4. Genesis der kapitalistischen Pächter
Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrachtet, die blutige Disziplin, welche sie in Lohnarbeiter verwandelt, die schmutzige Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad der Arbeit die Akkumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo kommen die Kapitalisten ursprünglich her? Denn die Expropriation des Landvolks schafft unmittelbar nur große Grundeigentümer. Was die Genesis des Pächters betrifft, so können wir sie sozusagen mit der Hand betappen, weil sie ein langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzender Prozeß ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch freie kleine Landeigner, befanden sich in sehr verschiednen Besitzverhältnissen und wurden daher auch unter sehr verschiednen ökonomischen Bedingungen emanzipiert.
In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigne Bailiff. Seine Stellung ist ähnlich der des altrömischen Villicus, nur in engerer Wirkungssphäre. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er ersetzt durch einen Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh und Ackerwerkzeug versieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von der des Bauern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er wird bald Metayer, Halbpächter. Er stellt einen Teil des Ackerbaukapitals, der Landlord den andren. Beide teilen das Gesamtprodukt in kontraktlich bestimmter Proportion. Diese Form verschwindet in England rasch, um der des eigentlichen Pächters Platz zu machen, welcher sein eignes Kapital durch Anwendung von Lohnarbeitern verwertet und einen Teil des Mehrprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als Grundrente zahlt.
Solange, während des 15. Jahrhunderts, der unabhängige Bauer und der neben dem Lohndienst zugleich selbstwirtschaftende Ackerknecht sich selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstände des Pächters und sein Produktionsfeld gleich mittelmäßig. Die Agrikulturrevolution im letzten Dritteil des 15. Jahrhunderts, die fast während des ganzen 16. Jahrhunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Dezennien) fortwährt, bereichert ihn ebenso rasch, als sie das Landvolk verarmt.227) Die Usurpation von Gemeindeweiden usw. erlaubt ihm große Vermehrung seines Viehstands fast ohne Kosten, während ihm das Vieh reichlichere Düngungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert.
Im 16. Jahrhundert kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu. Damals waren die Pachtkontrakte lang, oft für 99 Jahre laufend. Der fortdauernde Fall im Wert der edlen Metalle und daher des Geldes trug den Pächtern goldne Früchte. Er senkte, von allen andren, früher erörterten Umständen abgesehn, den Arbeitslohn. Ein Bruchstück desselben wurde zum Pachtprofit geschlagen. Das fortwährende Steigen der Preise von Korn, Wolle, Fleisch, kurz sämtlicher Agrikulturprodukte, schwellte das Geldkapital des Pächters ohne sein Zutun, während die Grundrente, die er zu zahlen hatte, im veralteten Geldwert kontrahiert war. 228) So bereicherte er sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Landlords. Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine Klasse für die damaligen Verhältnisse reicher "Kapitalpächter" besaß.229)
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227) "Pächter", sagt Harrison in seiner "Description of England", "denen es früher schwer ward, 4 Pfd.St. Rente zu zahlen, zahlen jetzt 40, 50, l00 Pfd.St. und glauben doch ein schlechtes Geschäft gemacht zu haben, wenn sie nach Ablauf ihres Pachtkontrakts nicht 6-7 Jahre Rente zurücklegen."
228) Über den Einfluß der Depreziation des Geldes im 16. Jahrhundert auf verschiedne Klassen der Gesellschaft: "A Compendious or Briefe Examination of Certayne Ordinary Complaints of Diverse of our Countrymen in these our Davs. By W. S., Gentleman", (London 1581). Die Dialogform dieser Schrift trug dazu bei, daß man sie lange Shakespeare zuschrieb und noch 1751 unter seinem Namen neu herausgab. Ihr Verfasser ist William Stafford. An einer Stelle räsoniert der Ritter (Knight) wie folgt:
Knight: "Ihr, mein Nachbar, der Landmann, Ihr Herr Händler, und Ihr, Gevatter Kupferschmied, sowie die anderen Handwerker, Ihr wißt Euch schon ganz gut zu helfen. Denn um wieviel alle Dinge teurer sind, als sie waren, um soviel erhöht Ihr die Preise Eurer Waren und Tätigkeiten, die Ihr wieder verkauft. Aber wir haben nichts zu verkaufen, dessen Preise wir erhöhen könnten, um einen Ausgleich zu schaffen für die Dinge, die wir wieder kaufen müssen." An einer andren Stelle fragt der Knight den Doktor: "Ich bitte Euch, was sind das für Gruppen von Leuten, die Ihr meint. Und, erstens, welche werden Eurer Meinung nach dabei keinen Verlust haben?" - Doktor: "Ich meine, alle diese, die vom Kaufen und Verkaufen leben, denn teuer wie sie kaufen, verkaufen sie nachher." - Knight: "Welches ist die nächste Gruppe, die, wie Ihr sagt, dabei gewinnen wird?" - Doktor: "Nun, alle, die Pachtungen oder Farmen in eigner Bearbeitung" (d.h. Bebauung) "haben, zur alten Pacht, denn da, wo sie nach der alten Rate zahlen, verkaufen sie nach der neuen - das bedeutet, daß sie für ihr Land recht wenig zahlen und alles was darauf wächst, teuer verkaufen..." Knight: "Welche Gruppe ist es, die, wie Ihr sagt, einen größeren Verlust dabei haben soll, als diese Gewinn hatten?" - Doktor: "Es sind alle Adligen, Herren und alle andern, die entweder von einer festen Rente oder einem Stipendium leben, oder ihren Boden nicht selbst bearbeiten" (bebauen), "oder sich nicht mit Kaufen und Verkaufen beschäftigen."
229) In Frankreich wird der Régisseur, der Verwalter und Eintreiber der Leistungen an den Feudalherrn wahrend des früheren Mittelalters, bald ein homme d'affaires, der sich durch Erpressung, Prellerei usw. zum Kapitalisten hinaufschwindelt. Diese Regisseurs waren manchmal selbst vornehme Herrn. Z.B.: "Diese Rechnung gibt Herr Jacques de Thoraisse, ritterlicher Schloßherr auf Besançon, dem Herrn, der zu Dijon Rechnung führt für den Herrn Herzog und Grafen von Burgund über die Renten, die der genannten Schloßherrschaft gehören, vom 25. Tage des Dezembers 1359 bis zum 28. Tage des Dezembers 1360." (Alexis Monteil, "Histoire des Matériaux manuscrits etc.", p. 234, 235.) Es zeigt sich schon hier, wie in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens der Löwenanteil dem Vermittler zufällt. Im ökonomischen Gebiet z.B. schöpfen Finanziers, Börsenmänner, Kaufleute, Kleinkrämer, den Rahm der Geschäfte ab; im bürgerlichen Recht pflückt der Advokat die Parteien; in der Politik bedeutet der Repräsentant mehr als die Wähler, der Minister mehr als der Souverän; in der Religion wird Gott in den Hintergrund gedrängt vom "Mittler" und dieser wiederum zurück geschoben von den Pfaffen, die wieder unvermeidliche Vermittler sind zwischen dem guten Hirten und seinen Schafen. Wie in England, so waren in Frankreich die großen Feudalterritorien in unendlich viele kleine Wirtschaften geteilt, aber unter ungleich ungünstigeren Bedingungen für das Landvolk. Während des 14. Jahrhunderts kamen die Pachten, fermes oder terriers auf. Ihre Zahl wuchs beständig, weit über 100.000. Sie zahlten eine vom 12. bis zum 5. Teil des Produkts wechselnde Grundrente in Geld oder in natura. Die terriers waren Lehn, Hinterlehn etc. (fiefs, arrière-fiefs), je nach Weit und Umfang der Domänen, wovon manche nur wenige arpents zählten. Alle diese terriers besaßen Gerichtsbarkeit in irgendeinem Grad über die Bodeninsassen; es gab vier Grade. Man begreift den Druck des Landvolks unter allen diesen kleinen Tyrannen. Monteil sagt, daß es damals 160.000 Gerichte in Frankreich gab, wo heute 4.000 Tribunale (Friedensgerichte eingeschlossen) genügen.