht gegangen«, erwiderte der Bursche etwas verdutzt.

»Kennst du Trifon Nikititsch Sabanejew?« fuhr Kolja noch nachdrücklicher und strenger fort.

»Was für einen Sabanejew? Nein, den kenne ich nicht.«

»Na, dann hol' dich der Teufel!« schnitt Kolja das Gespräch ab, drehte sich kurz um und ging davon, als wäre es unter seiner Würde, mit so einem Tölpel, der nicht einmal Sabanejew kannte, auch nur zu reden.

»Halt mal, he! Was für einen Sabanejew?« rief der Bursche, als ob er zu sich käme; er war wieder ganz aufgeregt. »Wen hat er eigentlich gemeint?« wandte er sich an die Händlerinnen und sah sie dumm an.

Die Weiber lachten.

»Ein pfiffiger Patron!« sagte eine.

»Von was für einem Sabanejew hat er denn bloß gesprochen?« wiederholte der Bursche; er war immer noch wütend und fuchtelte mit dem rechten Arm.

»Das ist sicher der Sabanejew, der bei Kusmitschews im Dienst stand, der muß wohl gemeint sein«, vermutete eine Frau.

Der Bursche sah sie verblüfft an.

»Bei Kus-mi-tschews?« mischte sich eine andere Frau ein. »Was soll da für ein Trifon gewesen sein? Der da im Dienst stand, hieß Kusma und nicht Trifon, und der Bengel redete von einem Trifon Nikititsch. Also ist der nicht gemeint.«

»Nun seht mal an, der hieß nicht Trifon und nicht Sabanejew; der hieß Tschishow«, fiel auf einmal eine dritte Frau ein, die bisher geschwiegen und mit ernster Miene zugehört hatte. »Der hieß Alexej Iwanowitsch, mit seinem vollen Namen Alexej Iwanowitsch Tschishow.«

»Das ist richtig, er hieß Tschishow«, bestätigte eine vierte energisch.

Der verdutzte Bursche blickte von einer zur anderen.

»Aber warum hat er denn gefragt, liebe Leute: ‚Kennst du Sabanejew?‘?« rief er beinahe schon verzweifelt. »Weiß der Teufel, was das für ein Sabanejew ist!«

»Du bist ein Dummkopf! Du hörst, daß es nicht Sabanejew ist, sondern Tschishow. Alexej Iwanowitsch Tschishow, nun weißt du es!« schrie ihm eine Händlerin belehrend zu.

»Was denn für ein Tschishow? Na, was für einer? Sprich, wenn du es weißt!«

»So ein langer, rotznasiger Bursche. Er hat im Sommer hier auf dem Markt gesessen.«

»Was geht mich euer Tschishow an, ihr lieben Leute?«

»Woher soll ich wissen, was dich Tschishow angeht?«

»Wer kann denn wissen, was er dich angeht!«, fiel eine andere ein. »Das mußt du selber wissen, was er dich angeht, wenn du hier so ein Geschrei machst. Er hat es doch zu dir gesagt und nicht zu uns, du dummer Mensch! Oder kennst du ihn wirklich nicht?«

»Wen?«

»Den Tschishow.«

»Der Teufel hole deinen Tschishow und dich dazu! Verprügeln werde ich ihn, nun weißt du es! Er hat sich über mich lustig gemacht!«

»Du willst Tschishow verprügeln? Oder er dich! Ein Dummkopf bist du, nun weißt du es!«

»Nicht Tschishow will ich verprügeln, du boshaftes Weib, sondern den Bengel, nun weißt du es! Gebt ihn nur her! Er hat sich über mich lustig gemacht!«

Die Frauen lachten. Kolja aber lief schon in weiter Entfernung mit der Miene des Siegers. Smurow ging neben ihm und sah sich mehrmals nach der schreienden Gruppe um. Auch er war sehr fröhlich, obwohl er noch immer fürchtete, mit Kolja in irgendeinen Skandal hineinzugeraten.

»Was ist denn das für ein Sabanejew, nach dem du ihn gefragt hast?« fragte er Kolja, dessen Antwort er im voraus ahnte.

»Woher soll ich wissen, was das für einer ist? Jetzt werden sie sich bis zum Abend anschreien. Ich bringe die Dummköpfe in allen Schichten der Gesellschaft in Bewegung. Da steht noch so ein Tölpel, dieser Bauer da. Ach übrigens, man sagt: ‚Es gibt nichts Dümmeres als einen dummen Franzosen.‘ Aber auch die russische Physiognomie ist ein Spiegel der Seele. Na, steht es diesem Kerl nicht im Gesicht geschrieben, daß er ein Dummkopf ist?«

»Laß ihn in Ruhe, Kolja! Wir wollen weitergehen.«

»Auf keinen Fall werde ich ihn in Ruhe lassen, ich bin jetzt in Fahrt gekommen. Heda! Guten Tag, Bauer!«

Der kräftige Bauer, der langsam an ihnen vorbeiging und wohl schon etwas getrunken hatte, mit rundem, schlichtem Gesicht und graumeliertem Bart, hob den Kopf und blickte das Bürschchen an.

»Na, guten Tag, wenn du nicht bloß Spaß, machst«, antwortete er langsam.

»Und wenn ich nun bloß Spaß mache?« erwiderte Kolja lachend.

»Na, wenn du bloß Spaß machst, auch gut, in Gottes Namen. Da ist nichts dabei, das darf man. Ein Späßchen darf man schon mal machen.«

»Entschuldige, lieber Freund, ich habe wirklich bloß Spaß gemacht.«

»Nun, Gott wird es dir verzeihen.«

»Und du selber, verzeihst du mir?«

»Von Herzen! Geh nur weiter!«

»Sieh mal an, du bist ja am Ende ein ganz verständiger Bauer.«

»Verständiger als du«, lautete die überraschende Antwort, die wie alle bisherigen mit ruhigem Ernst gegeben wurde.

»Das doch wohl kaum«, versetzte Kolja etwas betroffen.

»Es ist bestimmt so, wie ich sage.«

»Na, am Ende ist es wirklich so.«

»Gewiß, mein Lieber!«

»Lebe wohl, Bauer!«

»Lebe wohl!«

»Die Bauern sind doch recht verschieden«, bemerkte Kolja nach einigem Schweigen. »Woher sollte ich aber auch wissen, daß ich da auf einen klugen Menschen stoße? Ich bin immer gern bereit, Klugheit beim einfachen Volk anzuerkennen.«

In der Ferne schlug die Domuhr halb zwölf. Die Jungen beeilten sich und legten den noch ziemlich langen Rest des Weges zur Wohnung des Stabskapitäns Snegirjow schnell und fast schweigend zurück. Zwanzig Schritte vor dem Haus blieb Kolja stehen und forderte Smurow auf, vorauszugehen und Karamasow herauszuschicken.

»Wir müssen uns erst einmal beriechen«, bemerkte er.

»Wozu willst du ihn erst herausrufen lassen?« wandte Smurow ein. »Komm doch einfach mit hinein, sie werden sich sehr freuen. Warum willst du seine Bekanntschaft hier in der Kälte machen?«

»Ich weiß, warum ich ihn hier in der Kälte sprechen will«, schnitt Kolja despotisch jede Widerrede ab (diesem »Kleinen« gegenüber tat er das außerordentlich gern), und Smurow ging hinein, den Auftrag zu erfüllen.