§ 24. Evidenz als Selbstgegebenheit und ihre Abwandlungen
Im weitesten Sinne bezeichnet Evidenz ein allgemeines Urphänomen des intentionalen Lebens (gegenüber sonstigem Bewußthaben, das a priori leer, vormeinend, indirekt, uneigentlich sein kann), die ganz ausgezeichnete Bewußtseinsweise der Selbsterscheinung, des Sich-selbst-Darstellens, des Sich-selbst-Gebens einer Sache, eines Sachverhaltes, einer Allgemeinheit, eines Wertes usw. im Endmodus des Selbst da, unmittelbar anschaulich, originaliter gegeben. Für das Ich besagt das: nicht verworren, leer vormeinend auf etwas hinmeinen, sondern bei ihm selbst sein, es selbst schauen, sehen, einsehen. Erfahrung im gemeinen Sinne ist eine besondere Evidenz, Evidenz überhaupt, können wir sagen, ist Erfahrung in einem weitesten, und doch wesensmäßig einheitlichen Sinne. Evidenz ist zwar hinsichtlich irgendwelcher Gegenstände nur ein gelegentliches Vorkommnis des Bewußtseinslebens, aber es bezeichnet doch eine Möglichkeit, und zwar als Ziel einer strebenden und verwirklichenden Intention für jedes irgend schon Vermeinte und zu Vermeinende, und somit einen wesensmäßigen Grundzug des intentionalen Lebens überhaupt. Jedes Bewußtsein überhaupt ist entweder selbst schon vom Charakter der Evidenz, das ist hinsichtlich seines intentionalen Gegenstandes ihn selbstgebend, oder es ist wesensmäßig auf Überführung in Selbstgebungen angelegt, also auf Synthesen der Bewährung, die wesensmäßig zum Bereich des Ich kann gehören. Jedes vage Bewußtsein kann in der Einstellung transzendentaler Reduktion befragt werden, ob ihm und wie weit ihm unter Erhaltung der Identität des vermeinten Gegenstandes dieser im Modus des Er selbst entspricht bzw. entsprechen kann oder, was dasselbe, wie er, der vorausgesetzte, als er selbst aussehen müßte, wobei sich das noch unbestimmt Antizipierte zugleich näher bestimmte. Im Prozeß der Bewährung kann sich die Bewährung ins Negative umwenden, es kann statt des Vermeinten selbst ein anderes, und zwar im Modus Es selbst hervortreten, an dem die Position des Gemeinten scheitert und es seinerseits den Charakter der Nichtigkeit annimmt.
Nicht-Sein ist nur eine aus gewissen Gründen in der Logik bevorzugte Modalität des Seins schlechthin, der Seinsgewißheit. Aber Evidenz in einem allerweitesten Sinne ist ein Korrelatbegriff nicht nur hinsichtlich der Begriffe Sein und Nicht-Sein. Er modalisiert sich auch korrelativ zu den sonstigen modalen Abwandlungen des Seins schlechthin, als wie Möglich-Sein, Wahrscheinlich-, Zweifelhaft-Sein, aber auch mit den nicht in diese Reihe gehörigen Abwandlungen, die ihren Ursprung in der Gemüts- und Willenssphäre haben, wie Wert- und Gut-Sein.