Zum Hauptinhalt springen

§ 23. Prägnanter Begriff der transzendentalen Konstitution unter den Titeln „Vernunft“ und „Unvernunft“

Phänomenologische Konstitution war uns bisher Konstitution eines intentionalen Gegenstandes überhaupt. Sie umspannte den Titel cogito-cogitatum in seiner vollen Weite. Wir gehen nun daran, diese Weite strukturell zu differenzieren und einen prägnanteren Begriff von Konstitution vorzubereiten. Es war bisher gleich, ob es sich um wahrhaft seiende oder nicht-seiende bzw. mögliche oder unmögliche Gegenstände handelte. Dieser Unterschied ist nicht etwa durch die Enthaltung der Entscheidung für Sein und Nicht-Sein der Welt (und in weiterer Folge sonstiger vorgegebener Gegenständlichkeiten) außer Frage gestellt. Er ist vielmehr unter den weitgefaßten Titeln Vernunft und Unvernunft als Korrelattiteln für Sein und Nicht-Sein ein Universalthema der Phänomenologie. Durch die epoché reduzieren wir auf pure Meinung (cogito) und Vermeintes rein als Vermeintes. Auf letzteres — also nicht auf Gegenstände schlechthin, sondern auf gegenständlichen Sinn — beziehen sich die Prädikate Sein und Nichtsein und ihre modalen Abwandlungen; auf ersteres, auf das jeweilige Meinen, die Prädikate Wahrheit (Richtigkeit) und Falschheit, obschon in einem allerweitesten Sinn. Nicht ohne weiteres sind diese Prädikate an den vermeinenden Erlebnissen bzw. den vermeinten Gegenständen als solchen als phänomenologische Daten gegeben, und doch haben sie ihren phänomenologischen Ursprung. Zu den nach ihrer phänomenologischen Typik erforschbaren Mannigfaltigkeiten synthetisch zusammengehöriger Bewußtseinsweisen für jeden vermeinten Gegenstand irgendwelcher Kategorie gehören auch diejenigen Synthesen, die hinsichtlich der jeweiligen Ausgangsmeinung den typischen Stil bewährender, und im besonderen evident bewährender haben, oder auch im Gegenteil den aufhebender und evident aufhebender. Dabei hat korrelativ der vermeinte Gegenstand den evidenten Charakter des seienden bzw. des nicht-seienden (des aufgehobenen, durchstrichenen Seins). Diese synthetischen Vorkommnisse sind Intentionalitäten höherer Stufe, die allen gegenständlichen Sinnen in exklusiver Disjunktion zugehören, als wesensmäßig von selten des transzendentalen Ego herzustellende Akte und Korrelate der Vernunft. Vernunft ist kein zufällig-faktisches Vermögen, nicht ein Titel für mögliche zufällige Tatsachen, vielmehr für eine universale wesensmäßige Strukturform der transzendentalen Subjektivität überhaupt.

Vernunft verweist auf Möglichkeiten der Bewährung, und diese letztlich auf das Evident-Machen und Evident-Haben.

Von diesem mußten wir schon zu Anfang unserer Meditationen — als wir in der ersten Naivität nach den methodischen Richtlinien erst suchten, also noch nicht auf dem phänomenologischen Boden standen — sprechen. Es wird jetzt zu unserem phänomenologischen Thema.