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7. Mitjas großes Geheimnis wird nicht ernst genommen

»Meine Herren!« begann er, noch immer äußerst erregt. »Dieses Geld … Ich will ein vollständiges Geständnis ablegen … Dieses Geld gehörte mir!«

Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter machten lange Gesichter: sie hatten etwas ganz anderes erwartet.

»Wie kann es denn Ihnen gehört haben«, wandte Nikolai Parfjonowitsch ein, »wenn Sie noch um fünf Uhr desselben Tages nach Ihrem eigenen Geständnis …«

»Ach, zum Teufel mit diesem ‚fünf Uhr desselben Tages‘ und mit meinem eigenen Geständnis — darum handelt es sich jetzt nicht! Dieses Geld war mein Geld, das heißt, mein gestohlenes Geld … Das heißt nicht mein Geld, sondern gestohlen, von mir gestohlen, und es waren fünfzehnhundert Rubel, und ich trug sie bei mir, trug sie die ganze Zeit bei mir …«

»Wo hatten Sie sie denn hergenommen?«

»Von meinem Hals hatte ich sie genommen, meine Herren, von meinem Hals, von diesem meinen Hals … Hier waren sie, an meinem Hals, in einen Lappen eingenäht! Schon lange, schon einen Monat lang hatte ich sie zu meiner Schmach und Schande am Hals getragen!«

»Und von wem haben Sie sich dieses Geld … angeeignet?«

»Sie wollten sagen ‚gestohlen‘? Sprechen Sie dieses Wort jetzt nur getrost aus! Ja, ich bin der Ansicht, daß ich dieses Geld so gut wie gestohlen hatte; aber wenn Sie wollen, hatte ich es mir in Wirklichkeit nur ‚angeeignet‘. Meiner Ansicht nach hatte ich es in der Tat bereits gestohlen. Und gestern, gestern abend, habe ich es nun endgültig gestohlen.«

»Gestern abend? Aber Sie sagten doch soeben, es sei schon einen Monat her, daß Sie es … sich angeeignet hätten!«

»Ja, aber nicht von meinem Vater, nicht von meinem Vater, seien Sie unbesorgt! Nicht meinem Vater hatte ich es gestohlen, sondern ihr. Lassen Sie mich erzählen, und unterbrechen Sie mich nicht! Es fällt mir ja ohnehin schon schwer! Sehen Sie: Vor einem Monat ließ mich Katerina Iwanowna Werchowzewa, meine frühere Braut, zu sich rufen … Kennen Sie sie?«

»Gewiß, ich bitte Sie.«

»Ich weiß, daß Sie sie kennen. Sie ist die edelste Seele, die es gibt; doch sie haßt mich schon lange, oh, schon lange … Und verdientermaßen, verdientermaßen haßt sie mich!«

»Katerina Iwanowna?« fragte der Untersuchungsrichter erstaunt. Auch der Staatsanwalt machte große Augen.

»Oh, sprechen Sie ihren Namen nicht unnütz aus! Ich bin ein Schuft, daß ich sie hier hineinbringe. Ja, ich merkte, daß sie mich haßte … Schon längst, schon vom erstenmal an, gleich seit jener ersten Begegnung in meiner Wohnung. Aber genug davon, Sie sind es gar nicht wert, das zu wissen, das ist durchaus nicht nötig … Gesagt werden muß nur, daß sie mich vor einem Monat rufen ließ und mir dreitausend Rubel übergab, die ich an ihre Schwester und noch eine Verwandte in Moskau abschicken sollte — als ob sie das nicht selbst hätte besorgen können! Es war gerade in der verhängnisvollen Zeit meines Lebens, als ich … Nun kurz, als ich mich in eine andere verliebt hatte, in sie, die jetzt auf Ihre Anordnung da unten sitzt, Gruschenka … Ich nahm sie damals mit nach Mokroje und brachte hier in zwei Tagen die Hälfte dieser verfluchten dreitausend Rubel durch, das heißt fünfzehnhundert; die andere Hälfte behielt ich zurück. Und diese fünfzehnhundert, die ich zurückbehalten hatte, die trug ich eingenäht wie ein Amulett am Hals; gestern nun machte ich das Säckchen auf und verjubelte einen Teil des Geldes. Den Rest, achthundert Rubel, haben Sie jetzt in Händen, Nikolai Parfjonowitsch — das ist der Rest der fünfzehnhundert von gestern.«

»Erlauben Sie, wie denn, Sie haben doch vor einem Monat hier dreitausend Rubel durchgebracht und nicht fünfzehnhundert? Das wissen ja alle Leute.«

»Wer weiß es? Wer hat es gezählt? Wen habe ich es nachzählen lassen?«

»Aber ich bitte Sie, Sie haben doch selbst allen Leuten gesagt, Sie hätten damals genau dreitausend Rubel durchgebracht.«

»Das ist richtig, gesagt habe ich es, der ganzen Stadt habe ich es gesagt, und die ganze Stadt hat es gesagt, und alle Leute haben geglaubt, daß es dreitausend gewesen sind, auch hier in Mokroje haben es alle geglaubt. Aber trotzdem habe ich nicht dreitausend durchgebracht, sondern nur fünfzehnhundert; die anderen fünfzehnhundert habe ich in ein Säckchen eingenäht. Sehen Sie, so war das, meine Herren. Nun wissen Sie, wo ich gestern das Geld herhatte …«

»Das klingt geradezu phantastisch …«, bemerkte Nikolai Parfjonowitsch.

»Gestatten Sie eine Frage«, sagte schließlich der Staatsanwalt. »Haben Sie nicht wenigstens irgendwem von diesem Umstand vorher Mitteilung gemacht … Ich meine davon, daß Sie diese fünfzehnhundert Rubel vor einem Monat übrigbehalten hätten?«

»Nein, ich habe es niemandem gesagt.«

»Das ist sonderbar. Wirklich keinem einzigen Menschen?«

»Nein, keinem einzigen Menschen. Absolut niemandem.«

»Aber welchen Zweck sollte denn dieses Stillschweigen haben? Was veranlaßte Sie, daraus ein solches Geheimnis zu machen? Ich will mich deutlicher ausdrücken: Sie haben uns endlich Ihr Geheimnis enthüllt, das nach Ihrer Ansicht so schmählich ist, obgleich diese Tat, das heißt die zweifellos nur zeitweilige Aneignung der fremden dreitausend Rubel in Wirklichkeit, das heißt natürlich nur relativ gesprochen, wenigstens meiner Ansicht nach nur höchst leichtsinnig ist, aber nicht eigentlich schmählich, besonders wenn man Ihren Charakter in Betracht zieht … Nun, allerdings, sie ist höchst tadelnswert, das gebe ich zu, aber doch nur tadelnswert, nicht eigentlich schmählich … Ich möchte nämlich speziell auf folgendes hinweisen: Daß diese von Ihnen so verschwenderisch ausgegebenen dreitausend Rubel Fräulein Werchowzewas Eigentum waren, haben in diesem Monat auch ohne Ihr Geständnis schon viele Leute vermutet, ich selbst habe auch dieses Gerücht gehört … Michail Makarowitsch zum Beispiel hat es ebenfalls gehört. So daß es schließlich kaum noch ein Gerücht, sondern allgemeines Stadtgespräch war. Außerdem sind Anzeichen vorhanden, daß

auch Sie selbst, wenn ich nicht irre, dies jemandem gestanden haben, nämlich daß dieses Geld Fräulein Werchowzewa gehörte. Und daher wundere ich mich, daß Sie bis zu diesem jetzigen Augenblick aus diesen angeblich beiseite gelegten fünfzehnhundert Rubeln so ein außerordentliches Geheimnis gemacht und ihm sogar einen schrecklichen Nimbus verliehen haben … Es ist unwahrscheinlich, daß Ihnen das Eingestehen eines solchen Geheimnisses so viel Qual bereiten konnte — haben Sie doch eben erst ausgerufen, Sie wollten sich lieber zur Zwangsarbeit schicken lassen, als das zugeben!«

Der Staatsanwalt schwieg. Er war in Feuer geraten und verbarg nicht, daß er ärgerlich, beinahe wütend war; er sprudelte alles heraus, was sich in ihm angesammelt hatte, sogar ohne sich um den Stil zu kümmern, sondern unzusammenhängend und fast konfus.

»Die Schande bestand nicht in den fünfzehnhundert Rubeln, sondern darin, daß ich diese fünfzehnhundert von den dreitausend weggenommen hatte«, antwortete Mitja in festem Ton.

»Aber sagen Sie doch bloß«, entgegnete der Staatsanwalt und lächelte gereizt, »was ist daran eigentlich schmählich, daß Sie von den dreitausend Rubeln, die Sie sich in tadelnswerter oder, wenn Sie es selbst so wünschen, in schmählicher Weise angeeignet hatten, die Hälfte zwecks Verwendung nach eigenem Ermessen abgezweigt haben? Die Hauptsache ist doch, daß Sie sich die dreitausend angeeignet und nicht, wie Sie darüber verfügt haben. Apropos, warum verfügten Sie eigentlich so, das heißt, warum zweigten Sie die Hälfte ab? In welcher Absicht, zu welchem Zweck taten Sie das? Können Sie uns das erklären?«

»Oh, meine Herren, gerade in der Absicht liegt ja die Wurzel!« rief Mitja. »Ich zweigte die Hälfte aus Gemeinheit ab, das heißt aus Berechnung, denn Berechnung ist in diesem Fall eben Gemeinheit … Und einen ganzen Monat dauerte sie, diese Gemeinheit!«

»Das ist unverständlich.«

»Ich wundere mich über Sie. Aber vielleicht drücke ich mich wirklich unverständlich aus? Passen Sie auf. Ich eigne mir dreitausend Rubel an, die mir im Vertrauen auf meine Ehrenhaftigkeit übergeben worden sind, verjuble sie völlig und gehe am Morgen zu ihr und sage: ‚Katja, verzeih, ich habe deine dreitausend Rubel verjubelt!‘ Ist das schön? Nein, das ist nicht schön, das ist ehrlos und unwürdig, ich habe da gehandelt wie ein Mensch, der sich wie ein Tier nicht zu beherrschen weiß, nicht wahr? Aber trotzdem bin ich kein Dieb, nicht direkt ein Dieb, das werden Sie zugeben müssen! Ich habe das Geld verjubelt, aber nicht gestohlen! Jetzt der zweite, noch günstigere Fall. Hören Sie genau zu, sonst komme ich womöglich wieder aus dem Konzept, mir ist nämlich sehr schwindlig. Also der zweite Fall: Ich verjuble hier nur fünfzehnhundert Rubel von den dreitausend, das heißt die Hälfte. Am anderen Tag gehe ich zu ihr und bringe ihr die andere Hälfte. ‚Katja‘, sage ich, ‚nimm von mir Schurken und leichtsinnigem Patron diese Hälfte wieder zurück, denn die andere Hälfte habe ich durchgebracht. Ich fürchte, daß ich auch diese durchbringen werde; also nimm sie wieder, damit mir diese Sünde erspart bleibt!‘ Nun, was wäre ich in diesem Fall? Alles, was Sie wollen, ein unvernünftiges Tier, ein Schuft — doch kein Dieb, keineswegs ein Dieb. Denn wäre ich ein Dieb, hätte ich sicherlich die übriggebliebene Hälfte nicht zurückgebracht, sondern sie mir ebenfalls angeeignet. So aber sieht sie ein: Wenn ich so schnell die eine Hälfte zurückgebracht habe, werde ich auch den Rest, die verjubelte Summe, zurückbringen, werde mein Leben lang nach einer Möglichkeit suchen, arbeiten, sie schließlich finden und ihr das Geld zurückgeben. Unter diesen Umständen bin ich zwar ein Schuft, aber jedenfalls kein Dieb!«

»Ich will zugeben, daß da ein gewisser Unterschied vorhanden ist«, sagte der Staatsanwalt, kühl lächelnd. »Aber seltsam ist trotzdem, daß Sie diesen Unterschied für so verhängnisvoll halten.«

»Ja, ich halte ihn für verhängnisvoll. Ein Schuft kann jeder sein und ist vielleicht jeder; ein Dieb aber kann nicht jeder sein, sondern nur ein Erzschuft. Nun, ich verstehe mich nicht auf diese Feinheiten. Nur so viel kann ich sagen: Ein Dieb ist gemeiner als ein Schuft, das ist meine Überzeugung. Hören Sie, ich trage das Geld einen ganzen Monat mit mir herum; tagtäglich kann ich es zurückgeben und bin dann kein Dieb mehr. Aber ich kann mich nicht dazu entschließen, obgleich ich jeden Tag ansetze und mich selbst antreibe: ‚Entschließ dich, entschließ dich, du Schuft!‘ Und sehen Sie, so kann ich mich den ganzen Monat nicht dazu entschließen, das ist es. Nun, ist das schön, ist das Ihrer Ansicht nach schön?«

»Das ist allerdings nicht gerade schön, das sehe ich ein und streite nicht«, erwiderte der Staatsanwalt mit Zurückhaltung. »Aber wir wollen den Disput über diese feinen Unterschiede lieber beiseite lassen und wieder zur Sache kommen, wenn es Ihnen gefällig ist. Es handelt sich darum, daß Sie trotz unserer wiederholten Fragen noch nicht bereit waren, zu erklären, zu welchem Zweck Sie eine solche Teilung der dreitausend Rubel ursprünglich vornahmen, nämlich, die eine Hälfte durchbrachten und die andere versteckten. Zu welchem Zweck versteckten Sie sie eigentlich? Welche Absicht hatten Sie eigentlich mit diesen abgezweigten fünfzehnhundert Rubeln? Ich möchte auf dieser Frage bestehen, Dmitri Fjodorowitsch.«

»Ja wahrhaftig!« rief Mitja und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Verzeihen Sie, ich quäle Sie und erkläre die Hauptsache nicht; sonst hätten Sie sofort verstanden, daß eben in der Absicht, in dieser Absicht die Schmach besteht! Sehen Sie, dieser alte Mann, der Verstorbene, belästigte Agrafena Alexandrowna immer, und ich war eifersüchtig und dachte damals, sie schwanke zwischen mir und ihm, und da dachte ich jeden Tag: Wie nun, wenn sie plötzlich ihre Wahl trifft? Wie nun, wenn sie es plötzlich satt hat, mich zu quälen, und auf einmal zu mir sagt: ‚Dich liebe ich, nicht ihn! Bring mich fort bis ans Ende der Welt!‘ Und ich besitze nur zwei Zwanzigkopekenstücke — womit soll ich sie dann fortbringen, was soll ich dann machen? Dann bin ich verloren … Ich kannte ja damals ihren Charakter noch nicht und dachte, ihre Wünsche gingen aufs Geld und sie würde mir meine Armut nicht verzeihen. Also zählte ich heimtückisch die Hälfte von den dreitausend Rubeln ab und nähte sie ein, kaltblütig, mit berechneter Absicht, noch ehe ich betrunken war, und erst dann fuhr ich weg, um die andere Hälfte zu verjubeln! Nein, das war eine Gemeinheit! Haben Sie nun verstanden?«

Der Staatsanwalt lachte laut auf, der Untersuchungsrichter ebenfalls.

»Meiner Meinung nach war es sogar vernünftig und moralisch, daß Sie sich gemäßigt und nicht das ganze Geld durchgebracht haben«, kicherte Nikolai Parfjonowitsch. »Was ist denn eigentlich dabei?«

»Daß ich gestohlen habe, das ist dabei! O mein Gott, ich bin entsetzt über Ihre Verständnislosigkeit! Während ich diese fünfzehnhundert Rubel eingenäht auf der Brust trug, sagte ich mir immerzu: ‚Du bist ein Dieb, du bist ein Dieb!‘ Und deshalb war ich diesen Monat über auch so wütend, deshalb prügelte ich mich im Restaurant, deshalb schlug ich meinen Vater — weil ich mich als Dieb fühlte! Nicht einmal meinem Bruder Aljoscha gegenüber hatte ich den Mut, etwas von diesen fünfzehnhundert Rubeln anzudeuten, so sehr fühlte ich, daß ich ein Schuft und Gauner war! Sie müssen wissen, daß ich jeden Tag und jede Stunde, solange ich dieses Geld bei mir trug, zu mir sagte: ‚Nein, Dmitri Fjodorowitsch, du bist vielleicht noch kein Dieb! Warum nicht? Weil du morgen hingehen und Katja diese fünfzehnhundert Rubel zurückgeben kannst!‘ Und erst gestern, als ich von Fenja zu Perchotin ging, entschloß ich mich, mir das Säckchen vom Hals zu reißen; bis zu jenem Augenblick hatte ich mich nicht dazu entschließen können. Und als ich es abriß, in diesem Moment wurde ich endgültig und unstreitig ein Dieb, ein Dieb und ein ehrloser Mensch fürs ganze Leben. Warum? Weil ich damit gleichzeitig auch meinen Plan zerstört hatte, zu Katja zu gehen und zu ihr zu sagen: ‚Ich bin ein Schuft, aber kein Dieb!‘ Verstehen Sie es jetzt?«

»Und warum haben Sie sich nun gestern abend dazu entschlossen?« unterbrach ihn Nikolai Parfjonowitsch.

»Warum? Das ist eine lächerliche Frage! Weil ich mich zum Tode verurteilt hatte, um fünf Uhr morgens, hier, bei Tagesanbruch. Es ist ja ganz gleich, dachte ich, ob ich als Dieb sterbe oder als anständiger Mensch Aber so ist es nicht, es hat sich herausgestellt, daß das nicht ganz gleich ist! Können Sie es glauben, meine Herren: Nicht das hat mich in dieser Nacht am meisten gequält, daß ich den alten Diener totgeschlagen hatte, wie ich glaubte, und mir Sibirien drohte, und das ausgerechnet zu der Zeit, wo meine Liebe gekrönt wurde und der Himmel sich von neuem vor mir auftat! Oh, das hat mich gequält, ja, aber nicht so wie dieses verfluchte Bewußtsein, daß ich mir dieses verfluchte Geld von der Brust gerissen und verjubelt hatte und also jetzt endgültig zum Dieb geworden war! O meine Herren, ich wiederhole es Ihnen in tiefstem Schmerz: Vieles habe ich in dieser Nacht gelernt! Ich habe gelernt, daß es nicht nur unmöglich ist, als Dieb zu leben, sondern auch, als Dieb zu sterben … Nein, meine Herren, man muß als Ehrenmann sterben!«

Mitja war blaß. Sein Gesicht hatte einen erschöpften, zerquälten Ausdruck, obgleich er höchst erregt war.

»Ich fange an, Sie zu verstehen, Dmitri Fjodorowitsch«, sagte der Staatsanwalt gedehnt in sanftem, sogar teilnahmsvoll klingendem Ton. »Aber all das, nehmen Sie es mir nicht übel, sind meiner Ansicht nach nur Ihre kranken Nerven. Warum haben Sie zum Beispiel nicht, um sich von diesen, fast einen Monat andauernden Qualen zu befreien, diese fünfzehnhundert Rubel der Person zurückgegeben, die sie Ihnen anvertraut hatte? Warum haben Sie sich nicht zunächst mit ihr ausgesprochen und dann in Anbetracht Ihrer damaligen Lage den Versuch gemacht, der sich ganz natürlich anbietet, ich meine, warum haben Sie die Betreffende nach einem anständigen Geständnis nicht um die benötigte Summe gebeten, die sie Ihnen, hochherzig wie sie ist, angesichts der Zerrüttung Ihres ganzen Wesens gewiß nicht abgeschlagen hätte, zumal wenn Sie ihr etwas Schriftliches darüber ausgestellt oder ihr jene Sicherheit gegeben hätten, die Sie dem Kaufmann Samsonow und Frau Chochlakowa angeboten haben? Sie betrachten ja diese Sicherheit auch jetzt noch als wertvoll?«

Mitja errötete plötzlich. »Halten Sie mich wirklich für einen Schuft allerhöchsten Grades? Es ist doch nicht möglich, daß Sie das im Ernst gesagt haben?« rief er empört und blickte den Staatsanwalt an, als traute er seinen Ohren nicht.

»Ich versichere Sie, daß ich es im Ernst gesagt habe … Warum meinen Sie, daß das nicht der Fall wäre?« fragte der Staatsanwalt seinerseits erstaunt.

»Oh, wie gemein wäre das gewesen! Meine Herren, wissen Sie auch, daß Sie mich quälen? Nun gut, ich werde Ihnen alles sagen, meinetwegen! Ich werde Ihnen meine ganze teuflische Gesinnung bekennen, doch nur, um Sie zu beschämen! Und Sie werden sich wundern, bis zu welcher Gemeinheit sich die Gefühle eines Menschen versteigen können. Sie sollen wissen, daß ich diesen Plan schon selbst hatte, denselben Plan, den Sie soeben dargelegt haben, Herr Staatsanwalt! Jawohl, meine Herren, auch ich habe in diesem verfluchten Monat diesen Gedanken gehabt und war schon beinahe entschlossen, zu Katja zu gehen — so gemein war ich! Aber zu ihr zu gehen, ihr meine Untreue einzugestehen, für die aus dieser Untreue erwachsenden Ausgaben sie selbst, Katja, um Geld zu bitten und anschließend mit der anderen wegzulaufen, mit ihrer Nebenbuhlerin — ich bitte Sie, Sie haben wohl den Verstand verloren, Herr Staatsanwalt!«

»Das letztere mag dahingestellt bleiben; doch habe ich im Eifer wirklich nicht an die weibliche Eifersucht gedacht … Und am Ende liegt hier wirklich etwas Derartiges vor«, bemerkte der Staatsanwalt lächelnd.

»Das wäre so eine Gemeinheit«, rief Mitja und schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. »Das würde so zum Himmel stinken, daß ich keine Worte dafür finde! Wissen Sie, daß sie es fertiggebracht hätte, mir dieses Geld zu geben, und es mir bestimmt gegeben hätte, aus Rachsucht, um des Genusses der Rache willen, aus Verachtung gegen mich? Denn sie ist ebenfalls eine teuflische Natur, ein Weib, das fähig ist zu gewaltigem Zorn! Ich aber hätte das Geld genommen, oh, ich hätte es genommen, und dann mein Leben lang … o Gott! Verzeihen Sie, meine Herren, ich schreie so, weil ich diesen Gedanken noch vor kurzem hatte, vorgestern, als ich mich in der Nacht mit Ljagawy abplagte, und dann gestern, ja, auch gestern, gestern den ganzen Tag, ich erinnere mich, bis zu diesem Vorfall …«

»Bis zu welchem Vorfall?« warf Nikolai Parfjonowitsch neugierig ein, aber Mitja hörte die Frage nicht.

»Ich habe Ihnen ein furchtbares Geständnis gemacht«, schloß er mit finsterer Miene. »Beachten Sie das, meine Herren! Doch das genügt nicht. Es genügt nicht, dieses Geständnis nur zu beachten, achten Sie es auch! Wenn Sie das nicht tun, ersehe ich daraus, daß Sie mich schon völlig verachten, und ich werde mich zu Tode schämen, weil ich solchen Menschen wie Ihnen gestanden habe! Oh, ich werde mich erschießen! Ja, ich sehe schon, daß Sie mir nicht glauben! Wie, wollen Sie auch das niederschreiben?« rief er ganz entsetzt.

»Ja, das, was Sie soeben gesagt haben«, erwiderte Nikolai Parfjonowitsch, ihn erstaunt ansehend. »Nämlich, daß Sie bis zuletzt immer noch die Absicht hatten, zu Fräulein Werchowzewa zu gehen und sie um diese Summe zu bitten … Ich versichere Sie, daß dies eine für uns sehr wichtige Aussage ist, Dmitri Fjodorowitsch, das heißt, in bezug auf diesen ganzen Fall … Und daß sie besonders für Sie wichtig ist.«

»Haben Sie Erbarmen, meine Herren!« rief Mitja und schlug die Hände zusammen. »Schreiben Sie wenigstens das nicht nieder, schämen Sie sich! Ich habe sozusagen meine Seele vor Ihren Augen in zwei Teile zerrissen, und Sie benutzen das nun und wühlen an der aufgerißnen Stelle mit den Fingern in den Hälften herum … O Gott!« Er bedeckte in seiner Verzweiflung das Gesicht mit den Händen.

»Regen Sie sich nicht so auf, Dmitri Fjodorowitsch«, sagte der Staatsanwalt. »Alles, was jetzt niedergeschrieben wird, werden Sie nachher selbst zu hören bekommen, und womit Sie nicht einverstanden sind, das werden wir nach Ihren Angaben ändern. Jetzt jedoch wiederhole ich eine kleine Frage zum drittenmal: Hat denn wirklich niemand aus Ihrem Munde etwas von dem Geld gehört, das Sie in das Säckchen eingenäht hatten? Das kann man sich, offen gesagt, kaum vorstellen.«

»Niemand, ich habe es schon gesagt. Sonst haben Sie ja nichts von allem begriffen! Lassen Sie mich in Ruhe!«

»Erlauben Sie, dieser Punkt muß aufgeklärt werden, und wir haben dafür viel Zeit zur Verfügung. Vorläufig aber überlegen Sie bitte selbst: Wir haben vielleicht ein paar Dutzend Zeugenaussagen dazu, daß Sie selbst überall herumerzählt haben, Sie hätten dreitausend Rubel ausgegeben, nicht fünfzehnhundert. Und auch gestern, als Sie das Geld sehen ließen, haben Sie vielen mitgeteilt, Sie hätten wieder dreitausend Rubel mitgebracht …«

»Nicht Dutzende, sondern Hunderte von Zeugenaussagen stehen Ihnen zu Gebote, ein paar hundert Zeugenaussagen! Ein paar hundert Leute haben es gehört, tausend Leute haben es gehört!« rief Mitja.

»Nun, da sehen Sie es. Alle könnten es bezeugen. Das Wort ‚alle‘ fällt doch sehr ins Gewicht.«

»Gar nichts fällt ins Gewicht. Ich habe geschwindelt, und alle haben es nachgeschwatzt.«

»Und wozu hatten Sie nötig zu ‚schwindeln‘, wie Sie sich ausdrücken?«

»Das mag der Teufel wissen. Vielleicht bloß so aus Prahlerei … Um mit der Menge des verjubelten Geldes zu renommieren … Vielleicht um dieses eingenähte Geld zu vergessen … ja, genau das war der Grund … Zum Teufel, wie oft legen Sie mir diese Frage vor? Na, ich habe eben geschwindelt, und damit gut. Und nachdem ich einmal geschwindelt hatte, wollte ich es nicht wieder korrigieren. Warum schwindelt der Mensch manchmal?«

»Das ist schwer zu entscheiden, Dmitri Fjodorowitsch, warum ein Mensch schwindelt«, erwiderte der Staatsanwalt nachdrücklich. »Sagen Sie, war dieses Säckchen, wie Sie das nennen, was Sie am Hals trugen, groß?«

»Nein, es war nicht groß.«

»Von welcher Größe ungefähr?«

»Wenn man einen Hundertrubelschein einmal zusammenknifft, so groß.«

»Das beste wäre, wenn Sie uns die Lappen zeigen würden. Sie werden sie doch irgendwo haben.«

»Ach, zum Teufel … Was sind das für Dummheiten … Ich weiß nicht, wo sie sind.«

»Erlauben Sie noch eine Frage. Wo und wann haben Sie das Säckchen von Ihrem Hals genommen? Sie sind ja, wie Sie selbst angeben, nicht in Ihrer Wohnung vorbeigegangen?«

»Als ich von Fenja kam und zu Perchotin ging, da habe ich es mir unterwegs vom Hals gerissen und das Geld herausgenommen.«

»Im Dunkeln?«

»Wozu braucht man dabei Licht? Ich habe das in einem Augenblick mit dem Finger gemacht.«

»Ohne Schere? Auf der Straße?«

»Auf dem Marktplatz, glaube ich. Und wozu brauchte ich eine Schere? Es war ein alter Lappen, er ließ sich sofort zerreißen.«

»Wo haben Sie ihn gelassen?«

»Ich habe ihn weggeworfen.«

»Wo denn genauer?«

»Auf dem Marktplatz. Mag der Teufel wissen, wo auf dem Marktplatz. Wozu wollen Sie das wissen?«

»Das ist außerordentlich wichtig, Dmitri Fjodorowitsch. Das sind sachliche Beweisstücke zu ihren Gunsten. Daß Sie das nicht einsehen wollen! Wer hat Ihnen denn vor einem Monat beim Einnähen geholfen?«

»Niemand hat mir geholfen, ich habe es selbst eingenäht.«

»Können Sie nähen?«

»Ein Soldat muß nähen können, das ist kein Kunststück.«

»Wo haben Sie das Material hergenommen? Ich meine, den Lappen, in den Sie das Geld eingenäht haben?«

»Machen Sie sich auch nicht über mich lustig?«

»Durchaus nicht. Wir sind gar nicht in der Stimmung dazu, Dmitri Fjodorowitsch.«

»Ich erinnere mich nicht, wo ich den Lappen hergenommen habe. Irgendwoher werde ich ihn schon genommen haben.«

»Man sollte doch meinen, daran müßte man sich erinnern.«

»Weiß Gott, ich erinnere mich nicht. Vielleicht habe ich ein Stück von meiner Wäsche zerrissen?«

»Das ist sehr interessant, man könnte morgen in Ihrer Wohnung dieses Wäschestück suchen. Vielleicht findet sich ein Hemd, von dem Sie ein Stück abgerissen haben. Woraus war denn dieser Lappen, aus Baumwolle oder aus Leinwand?«

»Weiß der Teufel woraus. Warten Sie mal … Ich glaube, ich habe ihn von nichts abgerissen. Er war aus Kaliko … Ich glaube, ich habe das Geld in eine Haube meiner Wirtin eingenäht.«

»In eine Haube Ihrer Wirtin?«

»Ja, ich hatte sie ihr weggenommen.«

»Was heißt das, weggenommen?«

»Sehen Sie, jetzt fällt es mir ein. Ich hatte ihr tatsächlich einmal eine Haube weggenommen, als Wischlappen oder vielleicht um die Feder damit abzuwischen. Ich hatte sie, ohne ein Wort darüber zu sagen, an mich genommen, weil es ein ganz unbrauchbarer Fetzen war, der in meiner Stube herumlag. Und da hatte ich nun diese fünfzehnhundert Rubel, nahm das Ding und nähte sie darin ein … Ja, ich glaube, in diesen Fetzen habe ich sie eingenäht. Es war ein alter Kalikolumpen, schon tausendmal gewaschen.«

»Und Sie erinnern sich jetzt mit Sicherheit daran?«

»Ich weiß nicht, ob mit Sicherheit. Ich glaube, ich habe das Geld in die Haube eingenäht. Ach, ich spucke drauf.«

»Dann könnte sich wenigstens Ihre Wirtin erinnern, daß ihr dieser Gegenstand abhanden gekommen ist?«

»Gewiß nicht. Sie hat das Ding gar nicht vermißt. Es war ein alter Lappen, sage ich Ihnen, ein alter Lappen, der keinen Groschen wert war.«

»Und wo nahmen Sie Nadel und Faden her?‘

»Ich höre auf, ich will nicht mehr antworten. Jetzt ist es genug!« rief Mitja zornig.

»Und wiederum ist es seltsam, daß Sie so völlig vergessen haben, an welcher Stelle auf dem Marktplatz Sie dieses Säckchen weggeworfen haben.«

»Lassen Sie doch morgen den Platz fegen, vielleicht finden Sie es«, versetzte Mitja lächelnd. »Genug, meine Herren, genug!« fuhr er mit matter Stimme fort. »Ich sehe deutlich, daß Sie mir nicht glauben! Gar nichts, nicht für einen Groschen! Daran bin ich selber schuld, nicht Sie. Ich hätte Ihnen nicht damit kommen sollen. Warum habe ich mich bloß durch die Enthüllung meines Geheimnisses entehrt? Ihnen erscheint es lächerlich, das sehe ich Ihnen an den Augen an. Sie, Herr Staatsanwalt, haben mich dazu verleitet … Stimmen Sie ein Triumphlied an, wenn Sie können … Seid verflucht, ihr Folterknechte!«

Er senkte den Kopf und bedeckte das Gesicht mit den Händen; Staatsanwalt und Untersuchungsrichter schwiegen. Nach einer Minute hob er den Kopf wieder und blickte sie gedankenlos an. Auf seinem Gesicht zeigte sich jetzt totale Verzweiflung; er saß still und stumm und wie geistesabwesend da.

Die Sache mußte jedoch zu Ende gebracht werden; man mußte unverzüglich zur Vernehmung der Zeugen übergehen. Es war bereits acht Uhr morgens, die Kerzen waren längst gelöscht. Michail Makarowitsch und Kalganow, die während des Verhörs ständig herein- und hinausgelaufen waren, hatten gerade wieder einmal das Zimmer verlassen. Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter sahen ebenfalls sehr ermüdet aus. Der anbrechende Morgen hatte feuchte Witterung gebracht; der ganze Himmel war mit Wolken bedeckt, und der Regen goß wie aus Eimern herunter. Mitja starrte gedankenlos zu den Fenstern.

»Darf ich wohl einmal durchs Fenster sehen?« fragte er plötzlich Nikolai Parfjonowitsch.

»Oh, soviel Ihnen beliebt«, antwortete dieser.

Mitja stand auf und trat ans Fenster. Der Regen schlug heftig gegen die kleinen grünlichen Scheiben. Unter dem Fenster war die schmutzige Landstraße zu sehen und weiter hinten, durch den Regenschleier hindurch, schwarze, ärmliche, unansehnliche Reihen von Bauernhäusern, die von dem Regen noch schwärzer und ärmlicher auszusehen schienen. Mitja dachte an den »goldlockigen Phöbus«, bei dessem ersten Strahl er sich hatte erschießen wollen. ‚Vielleicht wäre es an einem solchen Morgen noch besser gegangen‘, dachte er lächelnd; dann warf er mit einer Handbewegung gleichsam diese Gedanken von sich und kehrte zu den »Folterknechten« zurück.

»Meine Herren!« rief er. »Ich sehe ja ein, daß ich verloren bin. Aber sie? Ich flehe Sie an, sagen Sie mir, ob wirklich auch sie mit mir zugrunde gehen soll! Sie ist unschuldig! Sie war nicht bei Sinnen, als sie gestern schrie, sie sei an allem schuld. An nichts ist sie schuld, an nichts! Die ganze Nacht, während ich hier mit Ihnen saß, habe ich mir darüber Sorgen gemacht. Dürfen Sie mir nicht sagen, können Sie mir nicht sagen, was Sie jetzt mit ihr machen werden?«

»Sie können in dieser Hinsicht ganz beruhigt sein, Dmitri Fjodorowitsch«, antwortete der Staatsanwalt mit sichtlicher Eilfertigkeit. »Wir haben vorläufig keinerlei Veranlassung, die Person, für die Sie sich so interessieren, irgendwie zu beunruhigen. Und das wird im weiteren Verlauf des Prozesses auch so bleiben, hoffe ich. Wir tun in dieser Hinsicht alles, was von unserer Seite nur irgend möglich ist. Seien Sie ganz beruhigt!«

»Meine Herren, ich danke Ihnen! Ich wußte ja, daß Sie trotz allem doch ehrenhafte, rechtlich denkende Männer sind. Sie haben mir eine schwere Last vom Herzen genommen … Nun, was werden wir jetzt tun? Ich bin bereit.«

»Ja, sehen Sie, wir müssen uns beeilen. Wir müssen ohne Verzug zur Vernehmung der Zeugen schreiten. Das muß unbedingt in Ihrer Gegenwart geschehen, und daher …«

»Sollten wir nicht vorher ein bißchen Tee trinken?« unterbrach ihn Nikolai Parfjonowitsch. »Ich glaube, wir haben uns das redlich verdient.«

Sie beschlossen, falls der Tee unten fertig sein sollte — was sie annahmen, da Michail Makarowitsch wohl zu eben diesem Zweck gegangen war —, zuerst ein Gläschen Tee zu trinken und dann mit aller Energie fortzufahren. Der Tee war wirklich fertig, und es wurde schleunigst welcher heraufgebracht.

Mitja lehnte anfangs das Glas ab, das ihm Nikolai Parfjonowitsch liebenswürdig anbot; dann jedoch bat er selbst darum und trank es gierig aus. Überhaupt zeugte sein Aussehen von großer Erschöpfung. Bei seiner Körperkraft hätte man gemeint, eine durchschwärmte Nacht und selbst die stärksten Aufregungen würden ihm nicht allzuviel anhaben. Aber er fühlte selbst, daß er kaum noch sitzen konnte, und zeitweilig war es ihm, als fingen alle Gegenstände an, sich zu bewegen und vor seinen Augen zu tanzen. ‚Noch ein bißchen, und ich rede am Ende noch irre!‘ mußte er denken.